Das undurchsichtige Spiel der Islamisten

Das undurchsichtige Spiel der Islamisten
Das undurchsichtige Spiel der Islamisten(c) AP (Khalil Hamra)
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In Tunesien, Ägypten und Libyen verspüren Fundamentalisten immer mehr Auftrieb. Bei Wahlen könnten islamistische Parteien, die sich gemäßigt geben, sogar stärkste Kraft werden.

Sie waren von Anfang an da: Noch während der Tage des größten Chaos, kurz nach dem Sturz von Präsident Zine el-Abidine Ben Ali am 14. Jänner, als dessen Anhänger noch plünderten und weiter auf Demonstranten geschossen wurde, streckten sie bereits ihre Fühler aus: die Agenten salafistischer, also radikal-fundamentalistischer Bewegungen.

Sie wollten „das Verhältnis der Menschen zum Islam sondieren“, wie ein junger Mann sagte, der sich als Mustafa vorstellte und die Partei Hizb ut-Tahrir vertrat, die in verschiedenen europäischen Ländern verboten ist, nicht jedoch in Österreich. „Ich würde mich gern länger unterhalten“, versicherte der Kanadier mit arabischen Wurzeln, bevor er verschwand. „Aber mich an einen Tisch zu setzen, an dem Alkohol getrunken wird, verbietet mir meine Religion.“

Unter Ben Ali wurden Islamisten verfolgt und jahrelang eingesperrt. Auf Organisationsstrukturen konnten sie nach dem Sturz des Diktators nicht zurückgreifen. Umso mehr ist die Arbeit Mustafas und seiner „Partei der Freiheit“ verblüffend und erschreckend. Bereits im Februar fanden vor der größten Synagoge von Tunis antijüdische Proteste statt. Im gleichen Monat wurde ein polnischer Priester ermordet. Im Juli folgte ein Angriff auf ein Kino, in dem der Film „Kein Gott, kein Herr“ von Nadia el-Fani gezeigt wurde. Die Regisseurin gilt als bekannte Kritikerin des politischen Islam.

Basilika besetzt

Im September versuchten Radikale, eine Basilika in der tunesischen Stadt Kef in eine Moschee umzuwandeln. Die Polizei konnte die rund 20 Besetzer vertreiben.

Hizb ut-Tahrir sei nur eine radikale Splittergruppe, vor der man keine Angst haben müsse, meinte ein Taxifahrer: „Das sind einige wenige Verrückte. Ennahda („Erwachen“; Anm.) hat ganz anderes Gewicht.“ Die Partei würde von Katar und Saudiarabien mit Millionen unterstützt. Der gleichen Meinung ist die TV-Journalistin Moufida Abassi. „Ennahda unterhält in allen Städten Büros, kontrolliert die Moscheen und kann sich einen aufwendigen Wahlkampf leisten wie keine andere Partei.“ Und der arabische Sender al-Jazeera mit Sitz in Katars Hauptstadt Doha mache Werbung für Ennahda. „Keine andere Partei bekommt annähernd so viel Sendezeit“, versichert die Redakteurin. „Es ist gut möglich“, fährt sie aufgebracht fort, „dass ich nach der Wahl Kopftuch tragen muss.“

Am Donnerstag musste die Partei indes eine Schwächung hinnehmen: Einer ihrer Gründer, der Rechtsanwalt Abdelfattah Mourou (63), hat sich abgespalten, und will bei der Wahl im Oktober mit einer unabhängigen Liste antreten.

Bisher war Tunesien richtungsweisend für andere arabischen Länder. Die Revolte gegen das Regime Ben Alis trat eine Lawine los, die sich gegen die seit Jahrzehnten herrschenden Autokraten in Ägypten, Jemen, Syrien und Libyen wendete. Ist die Renaissance der Islamisten in Tunesien ebenfalls etwas, das sich wiederholen wird?

In Jemen und Syrien ist die Lage noch nicht entschieden. Dort wollen die alten Herrscher noch nicht weichen. In Ägypten regiert bisher das Militär. Wahlen werden dort zeigen, inwieweit die Muslimbruderschaft und die von ihr abgespaltenen Gruppen den politischen Prozess beeinflussen können.

„Emir“ kontrolliert Tripolis

Im Nachbarland Libyen zeichnet sich dagegen schon ein Trend ab. Ohne die Islamisten geht hier nichts. Nicht zuletzt wegen der Integrationspolitik des Nationalen Übergangsrats (NTC), der damit einen blutigen Machtkampf wie im Irak vorbeugen will. „Niemand soll ausgegrenzt werden, alle gesellschaftlichen Kräfte müssen am neuen Libyen beteiligt sein“, erklärte der NTC-Vorsitzende Mustafa Abdul Jalil mehrfach, betonte aber, dass islamistischer Extremismus nicht erwünscht sei.

Ob Jalil am Ende dabei noch viel zu bestimmen haben wird, ist aber nicht sicher. Seinen Premier Mahmoud Jibril haben die Islamisten offenbar schon überzeugt, in einer künftigen Regierung keinen Posten mehr anzustreben.

Die Radikalen haben mittlerweile Schlüsselpositionen inne. Den Militärrat von Tripolis leitet Abdel Hakim Belhaj, der ehemalige „Emir“ der libysch-islamischen Kampffront (LIFG), die mit al-Qaida verbunden war. Im Stadtrat besitzen sie die Mehrheit. Ismail Salabi, der Anführer des 17. Bataillons in Bengasi, dessen Bruder Ali ein bekannter islamischer Gelehrter ist, stellte in einem Fernsehinterview die Legitimität des NTC infrage: „Wir brauchen ihn nicht mehr, er setzt sich doch aus Ex-Vertretern des Regimes zusammen.“ Gleichzeitig kritisierte Salabi „säkulare Gruppen“, die die Islamisten diskreditieren würden.

Noch wird in Libyen gekämpft. Es gilt, die letzten Bastionen des Regimes zu erobern. Die internen Konflikte des NTC werden bis dahin nicht offen ausbrechen. Doch was kommt, wenn Libyen befreit ist? Ein bewaffneter Konflikt zwischen Islamisten und Säkularen? Oder orientieren sich die libyschen Islamisten an der islamisch-konservativen AKP von Premier Recep Tayyip Erdoğan in der Türkei?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.10.2011)

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