Der nordkoreanische Machtinhaber Kim Jong-il wurde unter den Tränen der Bevölkerung zu Grabe getragen. Im Hintergrund geht der Machtkampf um seine Nachfolge weiter.
Tokio. Die alte, schwarze Staatslimousine hatte auch schon bessere Tage gesehen. Als sie mit den sterblichen Überresten des bizarren nordkoreanischen Machthabers Kim Jong-il im Schritttempo durch die schneebedeckten Straßen von Pjöngjang rollte, schien die ganze Nation in unbändiger Trauer. Fernsehbilder zeigten, wie sich Menschenmengen am Straßenrand nach einem letzten Blick auf den vor zwölf Tagen verstorbenen 69-Jährigen verzehrten. Soldaten senkten im Schmerz ihre Köpfe, eine Frau sprach ins Reportermikrofon: „Wenn ich den weißen Schnee fallen sehe, muss ich an die genialen Errungenschaften des Großen Generals denken und das treibt mir die Tränen in die Augen.“ Schluchzende Frauen riefen „Vater, Vater, wie soll es nun in unserem Paradies der Werktätigen weitergehen?“
Die Antwort darauf lief in diesem Augenblick gerade an ihnen vorbei. Mit einer Hand am Seitenspiegel begleitete der jüngste Spross der Kim-Dynastie, Kim Jong-un, den Sarg seines Vaters. Was auf viele Menschen außerhalb Nordkoreas (und vielleicht auch innerhalb des Landes) verkitscht und verlogen wirken kann, gefällt den altstalinischen Propagandisten. Denn genau diese Bilder vom Trauerzug, übertragen vom Staats-TV, haben sich die künftigen Führer Nordkoreas wohl gewünscht. Deuten sie doch symbolisch darauf hin, dass die kommunistische Dynastie weiterhin dem Land vorsteht, die Macht im Hintergrund aber den Militärs und Funktionären gebührt.
Onkel und Stabschef sind die Machthaber
Auf Kim Jong-il folgt zwar wahrscheinlich Kim Jong-un – es war aber bei der Beisetzung klar, wer wirklich an den Fäden zieht: Onkel Jang Song-thaek und der Stabschef der Armee, Ri Yong-ho, die den „Großen Nachfolger“ keine Minute allein ließen.
Denn seine Position ist im Machtspiel um Nordkoreas Führung noch lange nicht geklärt: „Werden sich die Marschälle und Generale von einem Kim herumkommandieren lassen, der 40 oder gar 50 Jahre jünger ist?“, fragt sich Südkoreas früherer Außenminister, Yoon Young-kwan, der heute als Professor an der Seouler Nationaluniversität lehrt. Zudem sei es ein offenes Geheimnis, dass Kim Jong-il nach seinem Schlaganfall vor gut zwei Jahren Teile seiner Macht an die Militärs abtreten musste. Die beurteilten seine Führungskraft im inneren Zirkel recht kritisch. Laut Yoon warfen sie ihm vor, dass er das Verhältnis zu Südkorea spürbar verschlechterte und mit den USA und Japan gar keine Beziehung aufbauen konnte.
Nordkoreas Top-Offiziere wissen natürlich genau, dass die internationale Erpressung mit der Atombombe kein großes militärisches Potenzial hat. Yoon Young-kwan glaubt an die „Pakistan-Variante“: materielle Hilfe im Austausch gegen Zurückhaltung.
Dafür wäre allerdings auch bei den Militärs und Parteifunktionären ein Generationswechsel Voraussetzung. Experten des Seouler Instituts für nationale Sicherheitsstrategie vermuten, dass in Pjöngjang absehbar eine junge und pragmatische Wirtschaftselite das Ruder übernehmen könnte.
Japans führender Nordkorea-Spezialist Hitoshi Tanaka glaubt gleich an die aktuelle Herrschaft einer „kollektiven Autorität“. Beobachtungen zufolge „ist die absolute Führerbezogenheit nur eine Fassade“.
Streng genommen wäre eine solche anonyme Führung wahrscheinlich sogar besser geeignet, Nordkorea nach dem Poker um sein Nuklearprogramm aus der weltweiten Isolation herauszuführen. Selbst krasse Fehler wären leichter zu korrigieren, ohne gleich die heilige kommunistische Lehre infrage stellen zu müssen – selbst wenn es jetzt zu einer Kim-Dynastie in der dritten Generation kommt.
Auf einen Blick
Tod eines Diktators. Am 17. Dezember starb der nordkoreanische Machtinhaber Kim Jong-il im Alter von 69 Jahren. Gestern, Mittwoch, fand sein Begräbnis statt, an dem die Bevölkerung unter heftigen Trauer-bekundungen Anteil nahm. Das Begräbnis zeigte einmal mehr die wahren Machtverhältnisse: Kim Jong-ils Nachfolger wird vermutlich sein 29-jähriger Sohn Kim Jong-un. Im Hintergrund gewinnen aber Militärs und Parteifunktionäre sowie sein Onkel Jang Song-thaek an Macht.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.12.2011)