Schröder: „Das politische System hat sich erschöpft“

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Russlandexperte Hans-Henning Schröder erklärt, warum Putin in seiner dritten Amtsperiode unter großem Druck steht und warum den Eliten ein Plan fehlt.

Die Presse: Unter welchen Vorzeichen steht denn Wladimir Putins nächste Präsidentschaft?

Hans-Henning Schröder: Er wird unter sehr viel höherem Druck stehen als in seinen ersten beiden Amtszeiten von 2000 bis 2008. Die russische Gesellschaft muss eine irrsinnige Spannung aushalten: Es gibt 0,5 Prozent Reiche und Superreiche und 80 Prozent Arme. Die soziale Lage hat sich durch die Rohstoffeinnahmen in den ersten beiden Amtsperioden Putins verbessert, aber seit 2008 – der Finanzkrise – stagniert diese Entwicklung.

Damals kam Dmitrij Medwedjew ins Amt – und mit ihm die Modernisierungsrhetorik.

Das ist nicht nur eine Masche Medwedjews. Die Modernisierung ist ein Versuch, die Wirtschaft innovationsfähig zu machen und Wachstum auf eine andere Basis zu stellen. Die soziale Spannung lässt sich nur aushalten, wenn man etwas verteilen kann – und das kann man nur, wenn es Wachstum gibt. Putin wird nun genauso modernisieren wollen wie Medwedjew. Beide haben zwei große Probleme: Die Eliten sind eigentlich nicht interessiert an einer Modernisierung, weil alles, was dazu gehört – günstiges Investitionsklima, Sicherheit, Korruptionsbekämpfung – ihre Privilegien beschneidet. Zweitens: Die Investitionen sind nach 2008 eingebrochen und nicht wirklich gewachsen. Modernisieren kann man aber nur mit einem hohen Anteil an ausländischem Kapital. Oder zumindest müsste das russische Fluchtkapital zurückfließen.

Wie könnte der Präsident das bewerkstelligen?

Nicht, indem er sie erpresst. Also muss Putin ihnen gute Verdienstmöglichkeiten und eine gewisse Sicherheit bieten. Medwedjew wollte einen Teil der Staatskooperationen verkaufen, damit Fluchtkapital zurückkommt und reinvestiert wird. Das wurde von den Beamten gestoppt, die an den intransparenten Firmen gut verdient haben. Fraglich ist, ob Putin in der Lage wäre, das durchzusetzen, ob er das überhaupt will oder nicht doch eher seine Klientel unter den Beamten erhalten muss.

Sie haben Putin einmal als „Verwalter des russischen Reformstaus“ bezeichnet.

Es gibt diese soziale Spannung, daher muss er die Löhne erhöhen. Auch das lässt sich nur finanzieren, wenn es Wachstum gibt. Momentan stehen die Prognosen auf drei Prozent – das spricht eigentlich nicht dafür. Gleichzeitig muss Putin Großunternehmern Anlagemöglichkeiten im eigenen Land bieten, aber auch den Beamten und Geheimdienstleuten etwas bieten. Wie er aus diesem Dilemma herauskommt, ist mir wirklich nicht klar. Ihm offensichtlich auch nicht – obwohl ich denke, dass er das Problem begreift. Er hat sicher größere Fähigkeiten, sich durchzusetzen, als Medwedjew. Aber es gibt keinen Plan, kein Konzept. Ich vermute, man wird fürs Erste „durchwursteln“. Das Problem ist: Das politische System und die Öffentlichkeitsarbeit, mit denen er zwölf Jahre lang gut gefahren ist, haben sich erschöpft. Es gibt derzeit Ansätze, das System zu verbreitern. Beispiel: die Zulassung der Partei „Gerechte Sache“, Putins „Volksfront“. Das greift aber alles nicht richtig. Die Spitzen werden in den nächsten zwei, drei Jahren versuchen, das politische System neu aufzustellen. Sie werden weiter versuchen, zu lenken und zu kontrollieren. Allerdings müssen sie 140 Millionen Leute dazu bringen, sie zu unterstützen. Oder wenigstens 120 Millionen dazu bringen, apathisch zu sein. Aber das geht schon (lacht).

Inwieweit sind die außenpolitischen Initiativen – Stichwort Eurasische Union – eigentlich Wahlkampfgetöse bzw. Ablenkung von Schwächen im Inneren?

Ich denke, es sind ernsthafte Projekte. Inwieweit sie realistisch sind, ist eine andere Frage. Russland sieht sich als Großmacht, das seine Interessensphäre – den postsowjetischen Raum – konsolidieren möchte. Als Ablenkung von den Problemen des Landes taugt das nicht. Man kann ja den Menschen nicht sagen: Regt euch nicht so auf, dass Brot und Benzin teurer geworden sind, dafür ist die Ukraine jetzt wieder unser Freund und demnächst Teil des Landes! So löst man keine Probleme. Die Bürger haben genug davon, das beeindruckt sie nicht wirklich.

Man hat Ihnen ja im Oktober kurzfristig die Einreise nach Russland verwehrt mit dem Argument, Sie würden ein Sicherheitsrisiko darstellen. Hat sich der Vorfall für Sie aufgeklärt?

Ich war zwischenzeitlich wieder dort und hatte keine Probleme. Man hat sich damals formell bei mir entschuldigt: Von Seiten des Außenministeriums sei nie etwas gegen mich vorgelegen. Ich gehe davon aus, dass den Sicherheitsorganen irgendetwas über die Leber gelaufen ist. Dann hat jemand ein Häkchen auf einer Liste gemacht – ein „Dummkopf“, wie mir jemand erklärte.

Zur Person

Hans-Henning Schröder ist an der deutschen Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin tätig. Er beschäftigt sich mit russischer Außen- und Sicherheitspolitik politik und Transformationsprozessen in dem Land. [Internet]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.12.2011)

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