Abbas wirft Israel "ethnische Säuberung" vor

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UN-Vollversammlung. PLO-Chef Abbas beantragte die Aufnahme der Palästinenser in die UNO. Dann lieferte er sich ein Rededuell mit Israels Premier Netanjahu. Das Nahost-Quartett legte einen neuen Friedensplan vor.

New York. Es waren elektrisierende Momente, doch sie werden zunächst wohl folgenlos bleiben. Am Freitag um 11.45 Uhr New Yorker Zeit übergab Mahmoud Abbas, der weißhaarige PLO-Chef, dem Generalsekretär der UNO, Ban Ki-moon, einen Brief. In knappen Worten war darin der Antrag der Palästinenser formuliert, als 194. Mitgliedsstaat in die UNO aufgenommen zu werden.

Ausführlicher nahm Abbas dazu wenig später vor der Generalversammlung in einer bewegenden Rede Stellung.
Mehrmals sprangen Diplomaten von ihren Sitzen und unterstützten den Palästinenser-Präsidenten mit tosendem Applaus. „Jetzt ist die Zeit für einen palästinensischen Frühling“, rief der 74-Jährige in den Saal und ritt überraschend heftige Attacken gegen Israels Regierung, der er „ethnische Säuberung“ vorwarf.
Die Friedensbemühungen seien zuletzt immer wieder an der völkerrechtswidrigen Siedlungstätigkeit zerschellt. Genug sei genug. Es sei nicht möglich, nach all den gescheiterten Anläufen so weiter zu machen wie bisher, sagte er.



Die Palästinenser seien zu sofortigen Verhandlungen bereit, aber nur wenn Israel den Bau von Siedlungen komplett einstelle. Sonst seien Treffen sinnlos.
Mit diesem Satz torpedierte der PLO-Chef die Bemühungen der internationalen Gemeinschaft, zwischen Israel und den Palästinensern direkte Gespräche ohne Vorbedingungen  anzuleiern. „Das ist ein Moment der Wahrheit. Unser Volk wartet auf die Antwort der Welt. Wird sie Israel erlauben, sich über das Recht zu stellen?“, fragte der Palästinenser-Präsident.

Nur eine halbe Stunde später trat Israels Premier Benjamin Netanjahu ans Pult. Er bot Abbas an, sich ohne Vorbedingungen zusammenzusetzen, „heute, hier, in der UNO“. Auch den arabischen Nachbarn und der Türkei reiche Israel die Hand, sagte Netanjahu.
Doch einen palästinensischen Staat könne es erst nach einem Friedensschluss geben, wenn Israels Sicherheit garantiert sei. Israel habe schlechte Erfahrungen mit seinen Rückzügen aus dem Südlibanon und Gaza gemacht, erklärte Netanjahu. Militante Islamisten hätten das Vakuum gefüllt, seither regne es Raketen auf Israel.
Das Rededuell war der Auftakt zum altbekannten Spiel, der jeweils anderen Streitpartei die Schuld für das zu erwartende Scheitern zu geben.  Abbas schien dabei in der Weltöffentlichkeit mehr Sympathiepunkte gesammelt zu haben.

Antrag bleibt im Posteingang


Der palästinensische Antrag auf Vollmitgliedschaft in der UNO hat keine Aussicht auf einen schnellen Erfolg. Die USA, die engsten Verbündeten Israels, haben ihr Veto im Sicherheitsrat angekündigt. Zur Abstimmung kommt es vorerst gar nicht. Das Papier bleibt zunächst im Posteingang, ein Komitee des Sicherheitsrats wird damit befasst. Und diese Beratungen können Monate oder sogar Jahre dauern.


--> Tag des Zorns im Nahen Osten

Den Spielraum will die internationale Gemeinschaft nützen, um Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern in Gang zu setzen. Nach den Ansprachen von Abbas und Netanjahu legte das Nahost-Quartett (USA, der EU, Russland, UNO) einen Friedensplan vor. Monatelang hatten Diplomaten um eine Zauberformel und dabei vor allem auch mit den Russen gerungen.

Die Stationen des neuen Fahrplans sind bekannt, seit sie Frankreichs Präsident Sarkozy vor der Generalversammlung als seine Ideen verkauft hat. EU-Außenrepräsentantin Ashton stellte die Eckpunkte am Freitag offiziell vor. In spätestens vier Wochen werden Israelis und Palästinenser am Verhandlungstisch erwartet, in sechs Monaten eine Einigung über Sicherheit und Grenzen. So soll der größte Stolperstein umschifft werden, die Siedlungsfrage. Sind die Grenzen festgelegt, ist auch klar, welche Siedlungen Israel in einem Gebietstausch zugeschlagen werden und welche aufgelöst werden  müssen. 

Doch die Palästinenser wollen sich auf diesen Deal nicht einlassen. Das machte Abbas in seiner Rede deutlich und das wiederholte danach auch einer seiner Sprecher. Voraussetzung für Verhandlungen sei, dass Israel den Bau von Siedlungen einfriere. Da aber wird Netanjahu nicht mitspielen. Seine Koalition zerbräche daran.

Kaum Aussicht auf Erfolg


Gelänge das kleine Wunder trotzdem, funktionierte die Starthilfe des Nahost-Quartetts, und wären nach sechs Monaten tatsächlich die Grenzen fixiert, sollen in einem weiteren halben Jahr die auch nicht unkniffligen restlichen Streitfragen geklärt werden wie die Rückkehr der Flüchtlinge oder die Teilung Jerusalems. Und nach einem Jahr dann, so erträumen es sich die diplomatischen Sisyphuse, schlössen Israelis und Palästinenser einen Friedensvertrag. Einer Aufnahme der Palästinenser in die UNO stünde nichts mehr im Wege.
In Word-Dokumente lässt sich das alles schnell schreiben, doch es haben sich schon mehrere ähnliche Friedenspläne als Wunschvorstellungen entpuppt. Und diese Gefahr besteht auch diesmal wieder. Akut, auch wenn Abbas noch so viel Applaus in der UNO erhielt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2011)

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