Blut, Schweiß und Tränen für Italien

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Der neue italienische Regierungschef, Mario Monti, braucht eine breite Mehrheit, um die notwendigen Reformen auf den Weg zu bringen. Die Finanzmärkte gönnen ihm keine Atempause.

Rom. Noch ist er gar nicht im Amt, doch die Erwartungen an Mario Monti, Italiens designierten Ministerpräsidenten, sind enorm. Gestern begann der 68-jährige Wirtschaftsprofessor mit den Konsultationen aller im Parlament vertretenen politischen Parteien. Antreten kann er nur, wenn er eine breite Mehrheit hinter sich weiß, im barocken Römer Politikbetrieb alles andere als selbstverständlich. Auch die Sozialpartner will er noch treffen, ehe sein Kabinett vereidigt wird. Sowohl die Unternehmer als auch vor allem die Gewerkschaften werden eine entscheidende Rolle dabei spielen, ob Monti das Kunststück gelingt, die überfälligen Reformen für Italien einzuleiten, brutale Sparmaßnahmen zu exekutieren – und gleichzeitig die Wirtschaft anzukurbeln.

Dass er sich dieser Aufgabe gewachsen fühlt, daran ließ der frühere EU-Kommissar keinen Zweifel. „Italien muss wieder zu einem Kraftelement der EU aufrücken“, sagte er, nachdem ihm der Staatspräsident am Sonntagabend das Mandat erteilt hatte, eine Übergangsregierung zu bilden. Für besonders wichtig hält Monti es, im Interesse der nachkommenden Generationen die soziale Gerechtigkeit herzustellen.

Doch die Finanzmärkte gönnten Italien gestern keine Atempause. Zwar konnte es fünfjährige Staatsanleihen im Wert von drei Milliarden Euro platzieren, die Renditen stiegen aber auf 6,29 Prozent. Allein bis zum April kommenden Jahres werden weitere Staatstitel in Höhe von 200 Mrd. Euro fällig, die Zeit drängt also, und das weiß Monti nur allzu gut. Sein Notstandskabinett wird den Italienern ein Blut-Schweiß-und-Tränen-Programm verordnen.

Nulldefizit bis 2013

Unter dem Druck der EU hat Silvio Berlusconi ein eilends zusammengeschustertes Haushaltsgesetz auf den Weg gebracht. Wichtigstes Ziel ist, bis 2013 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, Italiens rekordhohe Staatsverschuldung von 1,9 Billionen Euro zu drosseln und gleichzeitig Strukturreformen einzuleiten. Italiens Defizit wird in diesem Jahr bei etwa vier Prozent des BIPs und damit sogar leicht unter dem EU-Durchschnitt liegen, an harten Schnitten aber führt kein Weg vorbei. Die scheidende Regierung hat zwar bereits Sparmaßnahmen in Höhe von fast 100 Milliarden Euro verabschiedet, doch schon macht in Rom das Schreckensszenario eines Nachtragshaushalts die Runde.

Bereits beschlossen ist, dass auch die Italiener künftig länger arbeiten werden. Das Pensionsalter soll auf 67 Jahre steigen, allerdings erst ab 2026. Vermutlich wird der Termin vorgezogen werden müssen, und auch über die großzügigen Regelungen für Frühpensionen, die bisher unangetastet blieben, wird wohl neu verhandelt werden. Die Gewerkschaften wollen indes verhindern, dass am Kündigungsschutz gerüttelt wird. Berlusconi konnte lediglich noch durchsetzen, dass öffentliche Arbeitgeber leichter als bisher Beschäftigte auf andere Stellen versetzen können. Ebenfalls bereits beschlossen sind verschiedene Maßnahmen, um die Staatseinnahmen zu erhöhen. Dafür sollen beispielsweise Städte und Kommunen Tochterunternehmen privatisieren, außerdem soll der Staat Immobilien veräußern.

Keine Entwarnung aus Brüssel

Reichen wird das alles nicht. Punkt für Punkt listete die Tageszeitung „Corriere della Sera“ gestern auf, was Europa an Reformen erwartet: Eine Straffung der öffentlichen Verwaltung, eine Liberalisierung des Arbeitsmarktes, die Halbierung des Römer Politikbetriebes und die Abschaffung lieb gewordener Privilegien, eine neue Steuergesetzgebung und vieles mehr.

Auch aus Brüssel gibt es vorerst keine Entwarnung. Zwar begrüßten Ratspräsident Herman Van Rompuy und Kommissionspräsident José Manuel Barroso die Nominierung Montis als „ermutigendes Signal“ zur Überwindung der Krise. Italien bleibt aber unter Überwachung der EU. Bereits Mitte vergangener Woche, auf dem Höhepunkt der politischen Krise, waren die ersten Brüsseler Experten in Rom eingetroffen, um über die Bücher zu gehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.11.2011)

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