Haftbefehle bringen Libanons Regierung unter Druck

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Im Fall des Mordes an Libanons Expremier hat ein UN-Tribunal die Namen der Verdächtigen übergeben. Es handelt sich um Hisbollah-Aktivisten.

Einen Monat hätten die Haftbefehle geheim bleiben sollen – doch in der angespannten Atmosphäre wartete die libanesische Presse nach nur wenigen Stunden bereits mit vier Namen auf. Es geht um den brisantesten Politmord im Nahen Osten in den vergangenen Jahren: jenen Anschlag, bei dem Libanons Expremier Rafik Hariri und 22 weitere Personen im Februar 2005 durch eine Bombe getötet wurden.

Und brisant sind auch die – offiziell freilich nicht bestätigten – Namen. Sie sollen in dem Haftbefehl stehen, der am Donnerstag von dem für den Hariri-Fall ins Leben gerufenen UN-Tribunal an Beiruts Generalstaatsanwalt Saeed Mirza übergeben wurde.

Die vier Personen sind allesamt Mitglieder der wohl mächtigsten Organisation des Landes, der schiitischen Hisbollah. Es soll sich dabei unter anderen um Mustafa Badredinne handeln, den Operationschef der Hisbollah. Er soll der Kopf hinter dem Mordkomplott gewesen sein. Badredinne ist als Operationschef der Nachfolger seines Cousins Imad Mugniyeh, der vor drei Jahren in Damaskus bei einem vermutlich israelischen Anschlag ums Leben kam. Das Hisbollah-Mitglied Salim al-Ayyash soll nach Medienberichten die Zelle geführt haben, die den Mord ausgeführt hat.

Hisbollah diskreditierte Tribunal

Schon im Vorfeld hatte der Staatsanwalt Mirza versucht, die Wogen zu glätten, bevor die Haftbefehle mit dem brisanten Inhalt auf seinem Schreibtisch landeten. Er werde internationale Verpflichtungen erfüllen, dabei aber auch immer die Stabilität des Libanon berücksichtigen, erklärte er. In diesem einen Satz steckt das ganze Dilemma der libanesischen Staatsanwaltschaft. Sollten auf den Haftbefehlen tatsächlich die Namen hochrangiger Hisbollah-Mitglieder stehen, muss nicht nur der Staatsanwalt, sondern auch die Regierung in Beirut eine Entscheidung treffen: Führt sie die Haftbefehle aus und versucht sie, der Wahrheitsfindung im Fall Hariri ein Stück näherzukommen, riskiert sie die Stabilität des Landes.

Die Hisbollah, die politisch und militärisch stärkste Gruppierung des Libanon, hat sich von Anfang an geweigert, mit dem UN-Tribunal zusammenzuarbeiten. Eine Verbindung zum Hariri-Mord streitet sie kategorisch ab. Das Verfahren bezeichnete die Hisbollah als „politisiert“, das Tribunal als Marionette der USA, Frankreichs und Israels.

Diese Diskreditierung wurde ihr teilweise leicht gemacht, weil das Tribunal durch seine eigene Arbeit im Libanon an Glaubwürdigkeit verloren hatte. So hatte es sich zunächst vor allem auf die Theorie verlegt, dass das Regime in Damaskus hinter dem Anschlag auf Hariri steckte. Vier prosyrische libanesische Generäle waren festgenommen worden, mussten aber nach vier Jahren aus Mangel an Beweisen freigelassen werden.

„Es gilt die Unschuldsvermutung“

Symptomatisch dafür, was für ein heißes Eisen die neuen Haftbefehle darstellen, ist die erste Reaktion des libanesischen Premiers, der sein Amt auch den Stimmen der Hisbollah verdankt, deren politisches Bündnis die Mehrheit der Minister stellt: Man werde mit den Haftbefehlen verantwortungsbewusst und realistisch umgehen. Es sei ja nur eine Anklage und kein Urteil, es gelte die Unschuldsvermutung.

Man möchte nicht in der Haut dieses Regierungschefs stecken, der einerseits internationale Verpflichtungen erfüllen muss, andererseits aber eine mühevoll zusammengezimmerte Regierung in dem extrem polarisierten Land zusammenhalten muss. Ein Scheitern der Regierung würde sofort Bürgerkriegsängste wecken.

Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah hat sich immer deutlich ausgedrückt, etwa mit seiner berühmten Warnung, jedem die Hand abzuschneiden, der versuche, Hisbollah-Mitglieder zu verhaften.

Nach dem jetzigen Stand der Dinge ist es freilich eher unwahrscheinlich, dass in naher Zukunft tatsächlich ein Hisbollah-Mitglied im Fall Hariri verhaftet und vor Gericht gestellt wird. Viel wahrscheinlicher ist, dass die Wahrheit über den spektakulärsten politischen Mord des letzten Jahrzehnts im Nahen Osten niemals ans Tageslicht kommen wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2011)

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