Vor dem letzten Akt: Tripolis ist eingekesselt

(c) Dapd (Dario Lopez-Mills)
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Den libyschen Rebellen gelang nach Monaten erfolgloser Angriffe im Westen des Landes ein jäher Durchbruch. Gaddafi steht mit dem Rücken zur Wand. Der Regierungsarmee gehen Material und Moral aus.

Wien. In dem seit Monaten hin- und herwogenden Krieg in Libyen ist den Rebellen in den vergangenen Tagen ein vorentscheidender Vorstoß gelungen: Gut organisierte und bewaffnete Formationen stießen aus Positionen in den Nafusah-Bergen rund 120 Kilometer im Südwesten von Tripolis bis an die Küste westlich der Hauptstadt vor.

Sie eroberten dort bis Mittwoch die Stadt Sabratha und weitgehend Zawiya. Dann setzten sie sich am Südrand von Tripolis fest, weshalb Beobachter von weitgehender Einkesselung sprechen. So wurden auch die Versorgungsrouten der Hauptstadt gekappt, vor allem jene entlang der Küste nach Tunesien, an der auch Ölraffinerien stehen.

Der Aufstand gegen Muammar al-Gaddafi hatte im Februar begonnen und sah zuerst spektakulär schnelle motorisierte Vorstöße von Rebellen entlang der Küste von Osten vor. Dann wurden sie im Raum Brega/Ras Lanuf von einer Offensive Gaddafis fast bis auf ihre Ausgangsstellung Bengasi zurückgeworfen.

Seit Beginn des ausländischen, bald Nato-geführten Luftkriegs gegen die Regierungsarmee am 19.März machten die Rebellen Boden gut, die Gaddafi-Treuen erlitten schwere Verluste. Wieso sich die Rebellen im Feld noch nicht durchsetzen konnten, liegt unter anderen an folgenden Punkten.

• Schlechtere Bewaffnung: Von Anfang an waren Gaddafis Einheiten besser bewaffnet, verfügten (und verfügen noch) über Panzer, mobile Artillerie, Mehrfachraketenwerfer („Stalinorgeln“), mithin über weittragende Waffen. Die Rebellen haben fast nur Infanteriewaffen wie Gewehre, Mörser, Panzer- und Luftabwehrkanonen und -raketen kurzer Reichweite und fahren vor allem mit Pick-ups und Lkw. Sie sind daher „weiche“ Ziele, die zudem schon in Feuerreichweite des Gegners kommen, wenn der noch außerhalb ihrer eigenen ist. Zwar wurden in verlassenen Depots auch schwere Waffen erbeutet, doch waren die meist kaum brauchbar – oder die Rebellen kannten sich damit nicht aus.

• Mangelnde Kriegskunst: Im Impetus der ersten Monate agierten die Rebellen meist planlos und unorganisiert. Es wurden keine einheitlichen Formationen samt Befehlsketten gebildet, es gibt vielmehr selbst ernannte „Brigaden“, aus 100 oder weniger Bewaffneten (meist Burschen), während unter Brigade regulär ein 3000 bis 5000 Mann starker Verband zu verstehen ist. Aufklärung, Sicherung von Flanken und rückwärtigen Gebieten sowie andere simple Dinge der Kriegsführung waren unbekannt, weshalb die Rebellen in Hinterhalte liefen und von der Seite oder von hinten in Bedrängnis gerieten. Die Disziplin war (und ist) schlecht, zudem sind die Rebellen in Dutzende Fraktionen zersplittert, was koordiniertes Vorgehen erschwert.

• Begrenzte Wirkung aus der Luft: Die Wirkung der Luftunterstützung wird überschätzt. Von etwa 200 eingesetzten Nato-Jets sind zu jeder Zeit bestenfalls 60 Prozent einsatzbereit, und davon fliegt nur ein Teil Angriffe, der andere klärt auf und sichert. Die Gaddafi-Truppen marschieren bei Nacht, tarnen sich gut und stellen schwere Waffen in Siedlungen. Das schützt sie vor Angriffen, da die Nato zivile Tote fürchtet.

Der Erfolg der Küstenoffensive kam zustande, nachdem die Rebellen im Nafusah-Gebirge monatelang Gaddafi-Truppen abgewehrt hatten und so zu brauchbaren Verbänden zusammengeschlossen worden waren. Auch wurde der Stoß von Nato-Angriffen unterstützt – und der Regierungsarmee gehen merklich Material und Moral aus.

Asyl für Gaddafi in Südafrika?

„Das Szenario, das sich für Tripolis abzeichnet, ist kein schönes“, sagt ein österreichischer Geschäftsmann, der erst aus Tripolis zurückgekommen ist, zur „Presse“. Die ausländischen Sanktionen würden jetzt voll zu greifen beginnen. „Die Infrastruktur beginnt zu zerbröseln, es gibt immer öfter Stromausfälle und Engpässe beim Treibstoff.“

Noch ist die Fastenzeit Ramadan, während der die Wirtschaft einen Gang zurückschaltet. „Aber ab Ende August wird die Versorgungslage brenzlig.“ Dazu gebe es im Osten der Hauptstadt einen Partisanenkrieg: „Jeden Tag werden ein bis zwei Gaddafi-Soldaten außer Gefecht gesetzt.“ Die tollkühnsten Rebellen, vor allem ein gewisser „Zorro von Tripolis“, würden ihre Taten mit der Kamera dokumentieren und ins Internet stellen.

Möglicherweise sucht Gaddafi schon einen Ausweg. Die Zeitung „Asharq al-Awsat“ berichtete, er wolle sich nach Südafrika absetzen, offiziell zur medizinischen Behandlung. Er soll Südafrikas Präsidenten Zuma gebeten haben, ihn und seine Familie aufzunehmen.

Grafik: Die Presse

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2011)

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