Anders Behring B.: Der eiskalt berechnende Attentäter

Anders Behring eiskalt berechnende
Anders Behring eiskalt berechnende(c) Dapd (Privat)
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Der 32-jährige Attentäter hat seine Taten offenbar genau vorbereitet. Er deckte sich mit Kunstdünger ein, der sich für den Bau von Sprengstoff eignet, und hinterließ Fährten im Internet.

Er muss sich für sehr stark gehalten haben, vielleicht sogar für übermächtig, als er dort stand und in die Menge schoss; als hunderte Jugendliche vor ihm flüchteten, in Panik versuchten, dem Tod zu entrinnen. „Ein Mann mit einer Überzeugung ist so stark wie 100.000, die nur Interessen haben.“

Diese Abwandlung eines Zitats des Philosophen John Stuart Mill wurde auf einem Twitter-Account gefunden, der Anders Behring B. gehört haben soll. Der Account wurde erst vor wenigen Tagen, am 17. Juli eingerichtet. Das Zitat blieb der einzige Eintrag.

Der britische Denker und Ökonom John Stuart Mill vertrat die Idee der Freiheit des Individuums. Doch er machte Einschränkungen, machte klar, dass die Ausübung dieser Freiheit andere nicht schädigen dürfe. Ein Grundsatz, dem Anders Behring B. nichts abzugewinnen vermochte. Er tötete kaltblütig fast 100 Menschen – viele davon noch Kinder – mit Sprengstoff und mit Schusswaffen. So lange, bis die Polizei ihn stoppte und verhaftete.
Seither wird B. permanent verhört. Die Polizei will herausfinden, was den 32-Jährigen zu den Wahnsinnstaten bewogen hat – zum Bombenanschlag auf Oslos Regierungsviertel und den Überfall mit Feuerwaffen auf ein sozialdemokratisches Sommercamp auf der Insel Utøya. Und ob er allein gehandelt hat oder zusammen mit Mitstreitern. Am Samstag kursierten zunächst Meldungen, ein zweiter Schütze habe auf Utøya in die Menge gefeuert. Die Polizei wollte das vorerst nicht bestätigen: Es gebe keine konkreten Hinweise auf einen weiteren Attentäter. Man könne es aber auch nicht ausschließen.

Bomben aus Kunstdünger?

Anders Behrings Wohnung in Oslo hat die Polizei mittlerweile penibel durchsucht. Der 1979 Geborene soll ein Handelsgymnasium in der norwegischen Hauptstadt besucht und nach eigenen Angaben „unabhängig“, also im Selbststudium, Finanzen und Religion studiert haben.
2009 gründete er die Firma „B. Geofarm“ – für die Zucht von Gemüse, Melonen und Knollenfrüchten. Womöglich war es aber auch nur eine Scheinfirma – Umsatzzahlen sind nämlich keine bekannt. Jedenfalls dürfte der 32-Jährige über das Unternehmen Kunstdünger bezogen haben, der sich zur Herstellung von Sprengstoff eignet. Ein norwegischer Großhändler bestätigte gestern eine beträchtliche Order durch „Geofarm“. „Wir haben ihm Anfang Mai sechs Tonnen Dünger verkauft, was eine Standardbestellung darstellt“, sagte Oddny Estenstad, Sprecherin des Großhändlers „Felleskjöbet“. Zur genauen Zusammensetzung des synthetisch hergestellten Düngers wollte sie keine Angaben machen. Man habe keinen Verdacht geschöpft, weil der mutmaßliche Attentäter einen Agrarhandel betrieb. Die Polizei kommentierte die Angaben nicht. Auch in dem Auto, das B. auf der Insel Utøa hinterließ, fanden Beamte „nicht detonierten Sprengstoff“.

Fährten im Internet

Der mutmaßliche Täter hinterließ auch Spuren im Internet – einige davon scheint er bewusst als Fährten ausgelegt zu haben, für die interessierte Öffentlichkeit, für die Zeit nach den Attentaten. Sorgsam hat er nicht nur die Anschläge geplant, sorgfältig hat er auch im Internet Informationen über sich selbst hinterlassen. B. Konto im sozialen Netzwerk Facebook ist erst wenige Tage alt. Ebenso wie sein Twitter-Account ist es erst am 17. Juli, also wenige Tage vor den Anschlägen, erstellt worden.
Die Facebook-Seite suggeriert das Bild eines properen, konservativ eingestellten jungen Mannes ohne besondere Auffälligkeiten. „Freunde“, also persönliche Kontakte auf Facebook, hatte er keine. Dagegen verfügt das Profil über eine ausführliche Darstellung von Anders Behrings Hobbys und Interessen, auch ein paar private Fotos des blonden Mannes mit den grünen Augen sind zu finden. So präsentiert sich B. als „christlich“ und „konservativ“, seinen Beziehungsstatus gibt er mit „Single“ an, er sei Anhänger des Spiels „World of Warcraft“, einem Online-Rollenspiel. Seine Hobbys: Jagen und „E-Sport“, Online-Videospiele mit Sportbezug. Außer ein paar Links zu Popsongs, die er auf der Pinnwand gepostet hat, finden sich keine persönlichen Einträge. Das letzte Lied trägt den Titel „Freefalling“ – im freien Fall.

Postings gegen den Islam

Anders Behrings  Gesinnung war klar weit rechts stehend. Norwegens rechtspopulistische Fortschrittspartei gab am Sonntag zu, dass der Attentäter zwischen 1999 und 2006 ihr Mitglied gewesen sei. Er habe eine verantwortungsvolle Position in der Jugendorganisation innegehabt. Zudem war B. bis 2010 offenbar in mehreren Internetforen aktiv, darunter auch in einem schwedischen Neonazi-Forum. In seinen Kommentaren ätzte er gegen Multikulturalismus, Islam, Globalisierung und Einwanderung. In einem Posting im Dezember 2009 schreibt ein User unter seinem Namen, dass es kein einziges Land gebe, wo Muslime friedlich mit Nichtmuslimen zusammenleben würden. Eine gemischte Gesellschaft hätte „katastrophale Konsequenzen“ für Nichtmuslime.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.07.2011)

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