Das Putin-Spiel vom Wettbewerb

(c) AP (Mikhail Metzel)
  • Drucken

In Russland ist der Wahlkampf voll im Gange. Das „Drama“ um die Kandidatur für den Kreml simuliert Konkurrenz. Vor der Präsidentenwahl muss die Führung erst die Duma-Wahl erfolgreich bewältigen.

Im Moskau dieser Tage könnte man meinen, man befinde sich mitten in einem amüsanten Agitprop-Ideenwettbewerb. Da war zunächst Premier Wladimir Putin als Agent 007 auf Plakaten zu bewundern, wenig später rückte Präsident Dmitrij Medwedjew als stilisierter „Captain Russia“ nach. Autowaschende Putin-Girls treten auf den Straßen gegen leicht bekleidete Medwedjew-Mädchen an, die Bier wegschütten (eine männerfreundliche Aktion gegen männlichen Alkoholismus). Nur dem neuesten Streich – das Onlinespiel „Like Putin“, in dem man mit Russlands populärstem Politiker Waldbrände löscht und Terroristen verprügelt – muss Putins Counterpart noch etwas entgegensetzen, damit es für den ewigen Zweiten, ersten Mann im Staat wieder unentschieden steht.

Ob diese Aktionen nun davon zeugen, dass die Proponenten des Führungstandems endgültig zu Ikonen der russischen Popkultur avanciert sind oder Kreml-Polittechnologen mittels cleveren viralen Marketings die Bevölkerung dies lediglich glauben machen wollen – eines steht fest: Vor den Duma-Wahlen am 4.Dezember und den Präsidentenwahlen am 4. März 2012 blüht die „Kremologie“, der Versuch, die hohen Mauern der Festung durch Deutung von Gestik, Mimik und Wort des jetzigen und des früheren Bewohners zu durchdringen. Höchster Popularität erfreut sich derzeit die These von einem offenen Kampf um das Präsidentenamt: 007 gegen „Captain Russia“. Im Reich der Machtvertikale ist der Gedanke, dass es vor Wahlen tatsächlich zu einem Wettkampf kommen könnte, schon derart jenseitig, dass er die Menschen wochenlang zu fesseln vermag. Oder fesseln soll.

„Tandem-Drama“ als Ablenkung

Denn es gibt Kommentatoren, die das „Tandem-Drama“ vor allem als Ablenkungsmanöver werten. Julia Latynina erinnerte unlängst in der „Moscow Times“ an die Strategie des Staatsmannes Alkibiades im alten Athen, der eines Tages seinem Hund den Schwanz abschnitt. Auf die Frage, warum er das getan habe, antwortete Alkibiades, dass man zu viel über ihn spräche. Besser wäre es, die Leute redeten über seinen Hund.

Abseits der virtuellen Realitäten siegen freilich weder Putin noch Medwedjew im Terroristenverjagen oder Waldbrändelöschen. Das Land hat zwei verheerende Schiffsunglücke hinter sich; der traditionelle „Katastrophenmonat“ August hat gerade begonnen. Doch nicht nur im Kampf gegen Naturgewalten versagt die russische Führung, auch im politischen Alltagsgeschäft gelte es von Dingen abzulenken, schreibt Latynina. Über die Staatsausgaben im nächsten Jahr und die Inflationsgefahr habe die Politik einen Mantel des Schweigens gelegt.

Hans-Henning Schröder, Russland-Experte von der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), glaubt indes nicht, dass das Führungstandem sein Versprechen, nicht gegeneinander um das Präsidentenamt kandidieren zu wollen, brechen wird. „Medwedjew und Putin haben ihre Machtbeziehung professionell unter Kontrolle. Es wird zu einem Konsens kommen, was die Kandidatur betrifft.“ Letztlich eint die Führung ein Problem: die wachsende Unzufriedenheit der Bevölkerung. „Der Masse der Menschen steht es bis hierhin“, sagt Schröder. „Einerseits hat man das Gefühl, es kann so nicht weitergehen. Andererseits weiß man: Es wird sich nichts ändern.“

Horror vor Duma-Wahl

Vor der Präsidentenwahl muss die Führung erst die Duma-Wahl erfolgreich bewältigen. Die Horrorvision der Eliten ist eine niedrige Wahlbeteiligung – und der Verlust der Zweidrittelmehrheit von Putins Partei „Einiges Russland“, die an Popularität eingebüßt hat.

Es ist ein Paradoxon: Das Tandem hat ein Interesse an der Zustimmung des Volkes, wenn auch Entscheidungen weitgehend ohne dessen Zustimmung getroffen werden. Schröder kommentiert dies folgendermaßen: „Die Bevölkerung hat kaum Vertrauen in die Institutionen. Wenn auch das Vertrauen in die Politikerpersönlichkeiten wegbricht, dann zerbröselt das ganze System.“ Putin muss also weiterhin siegen – nicht nur als Avatar im Onlinespiel.

Auf einen Blick

In Russland finden in den nächsten Monaten zwei wichtige Wahlgänge statt: Am 4.Dezember werden die Sitze in der Staatsduma (Parlament) neu gewählt. Die Legislaturperiode beträgt nunmehr fünf statt bisher vier Jahre. Voraussichtlich am 4.März 2012 wird der Staatspräsident (für sechs Jahre) bestimmt. Mehrere Oppositionspolitiker haben ihre Teilnahme angekündigt. Putin und Medwedjew wollen im Herbst bekannt geben, wer von ihnen kandidieren wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.08.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.