Nordkorea: "Trauer auf den Straßen ist nur inszeniert"

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Kim Jong-ryul, Ex-Offizier der nordkoreanischen Armee, über seine abenteuerliche Flucht nach Österreich, den Wunsch, seine Familie nach 17 Jahren wiederzusehen und darüber, wie es in Nordkorea nun weitergeht.

Wien. Kim Jong-ryul wartet im Anzug in einem Café in der Nähe des Wiener Westbahnhofs. Ein schmächtiger Herr, mit grauen Haaren, die er streng zurückgekämmt trägt. „Dieser Anzug“, wird er gleich zu Beginn sagen, „den habe ich getragen, als ich im Oktober 1994 geflüchtet bin.“ Der Anzug ist von großer Bedeutung für ihn. Er hat ihn in die Freiheit begleitet.

Die Presse: Diktator Kim Jong-il ist tot. Welche Gedanken gehen Ihnen durch den Kopf?

Kim Jong-ryul: Ich bin nicht in Trauer. Es ist höchste Zeit, dass er von dieser Welt verschwunden ist.

Haben Sie Kim Jong-il persönlich gekannt ?

Ja, ich habe ihn mehrmals getroffen und ihm sogar in seinem Arbeitszimmer die Hand geschüttelt. Ich war in seiner persönlichen Eskorte für den Fuhrpark zuständig.

Warum sind Sie aus Nordkorea geflüchtet?

Weil es dort keine Freiheit gibt. Nordkorea ist ein Land, in dem kein Mensch atmen kann. Schon gar nicht ein halbwegs gebildete Mensch, wie ich einer bin. Ich bin 20 Jahre lang immer wieder nach Wien gereist, war damals Einkäufer für den Diktator. Ich musste Luxuswaren einkaufen, Waffen, Test- und Forschungsgeräte. Da habe ich natürlich begonnen, diese beiden Systeme zu vergleichen: Kapitalismus und Sozialismus. In Nordkorea kann man nicht, so wie hier, gemütlich etwas essen gehen und plaudern. In Nordkorea verhungern die Menschen, obwohl nicht einmal Krieg ist.

Sie sind im Jahr 1994 nach Österreich geflohen.

Ja, im Oktober. Ein paar Monate zuvor – am 8. Juli 1994 – ist Diktator Kim Il-sung gestorben. Damals dachte ich: Jetzt kommt die Wende. Ich habe gehofft, dass ich nach zwei bis drei Jahren zurück nach Nordkorea kommen kann. Und jetzt sind 17 Jahre vergangen und das System ist noch intakt. Aber nun ist auch Kim Jong-il tot, vielleicht kommt es jetzt zu einem Wandel.

Haben Sie noch Kontakt zu Ihrer Familie?

Nein. Das wäre auch nicht möglich gewesen. Ich habe ja meinen Tod inszeniert: Jeder sollte glauben, ich sei in Bratislava von slowakischen Kriminellen beraubt worden, die dann meine Leiche verschwinden haben lassen. Von dort aus bin ich nach Österreich geflüchtet. Ich konnte nicht wieder auftauchen, ohne meine Familie zu gefährden. Ich weiß nicht, ob meine Frau, meine Tochter oder mein Sohn noch leben.

Wissen Sie denn gar nichts aus Nordkorea?

Doch. Ein ehemaliger Geschäftspartner, der immer wieder nach Nordkorea reist, hat mir berichtet, dass ich nach meinem Tod sogar den Heldentitel bekommen habe.

Man sieht Nordkoreaner in den Straßen weinen. Haben sie Kim Jong-il vergöttert?

Nein. Kim Jong-il war nicht beliebt. Diese Trauerszenen sind nur inszeniert.

Wie viele Menschen sind Gegner des Systems?

Die meisten Intellektuellen und davon gibt es in Nordkorea viele. Aber das gesteht man nur unter Freuden ein. Nach außen wird der Schein gewahrt: Man muss etwa die Porträts der Führer jeden Tag in der Früh putzen, das wird sogar von der Partei kontrolliert.

Glauben Sie, dass das Regime noch lange so weiterleben kann?

Wenn Kim Jong-un klug ist, lockert er das System. Wenn er das nicht macht, wird das Volk irgendwann einen Aufstand machen.

Warum ist die Diktatur derart stabil?

Weil das Land isoliert ist. Die Jugend erfährt nichts von der freien Welt. Aber die Jungen wären die Hauptkraft der Revolution. Einer Revolution, wie sie im Arabischen Frühling passiert ist.

Wie beurteilen Sie die aktuellen politischen Entwicklungen in Nordkorea?

Im Jänner wird das Politbüro Kim Jong-un offiziell zum Nachfolger ernennen. Schon der verstorbene Kim Jong-il wollte das System etwas lockern, aber die Generäle waren dagegen. Sie halten an der Diktatur fest, weil sie fürchten, wenn sie auch nur einen Spalt aufmachen, könnten sie alles verlieren.

Möchten Sie ihr Land eigentlich wiedersehen?

Ja, vor dem Sterben muss ich ja wenigstens wissen, wie es meiner Frau, meinem heute 46-jährigen Sohn und meiner mittlerweile 41-jährigen Tochter geht.

Ihr Fazit nach 17 Jahren im Untergrund?

Ich atme und ich lebe noch. Und inzwischen habe ich auch die westliche Welt kennengelernt: Der Kapitalismus ist auch nicht perfekt. Aber das Sozialsystem funktioniert, den Menschen geht es gut.

Glauben Sie nicht mehr an den Kommunismus?

Karl Marx war gar nicht so dumm. Aber Nordkorea, das ist kein Kommunismus. Diese Führerideologie hat mit Karl Marx nichts zu tun. Die Herrschenden können nicht einmal ihr Volk ernähren. Hunger-Kommunismus, genau das ist es.

Buch über Einkäufer des Diktators

Ingrid Steiner-Gashi/Dardan Gashi: Im Dienst des Diktators.
Der heute 77-jährige Kim Jong-ryul beschaffte für Nordkorea Konsumgüter und Waffen in Europa. 1994 flüchtete er nach Österreich. Seither lebt er hier, zuerst als „U-Boot“, mittlerweile als Asylwerber. „Emil“ – so sein Deckname – ist Zeitzeuge, Ankläger, Opfer und Mittäter zugleich. Verlag Carl Ueberreuter, Wien. 19,95 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.12.2011)

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