Der Zerfall des Systems Berlusconi

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Italiens Premier Silvio Berlusconi hat die mit Spannung erwartete Abstimmung über den Rechenschaftsbericht 2010 gewonnen, die absolute Mehrheit jedoch verfehlt. Folgt er nun den zahlreichen Rücktrittsforderungen?

Rom. Er will es noch einmal wissen. Einer wie er gibt nicht einfach auf. „Ich will meinen Verrätern ins Gesicht sehen“, versichert Silvio Berlusconi. Lieber wolle er im „Plenarsaal sterben“, als zurückzutreten. Etwas Pathos muss sein in der italienischen Politik. Seinen Getreuen aber ist längst klar, was der 75-Jährige nicht einsehen mag, vielleicht gar nicht mehr kann: Seine Regierung ist am Ende, seine politische Karriere auch.

In der Nacht haben ihn sein neuer Parteisekretär, Justizminister Angelino Alfano, und seine treue rechte Hand, Staatssekretär Gianni Letta, beschworen zu reagieren, bevor alles zu spät ist, seinen Platz zu räumen, damit wenigstens ein anderer aus dem eigenen Lager eine neue Regierung bilden kann. Laut italienischer Verfassung ist das möglich, und Letta hätte das Zeug dazu, das weiß Berlusconi.

Als die Meldung „Rücktritt Berlusconis binnen Minuten“ um die Welt eilt, erholen sich prompt die Aktienkurse kurzzeitig. Hätte es noch eines weiteren Beweises bedurft, wie sehr die Finanzmärkte davon überzeugt sind, dass die italienische Krankheit vor allem einen Namen hat?

Auch der Koalitionspartner, die Lega Nord, lässt den Ministerpräsidenten öffentlich fallen. „Wir haben ihn gebeten, einen Schritt zur Seite zu tun“, sagt Lega-Chef Umberto Bossi und bringt Alfano als Nachfolger ins Gespräch. Mindestens zwei Dutzend Abgeordnete haben Berlusconi in den letzten Tagen den Rücken gekehrt.

Bersani fordert Rücktritt

Doch noch hat er nicht aufgegeben. Am Dienstagvormittag, wenige Stunden vor der erneuten Abstimmung über den Rechenschaftsbericht für das Jahr 2010, bestellt er etliche Abtrünnige zum Einzelgespräch, lockt mit Posten und Pfründen. Fünf widerstehen dieses Mal der Versuchung, wollen sich mit der Opposition der Stimme enthalten. Man will sich nicht dem Vorwurf aussetzen, den Rechenschaftsbericht endgültig durchfallen zu lassen, denn dann wären die Staatskassen nicht mehr zahlungsfähig. Und hofft dennoch, Berlusconi so vorzuführen, dass er aufgeben muss.

Am Nachmittag kommt die Vorlage durch, mit 308 Stimmen – das sind acht weniger als die absolute Mehrheit, 321 Abgeordnete haben nicht abgestimmt. Eindringlich fordert Pier Luigi Bersani, Chef der Demokraten, Berlusconi zum Rücktritt auf.

Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass Berlusconis Koalition ihn überlebt. Dann stürzt ein ganzer Hofstaat, einer, der Pfründe und Privilegien sichert, die in Europa ihresgleichen suchen. Wer daran teilhaben will, von dem erwartet Berlusconi Vasallentreue bis zum bitteren Ende.

Und so ist er aufgestiegen zu einem der mächtigsten Unternehmer und Politiker der europäischen Nachkriegsgeschichte. Bis heute ist er eigentlich ein Antipolitiker, einer, dem die Mühlen einer parlamentarischen Demokratie und auch das Regieren eher lästig sind, der den Rechtsstaat nach Gutdünken zu seinen Gunsten verbiegt und sich in den vergangenen beiden Jahren in immer geschmacklosere Sexskandale verstrickt hat. 1994, nach der Implosion des alten italienischen Parteiensystems, erkannte der Bau- und Medienunternehmer seine Chance und stieß mit einer neuen politischen Bewegung in das politische Vakuum in der Mitte vor.

Böses Erwachen mit der Eurokrise

Es begann eine kometenhafte Karriere. Berlusconi verstand es in einzigartiger Manier, persönliche und politische Macht miteinander zu verschränken, sein Medienimperium sicherte ihm Einfluss weit über die Politik hinaus. Das böse Erwachen kam erst mit der Eurokrise. Geradezu schockartig begriffen viele Italiener, dass die Krise mitnichten nur andernorts stattfindet, wie Berlusconi stets versichert hatte. Nach dem Angriff der Finanzmärkte verlor sein süßes Gift an Wirkung – spätestens, als Italien unter Kuratel der EU und des Internationalen Währungsfonds gestellt wurde. Europa traut Berlusconi nicht mehr zu, Reformen umzusetzen. Seither läuft die Uhr unaufhaltsam, eine Ära neigt sich ihrem Ende zu, mit jedem Zehntelprozent, um das die Renditen für Staatsanleihen steigen. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis Silvio Berlusconi gehen muss. Die Eurokrise ist stärker als sein System.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.11.2011)

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