Wien will Tschetschenen loswerden

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Symbolbild(c) AP (Musa Sadulayev)
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Eine Delegation des österreichischen Innenministeriums angeführt von Bezdeka, dem Leiter der Fremdenpolizei, besuchte die tschetschenische Hauptstadt Grosny, um die Rückkehr von Flüchtlingen zu beschleunigen.

Wien/Grosny. Der Besuch vor einem Monat blieb in Österreich unbemerkt, in Grosny war allerdings die erste Visite von Beamten des österreichischen Innenministeriums mehreren tschetschenischen Medien große Geschichten wert. „Österreich ist bereit, bei der Rückkehr von Tschetschenen ins Heimatland zu helfen“, titelte die staatliche Nachrichtenagentur „Grosny Inform“ euphorisiert. Neben Treffen mit dem Innen- und Gesundheitsminister besuchte die hochrangige Beamtendelegation, angeführt von Johann Bezdeka, dem Leiter der Fremdenpolizei, ein Spital und ein Kinderheim. Thema der Gespräche: die Erleichterung der freiwilligen Rückkehr von Tschetschenen.

Tschetschenien ist für das Innenressort nicht irgendeine Minirepublik der riesigen Russischen Föderation. Es ist eine unruhige Gebirgsprovinz, die Österreich seit Jahren mit einer großen Zahl an Flüchtlingen „versorgt“. Geschätzte 26.000 Tschetschenen leben in Österreich, der Großteil davon als anerkannte Flüchtlinge oder Asylwerber, geflohen aus der alten Heimat aufgrund der Tschetschenien-Kriege. Noch im vergangenen Jahr bildeten Tschetschenen mit mehr als 2300 Neuanträgen die größte Gruppe unter den Asylwerbern – auch wenn der Krieg offiziell längst beendet ist und Republikspräsident Ramsan Kadyrow gern behauptet, die Lage in seinem Reich habe sich stabilisiert.

Zahl der Rückkehrer gestiegen

Die Anerkennungsrate von Tschetschenen ist derweil von einst hohen 70 Prozent auf weniger als ein Drittel gesunken. Gestiegen ist dafür die Zahl der Menschen, die freiwillig in die Russische Föderation (überwiegend Tschetschenen) zurückkehren möchten. 2010 waren es 606, im Jahr davor gar 930.

Man habe „sehr positive“ Eindrücke von der Lage vor Ort gewonnen, sagt Delegationsleiter Bezdeka. Auf die Frage nach der Sicherheitslage zeigt sich Bezdeka „zuversichtlich, dass eine menschenwürdige Rückkehr gewährleistet ist“. Offiziell hört man es nicht, aber: Österreich kommt der Rückkehrtrend gelegen. Es gibt 21vom BMI unterstützte Beratungsstellen, die „freiwillige Rückkehrer“ und Schubhäftlinge konsultieren und die Heimreise bezahlen. Dann verliert sich meist die Spur.

Auch Kadyrow ruft seine Landsleute immer wieder dazu auf, endlich heimzukehren, und seine Opponenten, das Kriegsbeil zu begraben. Was man im Ministerium als sehr „positiv“ betrachtet, ist allerdings eine schwierige Gratwanderung. Denn einen Überblick über die Lage vor Ort zu bekommen ist gar nicht so leicht – das gibt etwa die Internationale Organisation für Migration zu, die selbst mit einem Reintegrationsprojekt vom Innenministerium unterstützt wird. „Es ist sehr schwierig, verlässliche Informationen zu ergattern“, sagt Projektverantwortliche Andrea Götzelmann und fügt hinzu: „Wir haben immer ein bisschen Angst um die Rückkehrer.“ Dennoch verteidigt sie das Projekt: „Die Rückkehr findet sowieso statt – wir haben die Wahl, die Menschen zu unterstützen oder sie alleinzulassen.“

„Tschetschenien ist nicht sicher“

Vertreter der emigrierten tschetschenischen Opposition sehen die Behördenkontakte zwischen Wien und Grosny hingegen mit Argwohn. „In Tschetschenien ist es nicht sicher“, sagt einer ihrer Vertreter der „Presse“. Kadyrow übe Druck auf die Diaspora aus – und lasse missliebige Personen bis ins Ausland verfolgen: Zuletzt erregte im September 2011 ein Mord an drei Tschetschenen aus dem Umfeld des „Kaukausus-Emirs“ Doku Umarow in Istanbul Aufsehen, hinter dem Kadyrows Agenten stehen sollen.

Hinter dem Mord an Umar Israilow, Kadyrows früherem Leibwächter, vermutete das Wiener Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) Kadyrow höchstselbst als Auftraggeber. Der tschetschenische Präsident konnte nie vernommen werden. Ein Rechtshilfeansuchen an Moskau blieb unbeantwortet.

Die Zusammenarbeit der Innenministerien läuft hingegen glänzend: Es war zwar der erste Besuch österreichischer Beamter in Grosny, doch „mindestens zwei Mal waren Vertreter des tschetschenischen Innenministeriums zuletzt in Wien“, weiß man bei der russischen Botschaft. Das Gesprächsthema? „Kein Kommentar.“

Auf einen Blick

Österreichs Innenministerium entsandte kürzlich erstmals eine Delegation nach Tschetschenien. Derzeit leben 26.000 Tschetschenen in Österreich, die meisten als anerkannte Flüchtlinge. Zuletzt sank die Anerkennungsrate allerdings drastisch. Bei den Gesprächen ging es vor allem um eine Unterstützung der freiwilligen Rückkehr nach Tschetschenien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.10.2011)

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