Russland: Extreme Rechte auf dem Vormarsch

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Am Freitag gingen Tausende Rechtsradikale in der russischen Hauptstadt auf die Straße. Der rechte Rand im Land ist aktiver denn je. Der fahrlässige Umgang des Kreml mit nationalistischer Rhetorik rächt sich.

Moskau. Zum Schluss hatte es die russische Justiz sichtlich eilig. Die Aktivität, die sie in den vergangenen zehn Tagen zeigte, stand in keinem Verhältnis zu früheren Zeiten. Zu 20 Jahren verschärfter Haft wurde der junge Kaukasier Aslan Tscherkesow, der 2010 einen russischen Fußballanhänger ermordet hatte, in der Vorwoche verurteilt.

Auch die anderen fünf Männer aus dem Nordkaukasus, die an der Schlägerei beteiligt gewesen waren, erhielten nun fünf Jahre Gefängnis. Am selben Tag fassten noch fünf ethnische Russen mehrjährige Haftstrafen aus, weil sie am 11. Dezember 2010 bei den nationalistischen Massenunruhen auf dem Manegeplatz vor dem Kreml dabei gewesen waren, um so angeblich dagegen zu protestieren, dass die Polizei Tscherkesow ursprünglich hatte laufen lassen. Und während am Donnerstag noch ein Tschetschene wegen des Mordes an einem anderen russischen Fußballfan 17Jahre Bau ausfasste, setzten die Behörden kurzerhand zwei Anführer nationalistischer Bewegungen fest.

Die Behörden sind vorsichtig geworden. Allem Anschein nach wollten sie vor dem gestrigen Freitag noch ein Beruhigungssignal aussenden, dass die Justiz doch funktioniere und vor ihr alle gleich seien. Gestern nämlich feierte Russland den „Tag der nationalen Einheit“. Wie es Tradition ist, haben die Gruppen am rechten Rand zum „russischen Marsch“ gerufen.

Im Unterschied zu Demonstrationen der Liberalen hatten die Behörden den Aufmarsch der Rechten nicht verboten. „Russland den Russen!“, schrien 5000 bis 10.000 Zornige, umringt von annähernd gleich vielen Polizisten: „Kein Geld mehr für den Kaukasus!“ und gleich auch noch „Weg mit den Journalisten!“.

Der rechte Rand in Russland ist aktiver denn je. „Seit dem Herbst 2010 sehen wir, dass er sich ausbreitet“, sagt Alexandr Werchowski, Direktor des Forschungszentrums „Sowa“. Vor allem seit Dezember sind Zusammenstöße zwischen Russen und Kaukasiern gang und gäbe. Nur ein Teil davon trägt sich in der Fußballfanszene zu. Gehäuft werden Gastarbeiter aus dem armen Zentralasien Opfer von Skindheads. Letztere schätzt Werchowski auf 15.000Leute, wobei er terminologisch lieber von einem „radikalen Kern“ spricht.

Akzeptanz von Xenophobie

Es ist auch gar nicht nur dieser Kern, der Beobachter Alarm schlagen lässt und auch die Machthaber allmählich verunsichert. Es ist die breite Akzeptanz, die die Xenophobie in der Bevölkerung erlangt hat. Einer vom Moskauer Bürgermeisteramt in Auftrag gegebenen Studie zufolge unterstützen 35Prozent der Bevölkerung die Nationalisten. Auch zeigen Umfragen anlässlich der bevorstehenden Parlamentswahlen am 4.Dezember, dass nationalistische Losungen am meisten nachgefragt sind.

Laut Umfrageinstitut Lewada-Center hat sich der Prozentsatz derer, die den Grund für den Nationalismus im „provokanten Verhalten von Vertretern anderer Nationalitäten sehen“, seit 2002 auf 47Prozent fast verdoppelt.

„Die Gesellschaft verliert die Immunität gegenüber Faschismus“, erklärt Lew Gudkow, Chef des Lewada-Center. Wie andere nimmt auch Gudkow das Regime Wladimir Putins in die Mitverantwortung. Sei das Gefühl der ethnischen Überlegenheit in den Neunzigerjahren als Kompensation gegen den postsowjetischen Zerfall der Identität kultiviert worden, so habe Putin später diese Gefühle rhetorisch aufgegriffen und zur Konsolidierung seines autoritären Regimes fernsehtauglich gemacht: „Die neue Generation empfindet diese Rhetorik als unskandalös.“

Um den Mainstream, der von der Kreml-Rhetorik nur teilweise moderiert wird, aufzufangen, lässt die Staatsführung nicht nur den ulkigen Brachialpolitiker Wladimir Schirinowski weiter wirken. Der Kreml selbst sucht Talente der kontrolliert nationalen Rhetorik in die Regierung zu hieven. Der Haken: Die Xenophobie mischt sich mit dem sozialen Protest und dem Widerstand gegen die Korruption.

So hat der landesweit berühmteste Anwalt Alexej Nawalny, der couragiert Korruption in Staatskonzernen aufdeckt, die nationalistische Stimmung als politisches Sprungbrett für sich entdeckt. „Die Nachfrage nach Gerechtigkeit ist da“, sagt Nawalny: „Sowohl die Russen als auch die Migranten, die bei uns ja schutzlos den korrupten Beamten ausgeliefert sind, gehören geschützt.“

Auf einen Blick

Xenophobe Einstellungen – vor allem gegen Kaukasier und Zentralasiaten – sind in Russland einigen soziologischen Untersuchungen zufolge im Steigen begriffen. Auch bei den bevorstehenden Dumawahlen am 4. Dezember seien nationalistische Losungen am meisten gefragt. Einige Experten sind der Ansicht, dass Wladimir Putins Regierungsstil den Boden dafür bereitet hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.11.2011)

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