Breivik: „Einsamer Wolf“ mit erstaunlich vielen Kontakten

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Der Attentäter Anders Breivik war in den letzten drei Jahren ausgesprochen umtriebig. Seine Suche nach Waffen führte ihn bis nach Tschechien und Weißrussland.Die Taten scheinen seit neun Jahren geplant zu sein.

Oslo/Kopenhagen. Er hatte Kontakt zu weißrussischen und britischen Nationalisten, er war aktiver Teilnehmer auf anti-islamischen Websites und erwarb seine Waffen ganz legal: Das Bild des Massenmörders Anders Breivik als „einsamer Wolf“, der kaum Spuren hinterlassen hat, wird immer fraglicher. Nun hat die norwegische Zeitung „Dagbladet“ zusammengetragen, wie sich Breivik auf sein Attentat vorbereitet hat, und ist dabei auf zahlreiche Fakten gestoßen, die die Polizei hätten alarmieren können.

Die Kripo hat zur Aufklärung der Attentate eine eigene Gruppe eingesetzt, die alle Kontakte und Bewegungen Breiviks während der letzten zehn Jahre offenlegen soll. Dieser behauptet in seinem Manifest, er habe die Taten seit neun Jahren geplant. Die Polizei geht davon aus, dass die letzten drei Jahre der Vorbereitung gedient haben. In dieser Zeit war Breivik arbeitslos und wohnte bei seiner Mutter, bis er im Mai dieses Jahres einen alten Hof mietete.

2008 fiel er auf einschlägigen Websites mit Hasstiraden auf, 2010 handelte er mit Waffenzubehör im Internet. Doch die ersten Anläufe gehen weiter zurück: Schon 2005 wurde er, zunächst für zwei Jahre, Mitglied im „Oslo Pistolklub“. Im selben Jahr hielt er sich in Weißrussland auf und knüpfte unter dem Decknamen „Viking“ Kontakte zu dortigen Nationalisten, wie deren Parteichef Michail Reschetnikow bestätigte.

2008 schrieb er erstmals auf dem britischen rassistischen Internetforum „Stormfront“. Auf der Website Gates of Vienna, auf der auch seine Hauptinspirationsquelle, „Fjordman“, bloggt, forderte er die Deportation von Muslimen und nannte Stalins Zwangsumsiedlung muslimischer Sowjetbürger aus der Ukraine nach Usbekistan eine „glänzende Lösung“.

Facebook für Rechtsextremisten

Auch mit der English Defence League hatte er Kontakte und besuchte sie in Zusammenhang mit einer Demonstration für den niederländischen Islamgegner Geert Wilders. Er debattierte auf der anti-islamischen Website Document.no und auf nordisk.nu, einer Art Facebook für Rechtsextremisten. Dort schrieb ein anonymer Blogger, dass eine Autobombe aus Dünger und Diesel vor großen Gebäuden einen „netten Knall“ auslösen könne. 2009 registrierte Breivik die Firma Geofarm für die Zucht von „Gemüse, Melonen, Wurzel- und Knollenfrüchten“, die ihm Zugang zu Kunstdünger verschaffen sollte. Gegen zwei Schweden aus der rechtsradikalen Szene, die auf Facebook Geofarm als Arbeitgeber angeführt haben, ermittelt nun die schwedische Polizei.

Im Sommer 2010 werden die Vorbereitungen konkreter. Breivik fährt nach Prag, um dort Waffen zu kaufen, scheitert aber. Er sucht zwei Bordelle und ein paar Klubs auf, um mit Waffenhändlern in Kontakt zu kommen, doch diese halten ihn, wie er schreibt, „für einen Polizisten oder völlig verrückt“.

Da der Versuch, illegal an Waffen zu kommen, missglückt, versucht er es auf legalem Weg. Er nimmt das Training im Pistolenklub wieder auf, nimmt auch an einem Wettbewerb teil und erhält die Lizenz für eine 9-mm-Glock17-Pistole. Er belegt einen Jagdkurs und erwirbt für 1400 Euro ein halb automatisches Ruger-Mini-14-Gewehr. „Hirschjagd“ gibt er als Grund an. Das sind die Waffen, die er auf Utøya benutzen wird.

„Überschussinformation“

Er kauft auf einer norwegischen Internetseite in vier Bestellungen insgesamt 3,8 Liter vom Modellflieger-Treibstoff „Rapicon Fuel“, der Nitromethan enthält, einen für den Bau der Düngerbombe notwendigen Zusatz. Über eBay erwirbt er in London 200g Schwefel. In Polen erhält er 300g Natriumnitrit, Aluminiumpulver und Zutaten für den Auslösermechanismus. Dafür zahlt er 121 Kronen (16 Euro) und bereut den Kauf anschließend, da er fürchtet, dass die Firma überwacht wird. Er hat recht. Die Zahlung wird vom norwegischen Geheimdienst PST registriert, doch wegen der geringen Summe als „Überschussinformation“ abgelegt.

Breivik rüstet sich mit Schutzkleidung, Gesichtsmaske und Zielfernrohr aus, kauft – legal – große Mengen Munition. Einen Schalldämpfer bekommt er nicht: Der Laden, bei dem er ihn bestellt, hat Probleme mit dem Lieferanten. Er sucht nach einem passenden Hof, um die Bombe zu produzieren, und mietet schließlich unter zehn möglichen Objekten im gewünschten Umkreis von drei bis fünf Fahrstunden von Oslo das verfallene Gehöft Vålstua bei Rena. Am 1.Mai kann er einziehen. Vier Tage später ordert er sechs Tonnen Kunstdünger bei der Agrarkooperative Felleskjøpet. Nur die Nachbarn wundern sich, dass der neue Mieter zwar Dünger lagert, aber nichts anbaut.

Am 22.Juli um 14.07 Uhr schickt er sein Manifest an 1003 „westeuropäische Patrioten“, die er als die „überzeugtesten Nationalisten“ ansieht. Um 15.25 Uhr stellt er sein mit Sprengstoff gefülltes Auto in Oslo ab und entzündet die Lunte. Um 17.08 Uhr geht Anders Breivik in Utøya an Land.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.08.2011)

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