Götterdämmerung: Innenminister für Berlusconis Rücktritt

(c) AP (GREGORIO BORGIA)
  • Drucken

Berlusconi will am Dienstag im Parlament die Vertrauensfrage über den mit der EU vereinbarten Brief mit Sparmaßnahmen stellen. Nun räumte Innenminister Maroni ein: Premier müsse den Platz für andere freimachen.

Rom. Eigentlich ist es nur eine Routineangelegenheit. Die Abgeordnetenkammer in Rom muss heute, Dienstag, den Rechenschaftsbericht für das Haushaltsjahr 2010 billigen; eine Art Kassensturz, wie ihn auch Vereine vorlegen müssen. Doch in Rom ist nichts mehr normal in diesen Tagen. Im ersten Anlauf fiel der Bericht durch, weil etliche Parlamentarier der konservativen Regierungsallianz es nicht für nötig befunden hatten, sich zur Abstimmung einzufinden. Eine peinliche Blamage für Silvio Berlusconi.

Nun muss noch einmal abgestimmt werden, und dazwischen lagen mehrere EU-Krisengipfel. Die italienische Regierung ist zudem ab sofort nicht nur unter Aufsicht des Internationalen Währungsfonds, sondern auch der Europäischen Kommission. Das Team von Experten der Kommission fliege noch diese Woche nach Rom, erklärte der Sprecher von Wirtschafts- und Währungskommissar Olli Rehn. Die Brüsseler Behörde erwarte sich von der Regierung Italiens eine Klärung der Zeitpläne und Handlungsabläufe für die Reformen, die Berlusconi auf dem Gipfeltreffen der Euroländer vorletzte Woche versprochen hat: ab 2013 keine neuen Schulden mehr, 2014 einen Haushaltsüberschuss (vor Abzug der Zinszahlungen für Altschulden), die Staatsschuldenquote im selben Jahr auf 113 Prozent zu senken, eine „Schuldenbremse“ in die italienische Verfassung einzuführen, den italienischen Arbeitsmarkt zu liberalisieren und das gesetzliche Pensionsantrittsalter bis zum Jahr 2026 auf 67 Jahre zu heben.

Abgeordnete laufen reihenweise davon

Bis zum nächsten Treffen der Euro-Finanzminister am 17. November sollen die Kommissionsexperten einen Bericht über Italiens Reformbestreben vorlegen.

Doch Regierungschef Berlusconi laufen nun reihenweise seine Abgeordneten davon. Gerüchte, dass sein Rücktritt unmittelbar bevorsteht, machten am Montag in Rom die Runde. Erst am Nachmittag äußerte sich Berlusconi selbst: Er denke gar nicht daran, zurückzutreten, erklärte er. Und machte dann die Verwirrung komplett, indem er ankündigte, am Dienstag im Parlament die Vertrauensfrage über den Brief mit Sparmaßnahmen stellen zu wollen, den er vor zehn Tagen der EU vorgelegt hatte: „Ich will mit eigenen Augen sehen, wer mich verrät.“ Mindestens 20 „malpancisti“, Leute mit „Bauchschmerzen“, soll es unter den Abgeordneten geben: genügend, um ihn um seine Mehrheit zu bringen.

Und so lag am Montag wieder einmal ein Hauch von Götterdämmerung über Rom, spätestens, nachdem Giuliano Ferrara, gewichtiger Berlusconi-Unterstützer, Rechtsintellektueller und Chefredakteur der Zeitung „Il Foglio“, auf seiner Homepage getitelt hatte: „Finale Phase, Neuanfang“. Berlusconis Rücktritt sei nur eine Frage von Stunden, vielleicht Minuten, orakelte er.

Ein anderer Premier oder Neuwahlen

„Berlusconi hat keine Mehrheit mehr“, sprach sein Innenminister Roberto Maroni schon am Sonntagabend das bisher Unsagbare aus. Um die Koalition zu retten, legte ihm Maroni nahe, wenigstens seinen Platz für einen anderen Politiker aus seiner Partei zu räumen, der eine neue Regierung bilden könnte – sonst müsse es Neuwahlen geben.

Als wahrscheinlicher gilt jedoch, dass Staatspräsident Giorgio Napolitano eine sogenannte technische Regierung einsetzt, die bis zu den nächsten regulären Wahlen im Jahr 2013 Reformen einleitet. Führen würde sie voraussichtlich ein Exbanker oder Verwaltungsfachmann. Als aussichtsreicher Kandidat gilt der ehemalige EU-Wettbewerbskommissar Mario Monti.

Auf einen Blick

Im italienischen Parlament ist heute, Dienstag, eine Budgetabstimmung vorgesehen. Sollte Berlusconi keine Mehrheit erhalten, könnte er zurücktreten, meinen Beobachter. Der Premier dementierte Rücktrittsabsichten jedoch vehement. Er will sich einer Vertrauensabstimmung über die mit Brüssel vereinbarten Sparmaßnahmen stellen. Ab sofort steht Italien unter Aufsicht des IWF und der EU-Kommission.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.