Berlusconi: Der Abschied des großen Verführers

Abschied grossen Verfuehrers
Abschied grossen Verfuehrers(c) EPA (ETTORE FERRARI)
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Er lebte seinem Volk die Straflosigkeit vor dem Gesetz vor. Silvio Berlusconi hat die Politik des Landes fast zwei Jahrzehnte lang dominiert. Doch zuletzt hat ihn sein politischer Instinkt verlassen.

Sie liebe Silvio Berlusconi noch immer, beteuert Gabriella Carlucci am Anfang einer Woche, an deren Ende in Italien nichts mehr sein wird, wie es war. „Doch jetzt muss er einen Schritt zurücktreten, damit das Land wieder auf die Beine kommt.“ Ausgerechnet „La Carlucci“, das populäre Ex-Showgirl, Abgeordnete in Rom und Bürgermeisterin einer Kleinstadt in Apulien, läuft zu den Christdemokraten über, „mit Schmerzen“, wie die 52-Jährige versichert. Kennengelernt hat sie Berlusconi, als sie noch für einen seiner Fernsehsender arbeitete. Sie ist eines der ersten Starlets, die der Medienzar mit einer politischen Karriere belohnt hat, geradezu das Sinnbild dessen, wohin es die italienische Politik unter Silvio Berlusconi gebracht hat. Es war ein Siegeszug des Gewöhnlichen, des Schrillen, des Vulgären, der totalen Entpolitisierung der Politik. Unter Berlusconi verkam Politik zur Show.

Wenn sogar „La Carlucci“ geht, spottet ein prominenter Journalist tags darauf, dann sei wohl alles zu spät. Er ahnt nicht, wie recht er behalten wird. Es entbehrt nicht der Ironie, dass es ausgerechnet die Geschöpfe von Berlusconis Gnaden wie Gabriella Carlucci sind, die das Ende seiner Ära einläuten sollten. „Verräter“ nennt sie Berlusconi, dessen Rücktritt nach der gestrigen Abstimmung über das Sparpaket erwartet wurde. Bis zum Schluss wollte er nicht glauben, dass sein System dieses Mal versagt hat. Dass es ihm, dem „besten Regierungschef der letzten 150 Jahre“, so geht wie so vielen Cäsaren, Fürsten, Päpsten und Regierungschefs zuvor in der italienischen Geschichte. Zu Fall gebracht hat ihn nicht etwa die zahnlose Opposition, nein, zu Fall bringen ihn die Abtrünnigen aus den eigenen Reihen. Eine Palastrevolution also. Noch Tage später klagt Silvio Berlusconi fassungslos, dass es doch er sei, dem sie alles zu verdanken hätten. „Ich habe sie groß gemacht.“

Es ist das glanzlose Ende einer politischen Karriere, wie sie Europa noch nicht gesehen hat. Zu Beginn der 1990er-Jahre, nachdem der Korruptionsskandal Tangentopoli das alte italienische Parteiensystem hinweggefegt hatte, schlägt die Stunde des damals 57-jährigen Bau- und Medienunternehmers aus Mailand. Strahlend tritt er an einem Januarmorgen 1994 vor die Fernsehkameras. „Italien ist das Land, das ich liebe“, verkündet er mit jenem Pathos, der seinen Aufstieg begleiten sollte, mit dem er, der Selfmade-Man, der einstige Staubsaugerverkäufer und Schlagersänger, die Herzen der Italiener massiert. Er wolle hervorsteigen aus „dem Schützengraben der Arbeit“, um das Land vor „den Kommunisten zu retten“ und es zu liberalisieren. Mehr an Programm hat er nicht zu bieten und wird er auch in Zukunft nie haben. Sein Weltbild ist geprägt von der Zeit des Kalten Krieges, teilt die Welt in Böse (Kommunisten) und Gute (Berlusconi-Anhänger), auch davon wird er sich nie lösen.

Für die politikverdrossenen Italiener klingt dies wie eine Verheißung. Berlusconi stößt vor in das Vakuum, das politische Trümmerfeld, das Christdemokraten und Sozialisten hinterlassen haben, mit seiner neuen Bewegung. Sie trägt den schönen Namen Forza Italia, ein Schlachtruf, der aus dem Fußball kommt und allemal geeignet ist, die Italiener für sich einzunehmen. Prompt gewinnt er die Wahlen. Es ist der Beginn eines kometenhaften Aufstiegs von einem, der über einen untrüglichen Instinkt, sehr viel Geld und gute Beziehungen verfügt.

Letztere reichten hinein bis in das Schattenreich der organisierten Kriminalität. Bis heute ist nicht geklärt, welche Rolle die Mafia bei seinem Wechsel in die Politik gespielt hat. Klar ist dagegen, dass es nicht sehr altruistische Motive waren, die ihn zu diesem Schritt bewogen. „Silvio Berlusconi musste in die Politik gehen, um seine Firmen zu verteidigen“, sagt Marcello Dell'Utri, einer seiner überaus zwielichtigen Weggefährten Ende 1994. Der Satz sollte zum Leitmotiv einer ganzen Ära werden.

Silvio Berlusconi, am 29. September 1936 in Mailand geboren, stieg zu einem der erfolgreichsten Politiker der europäischen Nachkriegsgeschichte auf. Und Italien wurde zum Lehrstück, wohin es eine Demokratie bringen kann, wenn man sie einem skrupellosen Populisten anvertraut. Der Multimilliardär hat es verstanden, private und politische Macht in einzigartiger Manier miteinander zu verschränken, und in einer zutiefst vom Klientelismus geprägten Gesellschaft erkannten viele erst, wie gefährlich das ist, als es längst zu spät war. Bis heute findet es in Italien niemand anstößig, private Kontakte zum persönlichen oder beruflichen Vorteil zu nutzen. Berlusconi hat dieses Prinzip zur Vollendung gebracht.

Der italienische Traum. Schon lange vor seinem Einstieg in die Politik stampfte er in Mailand eine noble Trabantenstadt, genannt Milano 2, aus dem Boden und versorgte deren Bewohner auch gleich noch mit einem privaten TV-Kanal. Das Rezept seines Erfolges war geboren. Berlusconi überzieht das Land mit Privatsendern, die etwas ganz Neues liefern, den Traum vom großen Glück für die Kleinen, von Glamour, schönen Frauen und Erfolg. Er selbst wird zum Inbegriff der italienischen Variante des amerikanischen Traums, zum Beweis, wohin man es bringen kann, wenn man nur die richtigen Freunde und nicht allzu viele Skrupel hat: zu einem Milliardenvermögen, drei privaten Fernsehsendern, einem Fußballclub, Buchverlagen, Luxusvillen, schönen Frauen im Überfluss – und nebenbei noch zum Regierungschef.

Sein Medienimperium sichert ihm nicht nur politische Einflussnahme, sondern verändert die italienische Gesellschaft für immer. Es sind seine Sender, die als erste halbnackte Models in die Wohnzimmer bringen. Das Fernsehen wird zum Massenmedium. Berlusconi, der große Verführer, der immer dann am besten ist, wenn er Werbung machen darf, also im Wahlkampf, trifft auch damit einen Nerv.

Später führt er auch das Land wie eine Fernsehshow – und über das Fernsehen. Pressekonferenzen gibt er nur selten, wenn er seinem Volk etwas sagen will, dann über den Bildschirm. Am Ende ergeht es ihm wie einem alternden Showmaster. Immer mehr entfernt er sich von der Realität. Seine Angst vor dem Altwerden nimmt geradezu pathologische Züge an. „Die Frauen lieben mich eben“, beteuert er, als die Skandale um seine nächtlichen Ausschweifungen Italien erschüttern. So will er sich noch immer sehen, als den großen charmanten Verführer, den viele Männer um seine Virilität beneiden, dem Millionen von Hausfrauen zu Füßen liegen. „Warum verstehen diese Leute nicht, dass ich der einzige Mensch bin, der dieses Land reparieren und regieren kann?“ fragt Berlusconi, als die Rufe nach einem Rücktritt lauter werden.

Nichts hatte zuvor sein Ansehen bei seinen Anhängern schmälern können: Nicht, dass Berlusconi seine Versprechen nie hielt, nicht, dass er den Rechtsstaat schamlos zu seinen Gunsten zurechtbog, auch nicht, dass er sich in zahllosen spektakulären Verfahren vor Gericht verantworten musste, wegen Steuerhinterziehung, Bestechung, Bilanzfälschung. Rechtskräftig verurteilt aber wurde Berlusconi nie, seine Schlitzohrigkeit imponierte vielen.

Silvio Berlusconi, das war für viele Italiener das Versprechen, dass eben dieser ungeliebte Staat zurückgedrängt wird. Zwischendurch versuchten sie es auch mit anderen, zwei Mal wählten sie den biederen, glücklosen Wirtschaftsprofessor Romano Prodi in den Regierungspalast. Dann lieber doch Berlusconi, dachten viele und wandten sich ab von der zerstrittenen, wenig glamourösen Linken. Der brachte wenigstens etwas Stabilität in Italiens Politik – auch wenn er nie stark genug war, um allein zu regieren. Und versprach Unterhaltung und Freiheit, noch so ein pathetisches Wort. Mit Freiheit war vieles gemeint, nicht nur unternehmerische, sondern Freiheit vom Staat, Freiheit vor dem Gesetz, Freiheit von Moral.

Private Affären. Ausgerechnet auf dem Höhepunkt seiner Macht aber verlässt ihn sein politischer Instinkt. Nie zuvor hat sein Mitte-Rechts-Bündnis über eine so große Mehrheit verfügt wie in seiner letzten Amtszeit, nie zuvor ist das Regieren so bequem. Berlusconi aber versinkt im Sumpf seiner privaten Affären. Es bleibt seiner Ehefrau Veronica Lario vorbehalten, die „schamlosen Luder im Dienste der Macht“ öffentlich anzuprangern, mit denen sich ihr Mann umgibt und die er mit politischen Ämtern belohnt. Nach der Affäre mit der minderjährigen Noemi Letizia reicht sie die Scheidung ein. Das schadet ihm mehr als alle politischen Skandale.

Seither reißen die Enthüllungen über schmuddelige Orgien und käuflichen Sex am Hofe Berlusconi nicht mehr ab. Der Höhepunkt ist im Frühjahr 2011 erreicht, mit einer Anklage wegen Prostitution Minderjähriger und Amtsmissbrauchs. Italien verkommt zur Bunga-Bunga-Republik, über die die ganze Welt lacht. Selbst der Vatikan, der immer bestens gefahren ist mit Berlusconi, sorgt sich seither um Sitte und Moral. Jeder andere in Europa wäre spätestens jetzt zurückgetreten. Berlusconi bleibt. Bis zum bitteren Ende.

Ein letzter Akt steht noch aus. Wie wird er seine Haut retten? Verliert er die schützende Immunität, droht ihm in drei großen Prozessen eine Verurteilung. Abgeordneter bleibt er, Parteichef auch, doch wird er wohl versuchen, wenigstens eine Ernennung zum Senator auf Lebenszeit auszuhandeln. Eine Belohnung für seine Verdienste für Italien, das Land, das er so liebt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.11.2011)

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