"Endlich sind wir frei" - Rom feiert das Ende der Ära Berlusconi

Endlich sind frei feiert
Endlich sind frei feiert(c) AP (Angelo Carconi)
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Reportage: Am Samstagabend verfolgten Tausende auf den Straßen den Rücktritt des Premiers – und tanzten bis in die Früh.

Endlich. Es ist 21.42 Uhr, als auf der Piazza vor dem Quirinale, dem Palast des Staatspräsidenten, die Korken knallen. Wildfremde liegen sich in den Armen, viele tanzen, manche wischen sich die Tränen ab. Junge Männer bilden eine Polonaise, taumeln im Überschwang über den Platz. „Endlich“, ruft Paola Mirelli, „endlich, wir sind frei.“ Dann bricht der jungen römischen Studentin die Stimme. Seit Stunden hat sie mit Freunden der Dinge geharrt, die da hoffentlich kommen, endlich.

Man vertreibt sich die Kälte dieser sternklaren Nacht mit aufmunternden Rufen, singt, tanzt, skandiert Schmährufe. Es sind vor allem die Jungen, die Frauen, die sich an diesem historischen Abend versammelt haben, mobilisiert über Handy und Facebook. Die, die am Regime des Silvio Berlusconi schier verzweifelt sind und hoffen, dass sich dieses geschundene, gespaltene, großartige Land wird heilen können nach zwei verlorenen Jahrzehnten. Politiker sieht man nicht, die sitzen in ihren Palästen, überrannt vom Tempo der Ereignisse. Vorne spielen Musikstudenten das „Halleluja“ aus Händels Messias. Immer wieder werden in tausenden von Handys die Nachrichten geprüft. Wann kommt er? Wann fährt er los aus seiner Privatresidenz drüben an der Piazza Venezia, um seinen vorerst letzten Gang zu tun?

„Silvio ab ins Gefängnis“

Als Silvio Berlusconi in einer gepanzerten Limousine in den Palast einfährt, beginnt der Platz zu kochen. „Buffone“, Hanswurst, rufen sie, „Mafioso“, „Silvio ab ins Gefängnis“. Wieder Warten, solange kann das doch nicht dauern. „Vielleicht sollten wir ihn mal auf dem Handy anrufen“, sagt ein Mann.

Rundherum lacht alles, es herrscht Euphorie, wenigstens für ein paar Stunden, in dieser Nacht, in der Silvio Berlusconi gehen muss. Einige fürchten noch immer, dass er im letzten Augenblick noch einmal beweist, wozu er fähig ist. Dann endlich kommt die befreiende Nachricht. Der Platz singt „Bella Ciao“ und schließlich die Nationalhymne. Silvio Berlusconi zeigt sich nicht. Er verlässt den Palast durch den Hintereingang, ein schmähliches Ende.

Die Menge setzt sich in Bewegung, die Menschen ziehen wie von einem Magneten gezogen hinüber zum Palazzo Grazioli, wo sich Berlusconi erneut mit seinen Getreuen verschanzt hat. Autos und Motorini rasen hupend durch das Zentrum, rund um die Piazza Venezia bricht der Verkehr zusammen. Die Stadt feiert wie nach einem Weltmeistertitel bis spät in die Nacht hinein.

Alte Garde im Parlament

Giorgio Napolitano, der 86-jährige Staatspräsident, wird nur wenige Stunden schlafen. Um neun Uhr am nächsten Morgen, einem strahlenden, klaren Herbsttag, beginnt er die Beratungen mit allen politischen Kräften, die die Verfassung vorschreibt für diesen Fall. „Habt Ihr gesehen, was das für ein herrlicher Tag ist?“, fragt Mario Monti die wartenden Journalisten, als er sein Hotel verlässt, und er meint es durchaus doppeldeutig. Es ist vieles offen an diesem Tag 1 nach Berlusconi, doch an einem besteht kaum noch Zweifel: Der 68-jährige Wirtschaftsprofessor und einstige EU-Wettbewerbskommissar wird Italiens nächster Regierungschef werden.

Von Monti, der in seinen Brüsseler Jahren hinlänglich bewiesen hat, dass er Konflikte nicht scheut, wird nun erwartet, dass er die Sanierung der Staatsfinanzen und umfassende Reformen einleitet. Er ist dabei auf die Unterstützung eines Parlaments angewiesen, in dem nach wie vor die alte Garde sitzt – und vor allem auf die von Silvio Berlusconi, der nur einen Tag nach seinem Rücktritt schon wieder droht.

„Die Tage werden nicht immer so strahlend sein“, sagt Monti, als er am Sonntag die Messe in einer Kirche im Stadtzentrum besucht. Ein Passant wünscht „Viel Glück, Herr Ministerpräsident“. Monti dankt höflich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2011)

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