Mitt Romney und die sechs Zwerge

USA. Die Republikaner starten nach einem halbjährigen Ballyhoo bei der Vorwahl in Iowa ins Wahljahr 2012. Der Ausscheidungswahlkampf beginnt: Wer kann dem Favoriten Mitt Romney gefährlich werden? von THOMAS VIEREGGE

Washington. Mehr als ein halbes Jahr zieht sich der Vorwahlkampf der Republikaner schon hin, mehr als ein Dutzend TV-Debatten haben die Kandidaten bereits geschlagen, zahllose Testabstimmungen absolviert. In Umfragen sind manche der Präsidentschaftsbewerber wie Phönix aus der Asche aufgestiegen, um alsbald wieder jäh abzustürzen. Herman Cain, der afroamerikanische Selfmademan mit abenteuerlichen Wissenslücken und zweifelhaften moralischen Standards, hat seine hochfliegenden Ambitionen nach der Enthüllung peinlicher Sexvorwürfe wieder begraben müssen.

Um sieben Uhr abends Ortszeit schlägt am Dienstag in Iowa die Stunde für die sieben Kandidaten der Grand Old Party, die sich Chancen ausrechnen, am 6.November Barack Obama aus dem Weißen Haus zu jagen. Der Caucus, die Urwahl, im Agrarstaat im Mittleren Westen ist der Auftakt für das Wahljahr 2012. Hier begann vor vier Jahren auch Obamas Siegeszug, hier überrumpelte er Hillary Clinton, die nach der Papierform als Favoritin der Demokraten gegolten hatte.



Mitt

Romney
Umfrage in Iowa in %:

Der Ex-Gouverneur von Massachusetts hat vor vier Jahren zehn Millionen Dollar allein in den Wahlkampf in Iowa gesteckt. Er zog landauf und landab, um schließlich als enttäuschender Zweiter zu enden – geschlagen von Mike Huckabee, dem Überraschungskandidaten aus dem Süden, einem Hobby-Gitarristen und charismatischen Prediger. Mit dem Sieg hatten am Ende beide nichts zu tun: Die Nominierung der republikanischen Partei trug John McCain davon, der Iowa bewusst links liegen gelassen hatte. Er hatte sich stattdessen ganz auf New Hampshire konzentriert – den Bundesstaat im Nordosten, der eine Woche nach Iowa traditionell die ersten Vorwahlen bestreitet.

Heuer kopierte Romney das Erfolgsmodell McCains – und könnte angesichts des schwachen und zersplitterten Felds trotzdem einen Überraschungserfolg landen. Ein Doppelschlag – ein Sieg auch in New Hampshire, wo er wegen seines Feriendomizils am Lake Winnipesaukee quasi Heimvorteil genießt – könnte ihm schon einen vorentscheidenden Vorsprung einbringen. Dem 64-Jährigen wäre der Sieg vermutlich kaum noch zu nehmen, und die konservative Basis würde sich grummelnd hinter ihm scharen. Zuletzt sandte er mit einer harschen Position in der Immigrationsfrage Signale nach rechts aus. Wegen seiner wechselhaften Politik gilt er vielen Konservativen freilich immer noch als windelweich und „wischiwaschi“. Vor allem die Gesundheitsreform, die er in Massachusetts durchgesetzt hat, macht ihn für sie verdächtig.

Bis hin zur Ignoranz negiert er seine Gegner und greift als ausgewiesener Businessman den Präsidenten an seiner weichen Flanke an: der Wirtschaft. Seine Religion könnte noch zum Handicap des Mormonen werden.



Newt
Gingrich

Vor vier Wochen gab sich der ehemalige „Speaker“ des Repräsentantenhauses, der große Antagonist Bill Clintons in der turbulenten Zeit des Amtsenthebungsverfahrens, noch siegesgewiss. „Ich werde der Nominierte sein“, tönte er bombastisch nach einem sensationellen Comeback in den Umfragen, die ihn souverän auf Platz eins reihten. Eine Negativkampagne über Weihnachten, die seine doppeldeutige Politik schonungslos zerpflückte, machte seinen Höhenflug in Iowa jedoch zunichte. „Wenn er könnte, würde sich Romney das Weiße Haus gerne kaufen“, kritisierte er am Wochenende seinen Kontrahenten und kündigte eine scharfe Replik an.

Der Historiker und versierte Debattierer, der Präsident Obama nach dem Vorbild Abraham Lincolns in sieben dreistündigen Diskussionen gefordert hatte, ist ein Perpetuum mobile an Ideen – hat aber auch schon von allem das Gegenteil vertreten. „Ein Politiker, der sich gegen Geld mieten lässt“, wie der konservative Publizist George Will höhnte. Gingrich selbst vergleicht sich gerne mit Größen wie Churchill, de Gaulle und Reagan. Parteifreunde erinnern sich indes an seine Skrupellosigkeit und seine Doppelmoral. „Es ist wie bei Napoleon und seinen 100 Tagen“, meint Tom Cole. „Wir folgen ihm in die Schlacht– und hoffen, dass es nicht zum Waterloo wird.“ Obamas Berater hoffen indes auf einen Gegenkandidaten Gingrich. David Axelrod scherzte: „Je höher der Affe klettert, desto mehr sieht man seinen Po.“



Ron
Paul

Der 76-jährige Gynäkologe aus Texas, ein libertäres Urgestein und vom Establishment naserümpfend als Außenseiter und als unwählbar deklariert, zählt auf eine enthusiastische, jugendliche Anhängerschaft aus dem College-Milieu. Mit wehenden Fahnen ficht er wie ein Don Quijote gegen die Bürokratie und eine Übermacht des Staats, er plädiert für eine Abschaffung der Notenbank und mehrerer Ministerien.

Als leidenschaftlicher Gegner des Irak-Kriegs und Verfechter einer isolationistischen Strömung in der Außenpolitik fordert er zusammen mit seinem Sohn und wichtigsten Wahlhelfer Rand – einem Senator aus Kentucky – den Rückzug der US-Armee aus allen Winkeln der Welt und einen Austritt aus der UNO. Als staatsphilosophische Leitfiguren zitiert Ron Paul zwei altösterreichische Nationalökonomen: Friedrich von Hayek und Ludwig von Mises, die Begründer der „österreichischen Schule“.

Zuletzt musste er sich jedoch gegen Vorwürfe zur Wehr setzen, Rechtsextreme und Mitglieder einer faschistischen „Sturmfront“ hätten sein Team unterwandert. Zudem tauchten Pamphlete aus den 1970er- und 1980er-Jahren auf, die verschwörerisch von einem „Rassenkrieg“ faselten und von einer Aids-Vertuschungsaktion.



Rick
Santorum

Noch im Hochsommer krähte kein Hahn nach Rick Santorum, den 53-jährigen erzkonservativen Ex-Senator aus Pennsylvania, Enkel italienischer Immigranten und Bergarbeiter und Vater von sieben Kindern. Mit Bienenfleiß tingelte er durch die 99 Wahlkreise Iowas. Er besuchte das „Field of Dreams“ – Vorbild für Kevin Costners Baseball-Film über das Ideal eines ländlichen America. Im Farmland trat er vor einem Dutzend Rentner im Hinterzimmer eines Gasthauses im Dörfchen Strawberry Point auf und erklärte, den Cowboystiefel des linken Fußes lässig auf einem Sessel aufgestützt, sein Weltbild und sein Angstszenario – den Verlust der Freiheit, der amerikanischen Werte und des US-Einflusses als Führer der westlichen Welt.

Als Propagandist von Familienwerten, als glühender Abtreibungsgegner und authentischer Konservativer, der seine Botschaften auch vorlebt, hat Santorum das Feld von hinten aufgerollt. Eine jüngste Umfrage des „Des Moines Register“, der Zeitung mit dem Puls an der Meinung der republikanischen Stammwähler, stellt sogar einen Überraschungserfolg für Santorum in Aussicht – ähnlich wie anno 2008 für Huckabee. Romney sah sich bereits zu einem ironischen Konter gezwungen, weil Santorum vor vier Jahren eine Wahlempfehlung für ihn abgegeben hatte.



Rick
Perry

Der 61-jährige Gouverneur von Texas, der längstdienende der USA, hat sich nach einem fulminanten Start mit einer Reihe von Fauxpas selbst entzaubert. Seine Aussetzer („Das dritte Ministerium? Oops.“) degradierten den kantigen Politiker und evangelikalen Christen zur nationalen Witzfigur. Seine Unterstützer machen eine Rückenoperation im Juli und eine Medikamentenkur für das schwache Auftreten verantwortlich. Sein angeblicher persönlicher Charme kam bisher kaum zur Entfaltung.

Ursprünglich war Perry als Anti-Romney ins Rennen gegangen, als aussichtsreichster Herausforderer des Favoriten, ausgestattet mit einer prallen Wahlkampfkasse. Er wollte mit seiner Wirtschaftsbilanz in Texas punkten. Inzwischen sind seine Chancen so geschwunden wie sein Wahlkampfgeld, ein Comeback gilt als mehr als zweifelhaft. Die republikanischen Wähler haben ihn mehr oder weniger abgeschrieben, seine markigen Parolen fielen bisher nicht auf fruchtbaren Boden. In Virginia hat er – wie auch Gingrich – das nötige Quorum für das Antreten zur Vorwahl im März verpasst.



Michele
Bachmann

Der Darling der Tea-Party-Fraktion, gebürtig aus Waterloo in Iowa, hat seinen Zenit bereits mit dem Sieg bei der Probewahl an der Universität in Ames Mitte August überschritten. Seither geht es für die 55-jährige Kongressabgeordnete nur noch abwärts, obwohl sie jetzt in Iowa von einem „Wunder“ raunt. Das Geld wird knapp, die Unterstützung bleibt aus. Wie Perry will sie sich ganz auf den Vorwahlkampf in den Südstaaten South Carolina und Florida stürzen. Gerüchtehalber bleibt sie noch deshalb im Rennen, um sich als mögliche Vizepräsidentschaftskandidatin Mitt Romneys ins Gespräch zu bringen – es wäre die Wiederholung des Sarah-Palin-Effekts.

Wie die Populistin aus Alaska versteht Bachmann, die Emotionen der Tea-Party-Anhänger aufzuwühlen. Für eine Mehrheit der Republikaner ist die gelernte Steueranwältin, die im Sommer gegen eine Anhebung des Steuerlimits mobil machte und gegen die Ausgabenpolitik Washingtons wettert, wegen ihrer schrillen Polemik und haarsträubender Blackouts in der Außenpolitik und der US-Geschichte jedoch schlicht unwählbar – ein Randphänomen.



Jon
Huntsman

Der 51-jährige Ex-Gouverneur aus Utah, ein Mormone wie Romney und noch moderater als sein Glaubensbruder, versucht erst gar nicht sein Glück in Iowa. Der Sohn eines milliardenschweren Chemiefabrikanten setzt indessen alles auf eine Karte: In New Hampshire, wo auch Unabhängige und Demokraten zur offenen Vorwahl zugelassen sind, tourte der Harley-Davidson-Fan durch alle Wahlkreise. Das Obama-Team schätzte den Ex-Botschafter in China anfangs als gefährlichen Außenseiter ein, in den nationalen Umfragen dümpelt Huntsman freilich auf dem letzten Platz. Als Außenpolitik-Experte bestach er durch Wissen, auch er beschwört die Gefahr eines Niedergangs der USA. Womöglich ist seine Kandidatur nur ein Warm-up für 2016.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.01.2012)

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