Neue Ängste vor Atommacht nach Kim Jong-ils Tod

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Mit dem Tod des nordkoreanischen Machthabers Kim Jong-il stürzt die Koreanische Halbinsel in Phase der Unsicherheit. Südkoreanische Armee ist in Alarmbereitschaft. Welche Szenarien gibt es für weitere Entwicklung?

Weinen, schreien, toben, wehklagen – hunderte Bewohner der nordkoreanischen Hauptstadt Pjöngjang trauern um ihren „geliebten Führer“ Kim Jong-il. Die Fahnen stehen auf Halbmast, das Staatsfernsehen zeigt in Tränen aufgelöste Bürger des weitgehend von der Außenwelt abgeschnittenen Landes.

Der Tod von Kim Jong-il stürzt die koreanische Halbinsel in eine Phase der Unsicherheit, die südkoreanische Armee ist in Alarmbereitschaft versetzt worden.

Szenario 1: Eskalation

Die Phase der Konsolidierung der neuen Machthaber in der Hauptstadt Pjöngjang birgt enormes Risikopotenzial in sich. Machtdemonstrationen würden sich gegen Südkorea oder Japan richten, die Führung in Pjöngjang könnte Provokationen setzen, sollte sie im Inneren unter Druck geraten.

Es steht einiges auf dem Spiel: Nordkorea verfügt über mindestens vier Atomsprengköpfe oder könnte diese zumindest rasch herstellen. Die zwei bisherigen Atomwaffentests – einer im Jahr 2006, ein weiterer im Mai 2009 – haben die Weltöffentlichkeit schockiert. Dass das nordkoreanische Militär unmittelbar vor der Veröffentlichung der Todesnachricht von Kim Jong-il an der Ostküste von Nordkorea eine Kurzstreckenrakete getestet hat, sorgte in Seoul, Tokio und Washington für größte Nervosität.

2010 waren die Beziehungen zwischen den beiden Staaten schon einmal auf einem Tiefpunkt: Die südkoreanische Korvette Cheonan wurde von Nordkorea versenkt, 46 Matrosen starben, kurz darauf folgte ein Artillerieangriff auf die südkoreanische Insel Yeonpyeong, bei dem zwei südkoreanische Soldaten getötet wurden. Dass die Umwälzungen im Nahen Osten im Zuge des Arabischen Frühlings die Machthaber in der nordkoreanischen Hauptstadt Pjöngjang unbeeindruckt gelassen haben, ist höchst unwahrscheinlich.

Szenario 2: Status quo

Fürs Erste haben alle Nachbarstaaten Interesse, den Status quo zu konservieren. Ein rascher Übergang birgt die Gefahr eines Kollaps des nordkoreanischen Regimes in sich: Und niemand kann die Konsequenzen einer Implosion des Regimes in Pjöngjang abschätzen.

Nach dem Schlaganfall von Kim Jong-il im Jahr 2008 wurde Vorsorge für dessen Nachfolge getroffen. Kim Jong-il schob seinen jüngsten Sohn Kim Jong-un immer mehr in der Vordergrund, Kim Jong-ils jüngere Schwester, Kim Kyong-hui, und deren Ehemann Chang Sung-taek sollten den 29-jährigen Nachfolger für seine Position an der Spitze von Partei und Staat vorbereiten. „Möglicherweise steht er nur als Primus inter Pares an der Spitze“, meint der an der Universität Wien tätige Korea-Experte Rüdiger Frank. „Eine kollektive Führung nach Chinas Vorbild, getragen durch die Partei, würde den Weg zu Reformen nach dem Beispiel des großen Nachbarn ebnen und von diesem massiv unterstützt werden“, sagt Frank.

Szenario 3: Implosion

Sollte die Situation aber außer Kontrolle geraten, „dann ist alles offen, das Militär würde eingreifen oder es könnte sogar zum Bürgerkrieg kommen“, meint Frank. Nuklearwaffen in Nordkorea, China im Norden und US-Soldaten am 38. Breitengrad, direkt an der Grenze zwischen beiden Koreas – da darf tatsächlich nichts schiefgehen.

Szenario 4: Wiedervereinigung

Die derzeitige südkoreanische Regierung von Lee Myung-bak und die USA sind ebenso wie die Nachbarn Japan, China und Russland zumindest mittelfristig an Stabilität interessiert. Eine Wiedervereinigung beider Teile Koreas ist offiziell weiterhin das erklärte Ziel beider koreanischer Staaten.

Eine Wiedervereinigung wäre eine Herausforderung für die Nachbarn Koreas: China verlöre den Vasallenstaat Nordkorea, die USA müssten sich wohl aus einer wiedervereinigten koreanischen Halbinsel zurückziehen – andernfalls würde China einer solchen Lösung keinesfalls zustimmen.

Ein geeintes Korea würde für Japan zu einem noch härteren wirtschaftlichen Konkurrenten heranwachsen, als es der dynamische Süden heute schon ist.

Für beide Teile Koreas wiederum wäre die Wiedervereinigung eine gewaltige Herausforderung: Die dem deutschen Steuerzahler entstandenen Wiedervereinigungskosten von 1,2 bis 1,5 Billionen Euro sind günstig verglichen mit den gigantischen Investitionen, die der Süden Koreas im Norden tätigen müsste. Peter Beck, Experte an der Stanford University, berechnet die Wiedervereinigungskosten mit bis zu vier Billionen Euro. So stehen auch auf der Koreanischen Halbinsel die Zeichen auf Veränderung: 2011 war keine Spur vom „Ende der Geschichte“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.12.2011)

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