Türkei: PKK-Angriff und Autonomieerklärung

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Premier Erdoğan erklärte Kurdenproblem bereits für gelöst. Vorschnell, wie sich nun zeigt. Die Situation ist völlig verfahren, und in Ankara fehlt es nicht an Schuldzuweisungen.

Istanbul. Die PKK hat ihrer Drohung diesmal Taten folgen lassen: Wenn sich nicht rasch nach der Wahl Verbesserungen für die Kurden abzeichneten, werde es eine militärische Eskalation geben, hatte die kurdische Untergrundorganisation gedroht. Und genauso kam es: 13 türkische Soldaten wurden am Donnerstag in einem Hinterhalt getötet, es war der schwerste Verlust auf Seiten der türkischen Armee seit Langem.

Doch nicht nur die PKK setzt auf Eskalation. Nur wenige Stunden nach dem Tod der Soldaten erklärte eine Versammlung in Diyarbakir die Autonomie der Kurden. Die Zusammenkunft aus Vertretern der Zivilgesellschaft und Politikern der Kurdenpartei BDP, die sich „Kongress für eine demokratische Gesellschaft“ (DTK) nennt, gibt es seit ungefähr einem Jahr. Sie steht erkennbar unter dem Einfluss des inhaftierten PKK-Führers Abdullah Öcalan. Die Erklärung dürfte zu einer Steigerung der Spannungen führen. Die Staatsanwaltschaft hat bereits Ermittlungen gegen die Mitglieder des DTK aufgenommen.

Von der anderen Seite ist mit Demonstrationen und Aktionen zivilen Ungehorsams zu rechnen, die dann wiederum zu verstärkter Repression führen. Am Ende könnte die BDP verboten werden, so wie mehrere ihrer Vorgängerparteien. Sie boykottiert derzeit ohnehin das Parlament, weil fünf ihrer gewählten Abgeordneten nicht aus der Untersuchungshaft entlassen wurden und einem sechsten sofort nach der Wahl sein Sitz wieder aberkannt wurde.

Erdoğan schielt auf Nationalisten

Die Situation ist also völlig verfahren, und in Ankara fehlt es nicht an Schuldzuweisungen. Premier Recep Tayyip Erdoğan sprach nach dem Tod der Soldaten von „Kräften“, deren Absichten klar seien – eine Anspielung auf die in seinem Umfeld verbreitete Theorie, wonach militärnahe nationalistische Gruppen einen radikalen Flügel innerhalb des Militärs steuern. Die Opposition wiederum gab Erdoğan die Schuld, weil er geheime Gespräche mit Abdullah Öcalan führen lässt. Auch die prokurdische Zeitung „Özgür Gündem“ machte die Regierungspartei verantwortlich: Die AKP habe kein Verständnis für die Demokratie.

Dass die Spannungen zwischen den Kurden und Erdoğan gerade jetzt hochkochen, hat viel mit dem Projekt einer neuen Verfassung zu tun, das Erdoğan in nur einem Jahr durchziehen will. Der Tag, an dem der Entwurf verkündet wird, ist auch der Tag, an dem Erdoğan die Karten in der Kurdenfrage auf den Tisch legen muss. Doch die Signale, die er aussendet, sind für die Kurden alles andere als ermutigend. Es sieht so aus, als sei Erdoğan zur Erkenntnis gekommen, dass er eine neue Verfassung nur mit einer strammen nationalistischen Haltung durch Parlament und Referendum bekommen wird. Also rufen ihm die Kurden so drastisch wie möglich ins Gedächtnis, dass es das von ihm bereits für erledigt erklärte kurdische Problem noch immer gibt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.07.2011)

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