Was hinter den griechischen Mythen steckt

hinter griechischen Mythen steckt
hinter griechischen Mythen steckt(c) EPA (Simela Pantzartzi)
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Wir glauben zu wissen, was in Griechenland so alles schief läuft. Dabei vermischen sich Wahrheit und Fiktion wie in der antiken Mythologie. Ein Lokalaugenschein mit Experten zieht die Grenzen wieder schärfer.

Alle Welt blickt auf Griechenland und seinen Zeitlupen-Staatsbankrott. Viele glauben zu wissen, warum die Rettung nicht funktioniert und was nun zu tun ist. „Die Presse am Sonntag“ stellt die beliebtesten Thesen auf den Prüfstand.

Die Regierung hat versagt

Seit dem ersten Rettungspaket im Mai 2010 versuchte Ex-Premier Papandreou, in einem fast bankrotten Land das Ruder herumzureißen. Heute, nach dem dritten Rettungspaket und einem Banken-Schuldenschnitt, ist der Versuch gescheitert. Dabei hat das Erreichte durchaus historische Dimensionen: Ein Budgetdefizit von 16 Prozent innerhalb eines Jahres um fünf Prozentpunkte zu senken, ist in einer Demokratie mit hohem Wohlstandsniveau eine fast beispiellose Leistung. Wie aber passen beide Fakten zusammen?

Rasch wurden vor allem Steuern erhöht. Rasch gekürzt wurden zudem Pensionen und Beamtengehälter, was die überzogenen Steigerungen seit der Euro-Einführung ein wenig korrigierte. Aber der Sündenfall war der viel zu späte Start beim Abbau des öffentlichen Sektors: „Die bittere Pille zu verabreichen, wurde immer wieder verschoben“, beklagt Loukas Tsoukalis, Chef des Think Tank Eliamep. Die Privatisierungen ließen auf sich warten. Und auch die Öffnung geschlossener Sektoren und der Bürokratieabbau erfolgten spät und halbherzig.

Die Elite bleibt ungeschoren

Wütende Demonstranten auf dem Syntagmaplatz in Athen gehören längst zum kollektiven Griechenlandbild. Ihre Botschaft ist einfach: Während die Kleinen bluten, hat sich die Elite ihre Privilegien bewahrt. Aber stimmt das? Zumindest die Politiker sind mit gutem Beispiel vorangegangen und haben rasch auf fast ein Viertel ihres Gehalts verzichtet (im Schnitt lagen die Beamtengehaltskürzungen bei sieben Prozent). Nicht eingedämmt wurde der Volkssport Steuerflucht. Dabei geht es aber weniger um reiche Reeder, die großteils im Ausland leben und deren Flotte oft unter fremder Fahne navigiert. Und auch nicht um die wenigen gut organisierten Großbetriebe, die ihre Steuern sauber abliefern.

Wer nicht zahlt, das sind die Selbstständigen, also Kleinunternehmer und Freiberufler. Sie stellen 35 Prozent der Erwerbstätigen, mehr als in jedem anderen OECD-Land (mit Ausnahme der Türkei). „Selbstständige zahlen nirgendwo gerne Steuern“, gibt Dimitris Daskalopoulus als Präsident des Unternehmerverbands zu bedenken, „aber anderswo gibt es funktionierende Systeme der Eintreibung – bei uns nicht.“

Sparen führt in den Abgrund

Die Rezession hat sich weiter verschärft: Um 5,5 Prozent wird die Wirtschaftsleistung heuer schrumpfen. „Wir sind manche Dinge zu schnell angegangen“, gesteht Bob Traa, der Vertreter des Internationalen Währungsfonds (IWF) vor Ort. Führen also harte Sparprogramme in eine Abwärtsspirale? Traas Gesamtbild sieht anders aus: Manches ging zu schnell, weil anderes viel zu langsam ging. Die Lohnstückkosten sanken, was die Wirtschaft wettbewerbsfähiger machte. Aber die „große Enttäuschung“ sei, dass die geplanten begleitenden Strukturreformen ausblieben. Mehr Wettbewerb, weniger Bürokratie, ein frischer Wind in privatisierten Betrieben – das alles hätte für neue Dynamik sorgen sollen.

Der Holländer Traa vergleicht mit seiner Heimat: „Wir leben gut davon, dass wir Waren von unseren Häfen aus über Europa verteilen.“ Auch Griechenland hat wichtige Häfen, aber niemand käme auf die Idee, eine einheimische Spedition mit dem Weitertransport zu beauftragen – weil die Preise im durch Lizenzen geschützten Sektor viel zu hoch sind. So gelingt es nicht, die Exporte zu stärken und Investitionen auszulösen. Damit aber steuert die Wirtschaft auf ein neues Gleichgewicht auf niedrigerem Niveau zu: eine Anpassung nach unten.

Nur nicht jetzt privatisieren

Ein schneller Weg, Schulden loszuwerden, wäre der Verkauf von Staatsvermögen. Gerade damit aber lassen sich die Griechen Zeit: Erst im August konnte der Privatisierungsfonds seine Arbeit beginnen. Es geht um Grundstücke, Häfen, Raffinerien, Flughäfen und Glückspiellizenzen. Auf 300 Mrd. Euro wird das Tafelsilber taxiert, ein sehr hoher Wert für das kleine Land. 50 Mrd. davon sollen bis 2015 verkauft werden. Tatsächlich in der Kassa landeten bisher spärliche 475 Mio. Warum fehlt es so an Elan? Die Preise seien aktuell zu niedrig, rechtfertigen sich Politiker. Wenn man den Staatsschatz „verschleudert“, riskiere man Widerstand des Volkes. Deshalb hat Spanien den Verkauf seiner Lotterie wieder abgesagt.

„Aber die Spanier können sich das noch leisten, wir nicht“, sagt der Chef des Privatisierungsfonds, der Investmentbanker Konstantinos Mitropoulos. Sein Auftrag ist klar: Er muss verkaufen – sofern ihn Politiker nicht daran hindern. Für IWF-Vertreter Traa ist die Privatisierung an sich „der größere Nutzen als das Geld, das man dafür bekommt“, weil ein privat geführtes Unternehmen meist profitabler ist, Arbeitsplätze und Steuereinnahmen schafft. Auch die Bürger haben zu 85 Prozent keine Einwände gegen Privatisierungen. Vielleicht auch nicht dagegen, das Staatsvermögen in Bausch und Bogen an einen Treuhandfonds der Euro-Partner zu verkaufen. Diese könnten dafür auf riskante Kredite verzichten und sich in aller Ruhe an den Weiterverkauf machen. Das hatten die Unternehmensberatung Roland Berger und Österreichs EU-Abgeordneter Othmar Karas vorgeschlagen. In Athen freilich will man davon noch nie gehört haben.

Die Pleite ist längst da

Die Zahlen vom EU-Krisengipfel bringen selbst notorische Optimisten zum Verzweifeln: Noch in zehn Jahren wird die Schuldenquote 120 Prozent betragen, das Doppelte von dem, was man in Maastricht aus guten Gründen als oberstes Limit gesetzt hatte. Allenfalls die USA mit der Leitwährung Dollar im Gepäck könnten sich das leisten. Allerdings gibt es Faktoren, die die Lage nicht ganz aussichtslos aussehen lassen. Die zugrunde gelegten Wachstumsraten werden nun vorsichtig niedrig angesetzt. Das Primärdefizit liegt heuer nahe bei Null und sollte im kommenden Jahr einem Überschuss weichen. Dieses Ergebnis vor Zinszahlungen ist ein Indikator, wie erträglich ein Schuldenstand noch ist.

Auf einen anderen entlastenden Umstand weist das Peterson Institute hin: Wie üblich werden die griechischen Staatsschulden mit dem Bruttowert angegeben. Das heißt: Wenn der Staat etwa eine Bank übernimmt, werden ihre Schulden berücksichtigt, ihr verwertbares Vermögen aber nicht gegengerechnet. Meist ist der Unterschied von Brutto und Netto unerheblich, laut Studienautor William Cline aber nicht mehr bei Griechenland. Dort ist der Schuldenstand zuletzt stark gestiegen, weil der Staat Geld in die Banken stecken musste, um sie für die Privatsektorbeteiligung abzusichern. Saldiert man das so erworbene Vermögen, sinke die „richtige“ Schuldenquote um 33 Prozentpunkte.

Die Konten sind geplündert

Die Hiobsbotschaften sind noch frisch: Die Griechen, hieß es, plündern ihre Konten und bringen ihre Ersparnisse massenweise ins Ausland, um dem Zusammenbruch ihrer Banken zuvorzukommen. Tatsächlich haben bisher alle griechischen Institute überlebt, auch wenn ihre Zukunft auf so tönernen Füßen steht wie die Vasen im Akropolis-Museum. Zwar wurden 40 Mrd. Euro abgehoben. Aber das meiste davon ging in den Konsum, weil viele Griechen trotz sinkender Haushaltseinkommen ihren Lebensstandard halten wollen. Die Banken reagierten, indem sie die Kredite reduzierten. Das Volumen sank in zwei Jahren um 2,2 Prozent – das ist keine „Kreditklemme“, zumal durch die Krise die Nachfrage gering ist.

Die Drachme ist die Lösung

Ein Rauswurf der Griechen aus der Eurozone ist kein Tabu mehr. Das Hauptargument für ein „Ende mit Schrecken“: Mit einer schwachen Drachme wäre Hellas wieder wettbewerbsfähiger. Dabei wird aber eines übersehen: Der griechische Markt ist (vom Tourismus abgesehen) sehr geschlossen, der Exportanteil liegt unter zehn Prozent des BIP. Damit Exporte das Land aus dem Jammertal ziehen, muss es erst ein Angebot geben, und dafür fehlen die Reformen. Auch IWF-Experte Traa, der schon Argentinien durch die Krise begleitet hat, warnt vor einer Abwertungs-Euphorie: „Wenn die Strategien falsch sind, dann ist es ziemlich egal, ob ein Land fixe oder flexible Wechselkurse hat. Flexible Kurse führen dann nur zu einer viel zu hohen Inflation.“

Wer auch immer recht hat: Die Rechnung in Drachmen wird ohne den Wirt gemacht. Die Griechen müssten freiwillig austreten, davon sind sie weit entfernt: 76 Prozent wollen am Euro festhalten. Politologe Tsoukalis schätzt, dass ohne Euro der Lebensstandard um die Hälfte und damit auf Balkan-Niveau zurückfallen würde: „Es gäbe ein Leben nach dem Tod, aber es wäre der Tod.“ Gelassener sieht es jener einfache Bürger, den Unternehmervertreter Daskalopoulos zitiert: „So oder so, wir werden wieder arm sein. Wenigstens haben wir uns zehn Jahre lang reich gefühlt.“

Die griechische Mythologie beruht oft auf historischen Ereignissen.

Den trojanischen Krieg etwa dürfte es wirklich gegeben haben, im 12. oder 13. Jahrhundert vor Christus. Anlass war aber nicht die Entführung einer schönen Helena, sondern vermutlich ein Konflikt um die Kontrolle der Durchfahrt durch die Meerenge der Dardanellen.

Die Griechen selbst begriffen ihre Sagen als Historien. So sahen sich die Spartaner als Nachfolger des Troja-Bezwingers Agamemnon und begründeten damit ihre Führungsrolle in Griechenland.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.11.2011)

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