Türkei droht der EU wegen Zypern-Vorsitz

 Zypern und Türkei
Zypern und Türkei(c) AP (Murad Sezer)
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Sollte Zypern wie geplant 2012 den EU-Vorsitz übernehmen, werde man die Beziehungen zur Union auf Eis legen, warnt der türkische Vizepremier.

[ANKARA/reuters/apa/afp/red.] Nach dem diplomatischen Streit mit Israel wegen des Todes türkischer Aktivisten bei der Erstürmung des Gaza-Hilfsschiffes „Mavi Marmara“ im Vorjahr verschärft Ankara nun auch den Ton gegenüber der Europäischen Union: Während der EU-Präsidentschaft Zyperns im nächsten Jahr werde man die Beziehungen zur EU auf Eis legen, drohte am Wochenende der türkische Vizepremier Beşir Atalay.

„Wenn die EU ihre rotierende Präsidentschaft Südzypern gibt, wird es zu einer richtigen Krise zwischen der EU und der Türkei kommen“, sagte Atalay am Ende eines Besuchs in Nordzypern. Der Vizepremier verwies auf ähnliche Warnungen von Regierungschef Recep Tayyip Erdoğan Ende Juli. „Wir haben dies angekündigt, und wir haben als Regierung eine Entscheidung getroffen. Unsere Beziehungen zur EU werden jäh abreißen“, bekräftigte Atalay.

Einmarsch türkischer Truppen

Zypern soll den EU-Ratsvorsitz im Juli 2012 übernehmen. Die Republik im Süden der Insel wurde am 1. Mai 2004 Mitglied der Union. Vor allem Athen hatte sich für einen Beitritt Zyperns stark gemacht. Offiziell nahm die EU aus völkerrechtlichen Gründen sogar die gesamte Insel auf – de facto kam aber nur der südliche, griechischsprachige Teil zur EU, nicht auch der Norden mit der international nicht anerkannten, türkischsprachigen Republik Nordzypern.

Der Nordteil Zyperns steht nämlich seit 1974 unter Kontrolle der Türkei. Türkische Truppen waren damals nach einem Militärputsch in Athen einmarschiert, um – eigenen Angaben zufolge – die türkische Volksgruppe auf der Insel „vor griechischen Nationalisten zu beschützen“. Der UN-Sicherheitsrat bekräftigte zwar die territoriale Integrität Zyperns, dennoch wurde 1983 eine „Türkische Republik Nordzypern“ gegründet, die aber nur von der Türkei anerkannt wird. UN-Blauhelme überwachen die Waffenstillstandslinie zwischen beiden Teilen.

Beitritt ohne Lösung des Konflikts

2004 wurde eine Volksabstimmung über einen Kompromissplan von UN-Generalsekretär Kofi Annan abgehalten, der eine Wiedervereinigung der Insel hätte ermöglichen sollen. Der türkisch besetzte Nordteil Zyperns stimmte zu, die Bevölkerung im griechisch dominierten Südteil lehnte den Plan aber ab. Nur kurz darauf wurde Zypern trotz des weiter ungelösten Konflikts in die EU aufgenommen. Unter anderem an der Zypern-Frage spießt sich derzeit auch der Abschluss weiterer Kapitel bei den EU-Beitrittsgesprächen mit der Türkei. Bisher wurde erst eines der Kapitel abgeschlossen.

Israelische Truppen in Griechenland?

Unterdessen berichtet das britische Militärfachmagazin „Jane's Defence Weekly“ unter Verweis auf diverse Quellen, dass sich vor dem Hintergrund der Verstimmung mit der Türkei Israel massiv Griechenland zuwendet. Am sechsten September hatte Griechenlands Verteidigungsminister Panos Beglitis bei einem Besuch in Israel einen bilateralen militärischen Kooperationspakt geschlossen – nun heißt es, dass die Premierminister beider Länder vor Tagen beschlossen hätten, angesichts starker türkischer See- und Luftoperationen im östlichen Mittelmeer den Pakt zu „aktivieren“: Demnach könnten israelische (Luftwaffen-)Einheiten griechische Basen in der Ägäis, also an der hinteren Flanke der Türken, nutzen, und beide Länder würden Geheimdienstinformationen austauschen.

Israelische Kampfjets hatten zuletzt 2009 auf Kreta Offensivmanöver durchgeführt, vor Kurzem kaufte Griechenland in Israel Fernlenk-Nachrüstsätze für Fliegerbomben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19. September 2011)

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