Syrien: Mit Panzern und Schiffen gegen das eigene Volk

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Im Fastenmonat Ramadan erweitert das Regime seine Angriffe auf die Opposition. Mittlerweile auch vom Mittelmeer aus - Schiffe der Kriegsmarine haben Wohngebiete in der Stadt beschossen. Es gibt dutzende Tote.

Die Brutalität, mit der das syrische Regime verzweifelt versucht, des um sich greifenden Aufstands Herr zu werden, hat in den vergangenen Tagen noch einmal zugenommen.

Das syrische Militär setzte seine Angriffe auf die Hafenstadt Latakia mit unverminderter Härte fort. Die Soldaten von Präsident Bashar Al-Assad nahmen die Protesthochburg am Dienstag den vierten Tag in Folge unter Beschuss, wie Anrainer sagten. Schon am Montag starben sechs Menschen, womit die Zahl der bei der jüngsten Offensive getöteten Zivilisten in Latakia auf über dreißig stieg. Ins Visier nahmen Assads Soldaten vor allem ärmere Viertel und das Palästinenser-Flüchtlingslager Al-Raml. Aus Furcht vor den Angriffen haben Tausende Palästinenser das Lager bereits verlassen.

„Die Menschen versuchen zu flüchten, aber sie können Latakia nicht verlassen, weil die Stadt umzingelt ist“, sagte ein Bewohner. Die Regierung spiele mit dem Feuer, sagte ein Aktivist. Bald würden die Menschen zu den Waffen greifen, statt sich abschießen oder inhaftieren und demütigen zu lassen. Es gebe aber die Hoffnung, dass der Druck der Straße und der internationalen Gemeinschaft das Regime vorher stürze.

Ein syrischer Aktivist sagte in einem Telefoninterview aus einem Flüchtlingslager in der türkischen Provinz Hatay, am Dienstag habe die Armee drei Ortschaften in der Provinz Idlib angegriffen. Bewohner von Latakia, die in die Türkei geflohen seien, hätten nach ihrer Ankunft in dem Flüchtlingslager von Gräueltaten berichtet. Sie hätten gesagt, die regierungstreuen Kräfte seien gezielt in mehrere Häuser eingedrungen und hätten dort ganze Familien auf brutalste Weise ermordet.

Wackeliges Bündnis mit Sunniten

Die Angaben von Oppositionsgruppen zu den Todesopfern summieren sich seit Beginn der Angriffe auf Latakia mittlerweile auf mindestens 29. Im ganzen Land sollen seit Beginn der Proteste im März bis zu 2000 Zivilisten getötet worden sein. Mindestens 12.000 sind seit Ausbruch der Revolte inhaftiert worden. Tausende politische Gefangene saßen schon vorher in syrischen Gefängnissen.

Diese Proteste gegen Staatschef Assad, der der religiösen Minderheit der Alawiten angehört, werden vor allem von Angehörigen der sunnitischen Mehrheit getragen. Assad junior und schon seinem Präsidenten-Vater Hafez war es über lange Zeit hinweg gelungen, durch eine Art „wirtschaftliche Partnerschaft“ die bedeutende Gruppe der sunnitischen Geschäftsleute an sich zu binden. Besonders ihnen kamen die zaghaften wirtschaftlichen Reformen zugute, die der junge Assad in den vergangenen Jahren einleitete. Und seit Syrien sich auf politisch und wirtschaftlich engere Beziehungen zum Nachbarland Türkei einließ, nahm der Handel des wirtschaftlich sonst eher abgeschotteten Landes einen Aufschwung. Nach dem Wegfall der Visumpflicht wurde zudem die Grenze von vielen türkischen Touristen überquert.

Flüchtlinge statt Händler


Dieser Grenzverkehr und auch der Handel sind weitgehend zum Erliegen gekommen, dafür überschritten tausende Flüchtlinge aus Syrien die türkische Grenze. Der Schaden für die syrische Wirtschaft könnte größer sein als bei Wirtschaftssanktionen.

Präsident Assad hat im muslimischen Fastenmonat Ramadan, für den eine Zuspitzung der Auseinandersetzungen schon befürchtet worden war, seine Offensive gegen die Regierungskritiker noch ausgeweitet. Diese fordern seit fünf Monaten demokratische Reformen. Latakia ist dabei die vorerst letzte einer Reihe von Städten, in die regierungstreue Soldaten einrückten. In der Hafenstadt verlangten einem Studenten zufolge nach den Abendgebeten täglich rund 20.000 Demonstranten den Rücktritt Assads. Manche gehen mittlerweile schon weiter und wünschen dem Diktator den Tod.

Angriff auch auf weitere Dörfer

Anders als in den zumeist vornehmlich sunnitisch geprägten Protesthochburgen in Syrien gibt es in Latakia jedoch eine größere alawitische Gemeinde, also Angehörige jener Religionsgruppe, zu der auch ein wesentlicher Teil der herrschenden Schicht um Assad zählt.

Syrische Panzer waren am Samstag eingerückt, nachdem die Armee Bewohnern zufolge einige Viertel abgeriegelt hatte und Stromleitungen kappte. Soldaten griffen Menschenrechtlern zufolge am Montag auch Dörfer in der Hula-Ebene nördlich von Homs an. Alle Zugänge nach Hula würden von Sicherheitskräften bewacht, die in die Luft schössen, um Menschen abzuschrecken. Eine weitere syrische Menschenrechtsorganisation berichtete von „zahlreichen Panzern“, die in Hula eingerückt seien, und von Maschinengewehrfeuer.

Spanien bot Assad Asyl an

Derweil wurde bekannt, dass Spanien dem syrischen Präsidenten und dessen Familie offenbar politisches Asyl angeboten hat. Wie die spanische Zeitung „El País“ am Montag berichtete, schickte Spaniens sozialistischer Ministerpräsident José Luis Rodriguez Zapatero Anfang Juli seinen politischen Berater Bernardino Leon heimlich nach Damaskus. Der kurz danach zum EU-Sonderbeauftragten für den südlichen Mittelmeerraum ernannte Leon reiste „inkognito“ und traf sich angeblich mit Assad nahestehenden Personen, um einen Plan für den friedlichen Übergang zu einer neuen Regierung vorzuschlagen.

Deutschland forderte am Montag stärkere Sanktionen der EU gegen Syrien und Maßnahmen des UN-Sicherheitsrates. Die Bombardierung von Latakia durch Panzer und Schiffe sei Grund genug, um eine stärkere Botschaft auszusenden und die Sanktionen auszuweiten, sagte ein Sprecher des Berliner Außenamtes.

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