„Serben im Nordkosovo sind die Geiseln Krimineller"

Kosovo Innenminister Rexhepi
Kosovo Innenminister Rexhepi (c) EPA (Wolfgang Kumm)
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Die für Freitag geplante Verlegung kosovarischer Polizisten an zwei umstrittene Grenzübergänge zu Serbien erhöht die Spannungen. Kosovo-Innenminister Bajram Rexhepi erwartet Hilfe durch die Friedenstruppe Kfor.

Die Presse: Serbiens Präsident Boris Tadić hat davor gewarnt, dass jedes einseitige Vorgehen der kosovarischen Behörden an der Grenze den Frieden in der Region gefährde. Bedrohen Ihre Polizisten also den Frieden?

Bajram Rexhepi:
Ich weiß nicht, was Tadić unter einseitigem Vorgehen versteht. Wir haben alles mit der Kosovo-Truppe Kfor und der EU-Mission Eulex koordiniert.

Die Presse: Serbien will nicht, dass die Kosovo-Polizei am Freitag zwei umstrittene Grenzübergänge zwischen Serbien und dem Kosovo übernimmt und schaltet deshalb den UN-Sicherheitsrat ein.

Rexhepi: Sie leben noch immer in dem Traum, dass der Kosovo ein Teil Serbiens ist. Belgrad kann ruhig eine Diskussion im Sicherheitsrat beantragen, aber es wird damit nichts erreichen. Der Kosovo ist ein souveräner Staat. Die Überwachung der Staatsgrenzen ist eine innere Angelegenheit des Kosovo.

Die Presse: Aufgebrachte Serben haben bereits im Grenzgebiet neue Blockaden errichten. Wie werden Sie darauf reagieren?

Rexhepi: Indem sie Barrikaden errichten, isolieren sie sich selbst. Kfor und Eulex sind verpflichtet, die Verlegung unserer Beamten an die Grenzübergänge zu ermöglichen - notfalls mit Hubschraubern.

Die Presse: Ist die Verlegung Ihrer Beamten an die Grenze nicht riskant? Neue Zusammenstöße zwischen serbischen Demonstranten und Kosovo-Polizisten würden die Lage nur weiter anheizen.

Rexhepi: Dazu wird es nicht kommen. Wir haben nur wenige Beamte an der Grenze. Für ihren Schutz ist die Kfor verantwortlich. Ich bin sicher, sie besitzt genug Kapazitäten und Entschlossenheit, um weitere Provokationen zu verhindern. Ich will mich nicht in die Strategie der Kfor einmischen. Aber ich hoffe, dass sie Demonstranten nicht erlaubt, sich den Grenzposten mehr als einen Kilometer zu nähern.

Die Presse: Serbische Demonstranten blockieren auch die Brücke der zwischen Serben und Albanern geteilten Stadt Mitrovica.

Rexhepi: Das ist inakzeptabel. Wir halten uns so weit wie möglich zurück. Falls die Blockade aber länger bestehen bleibt, werden wir schwere Maschinen heranschaffen und die Straßen freimachen.

Die Presse: Ist der ganze jüngste Konflikt zwischen Belgrad und Prishtina nicht ein schwerer Rückschlag für die ohnehin schwierige Versöhnung in Mitrovica?

Rexhepi: Natürlich. Aber viele Serben im Nordkosovo sind Geiseln krimineller Gruppen. Diese Gruppen wollen keine Grenzkontrollen, um ungehindert schmuggeln zu können. Mitrovica ist meine Heimatstadt. Und viele Serben sagen mir im Vertrauen: Bitte verhaftet die Kriminellen, aber erwartet nicht, dass wir das offiziell sagen, denn wir haben Angst. Wir haben auch gute Beziehungen zu den Serben-Vertretern im Süden des Kosovo. Und wir haben den Menschen in den serbischen Enklaven erklärt, dass das, was im Norden geschieht, nichts mit Animosität gegenüber Serben zu tun hat. Es geht hier nur um einen Kampf gegen Kriminelle.

Die Presse: Belgrad argumentierte hingegen, dass die Kontrolle der Grenze durch die Kosovo-Polizei die Serben im Norden von der Lieferung mit Lebensmitteln und anderen Gütern abschneidet.

Rexhepi: Das war nicht unsere Intention. Nur die Einfuhr bestimmter Güter ist verboten: etwa Treibstoff, Benzin, Alkohol, Zigaretten. Lebensmittellieferungen in den Norden gab es zudem auch aus anderen Teilen des Kosovo.

Die Presse: Fürchten Sie nicht, dass die Probleme an der Grenze und all die anderen offenen Fragen mit Serbien den Weg des Kosovo in die EU behindern?


Rexhepi: Die Probleme damit hat vor allem Serbien. Denn es hat Ambitionen, im Oktober den Kandidatenstatus zu erhalten. Aber auch wir im Kosovo wollen nicht nur geografisch ein Teil Europas sein. Bisher haben wir aber nichts Konkretes von der EU. Ich hoffe, dass wir Ende des Jahres zumindest einen Fahrplan für eine Liberalisierung des Visa-Regimes erhalten. Wir haben dafür hart gearbeitet.

Die Presse: Welche Herausforderungen für den Kosovo sehen Sie auf dem Weg in die EU?

Rexhepi: Ich weiß, dass es für die EU-Außenpolitikbeauftragte Catherine Ashton und den EU-Kosovo-Vermittler Robert Cooper sehr wichtig ist, dass der Dialog zwischen Belgrad und Prishtina Erfolge zeitigt. Natürlich ist es wichtig, dass wir hier Fortschritte machen. Aber es gibt auch noch anderes. Der Dialog ist für mich wichtig, hat aber nicht oberste Priorität. Oberste Priorität hat die Rechtsstaatlichkeit: Die USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland und andere wichtige Staaten haben auch klar gemacht, dass es unser legitimes Recht war, unsere Autorität auf unserem gesamten Territorium durchzusetzen. Und sie haben Serbien gesagt, dass es die serbischen Parallelstrukturen im Kosovo nicht mehr finanzieren soll.

Die Presse: Ist es nicht ein Problem für die EU-Annäherung, dass fünf EU-Länder den Kosovo nicht als eigenen Staat anerkennen?

Rexhepi: Natürlich ist das ein Problem. Es ist problematisch, dass die EU nicht mit einer Stimme spricht. Aber die anderen EU-Staaten können in dieser Frage auch nicht Geiseln von fünf Ländern sein.

Die Presse: Es gibt Befürchtungen in der EU, mit einer Visaliberalisierung könnte Kriminalität über den Kosovo in die Union importiert werden. Befürchtungen wie diese werden sogar immer wieder von einigen Ihrer Innenminister-Kollegen in der EU geäußert. Was sagen Sie dazu?

Rexhepi: Die Kriminalitätsstatistiken zeigen, dass das Vorurteile sind. Und solche Vorurteile wurden früher auch immer wieder von Serbien zu Propagandazwecken in die Welt gesetzt. Außerdem: Kriminelle werden von einem Visaregime ohnehin nicht abgehalten. Die finden immer Wege, frei zu reisen. Das jetzige Visaregime trifft Studenten aus dem Kosovo, Geschäftsleute und Menschen, die Verwandte besuchen oder sich Sehenswürdigkeiten anschauen möchten.

Die Presse: Eines der beherrschenden Themen der kosovarischen Innenpolitik war zuletzt der Fall des ehemaligen Verkehrsministers Fatmir Limaj. Ihm werden Korruption vorgeworfen. Und nun hat die EU-Rechtsstaatsmission Eulex gegen ihn Anklage wegen Kriegsverbrechen erhoben. Was sollte nun in dieser Causa geschehen?

Rexhepi: Das Ganze ist sehr schmerzhaft. Fatmir Limaj ist eine im Kosovo sehr angesehene Persönlichkeit. Er ist bereits in Den Haag wegen Kriegsverbrechen vor Gericht gestanden, wurde aber freigesprochen, da es keine Beweise gab. Die jetzigen Ermittlungen wegen angeblicher Kriegsverbrechen werden von der Eulex geführt, nicht von unseren Institutionen. Wir und auch Herr Limaj werden das Verfahren und die Suche nach Gerechtigkeit nicht boykottieren. Aber wir sind natürlich zuversichtlich, dass das Ganze mit einem Freispruch enden wird.

Die Presse: Aber der Versuch, Limajs Immunität aufzuheben, führte zu Schwierigkeiten.

Rexhepi: Es gibt Verwirrung darüber, in welchen Fällen ein Abgeordneter immun ist. Aber das ist eine verfassunfgsrechtliche Verfahrensfrage, die jetzt vom Verfassungsgerichtshof geklärt werden muss. Wir erwarten eine Entscheidung darüber im nächsten Monat.

Auf einen Blick

Der Innenminister des Kosovo, Bajram Rexhepi, war auf Einladung der Erste Stiftung und der European Stability Initiative (ESI) in Wien. Er nahm an der Diskussion „Freedom of movement in Europe - dream or nightmare in a populist age?" im RadioKulturhaus teil.

Die internationale Schutztruppe KFOR hat am Donnerstag ihre eineinhalbmonatige Kontrolle an den beiden Grenzübergängen in dem mehrheitlich von Serben bewohnten Nordkosovo beendet. An den Grenzposten Jarinje und Brnjak sollen ab Freitag gemischte Teams aus Beamten der EU-Rechtsstaatsmission EULEX sowie kosovarischen Polizisten und Zöllnern im Einsatz sein. Serbien widersetzt sich diesem Plan, der die Umsetzung einer Anfang September zwischen Belgrad und Pristina in Brüssel erzielten Einigung über die wechselseitige Anerkennung der Zollstempel bedeutet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.09.2011)

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