„Die haben kein Problem, Sie zu erschießen“

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Der neue nordkoreanische Führer Jong-un sei intelligent, aber bösartig. Er dürfte 2012 eine Atombombe zwecks Machtdemonstration testen, warnt Daniel Pinkston von der "International Crisis Group" im Interview.

Die Presse: Hat der neue nordkoreanische Führer Kim Jong-un, der Sohn des verstorbenen Kim Jong-il, den Staatsapparat schon jetzt stärker unter Kontrolle, als man im Ausland glaubt?

Daniel Pinkston: Kim Jong-il ließ seinen Sohn schon im Sommer mit der Verantwortung für militärische Angelegenheiten und die Sicherheitsdienste zu Hause in Pjöngjang, als er seine letzte Bahnreise nach China und Russland antrat. Das Regime beschleunigt das Training von Jong-un und den Aufbau der Propaganda und des Mythos rund um seine angeblichen wissenschaftlichen und technischen Fähigkeiten, seine Sprachkenntnisse: Er spricht demzufolge acht Sprachen und ist gerade dabei, eine neunte zu lernen.

Ein bemerkenswerter Bursche...

Natürlich sind das alles Übertreibungen. Aber ich glaube nicht, dass er dumm oder inkompetent ist. Ende der 1980er-Jahre verbreitete der südkoreanische Geheimdienst allerlei Falschinformationen über Kim Jong-il, um seine Autorität zu untergraben: Dass er nicht sprechen könne, dass er von einem Pferd gestürzt sei und einen Hirnschaden erlitten habe, dass er den ganzen Tag lang nur säuft und ständig raucht, weshalb er Brandlöcher in allen Möbeln hinterlasse und so weiter. Die allgemeine Wahrnehmung damals war folglich: Sobald Kim Il-sung stirbt, ist es aus mit diesem System. Ich hatte damals aber einen koreanischen Studienkollegen. Und der sagte: Schau, ich glaube das keine Sekunde lang. Dieser Staat ist Kim Il-sungs Baby. Warum würde er es jemandem in die Hände legen, der so ist, wie ihn die südkoreanischen Geheimdienste beschreiben? Dasselbe gilt auch jetzt. Warum hätte Kim Jong-il jemanden auswählen sollen, der dumm und unfähig ist?

Was für ein Mensch ist Jong-un?

Die Südkoreaner halten ihn für schlau und nehmen ihn nicht auf die leichte Schulter. Zudem haben die US-Geheimdienste ein psychologisches Profil erstellt. Sie haben jeden interviewt, der in Europa Kontakt mit ihm hatte; er ging ja in der Schweiz zur Schule. Also sprachen sie mit den Lehrern, dem Fahrer, den Klassenkollegen, dem Haushälter. Ihr Urteil: er ist rachsüchtig, niederträchtig, die Art von Kind, die einem lebenden Frosch die Beine abschneidet.

Wir bekommen es also mit einer intelligenten, ziemlich böswilligen Person zu tun, die möglicherweise vor sozialen Unruhen steht und weiß, was mit Gaddafi und Mubarak geschehen ist. Was wird Jong-un tun?

Das System ist so aufgebaut, dass man fast dazu gezwungen ist, so wie bisher weiter zu regieren. In so einem System ist so etwas wie ein Nukleartest oder eine militärische Machtprobe zum Zweck der inneren Einheit und Stabilität nützlich. Und stellen Sie sich vor, was man mit jemandem machen würde, der die Nachfolge durch Jong-un in Frage stellt. Der würde erschossen. Die haben kein Problem, Sie, Ihre Familie, den gesamten Wohnblock zu erschießen. Das schafft eine Aura von erstaunlicher Macht. Dazu kommt, dass das Regime die gegenwärtige Regierung in Südkorea verachtet. Jede Möglichkeit, Seoul zu erniedrigen oder das Vertrauen in sie zu untergraben, würde dem Regime nützlich erscheinen. 2012 findet etwa der Nukleargipfel in Seoul statt, mit Obama, Sarkozy und all den anderen.

Wie versaut Pjöngjang diese Party?

Es wird sagen: Ihr glaubt, wir werden Euch einfach gehorchen? Das ist fast wie eine Herausforderung, einen Nukleartest zu veranstalten.

Gibt es Zeichen dafür, dass Pjöngjang solche Tests vorbereitet?

Vermutlich gibt es zwei oder drei geheime Anlagen, wo Uran angereichert wird. Das würde erklären, wieso die Nordkoreaner das Interesse am Plutonium verloren haben. Denn dafür braucht man einen Reaktor, der fast unmöglich zu verstecken ist.

Während eine Uran-Anreicherungsanlage leichter zu verstecken ist.

Genau. Wenn Nordkorea genug hoch angereichertes Uran für eine Bombe hat, könnte es eine Uranbombe der ersten Generation bauen. Das ist Technologie der 1940er-Jahre. Die braucht man nicht zu testen. Aber wenn man versucht, diese Bombe zu verkleinern, um das spaltbare Material sparsam einzusetzen, muss man sie testen. Und dann könnten die Nordkoreaner die Testdaten mit dem Iran teilen. Die haben die selbe Art von Raketen. Für den Iran wäre so eine Test sehr teuer: es gäbe neue Sanktionen. Für Nordkorea hat der Test aber keine Kosten. Iran könnte in bar für die Testergebnisse zahlen. Der Nutzen dieses perversen Handels wäre beiderseitig. Der Iran kann weiterhin Spielchen mit der UN-Atombehörde treiben. Und Nordkorea bekäme Bargeld, um das Regime aufrecht zu erhalten.

Auf einen Blick

Daniel Pinkston ist Nordkorea-Experte des Forschungsinstitutes International Crisis Group. Vor seiner wissenschaftlichen Laufbahn arbeitete er Anfang der 1980er-Jahre als Koreanisch-Linguist für die US-Luftwaffe. [Crisis Group]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.12.2011)

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