Burma misstraut den Reformen der Generäle

(c) REUTERS (Soe Zeya Tun)
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Die Demokratiebewegung von Aung Suu Kyi nützt die neuen Freiräume und versucht eine Koalition mit jungen Offizieren zu schmieden. Doch es wäre nicht das erste Mal, dass ihre Hoffnung auf Wandel enttäuscht wird.

Rangun. In den Straßen von Burmas alter Hauptstadt Rangun ist auf den ersten Blick von dem politischen Wandel der vergangenen Monate kaum etwas zu bemerken. Die Menschen gehen inmitten der zerfallenden Kolonialbauten weiter ihrer Arbeit nach. Straßenhändler verkaufen Obst, Gemüse und Fleisch auf offener Straße. Motorräder und Fahrräder sind nicht zu sehen: Sie sind, wie zu Zeiten der Militärjunta, in Rangun verboten. Allzu mobil sollen die Bewohner der Metropole offenbar auch weiterhin nicht sein.

Nur einige wenige Verkaufsstände deuten darauf hin, dass sich Veränderungen abspielen: Händler haben begonnen, Bilder von Demokratieführerin Aung San Suu Kyi zu verkaufen. Noch vor wenigen Wochen wären sie vom Geheimdienst abgeführt worden.

„Ich verkaufe rund 50 Stück davon jeden Tag“, sagt eine Verkäuferin. Einige Straßen weiter reagiert eine andere Händlerin nervös. Wieso die Fragen? „Das hier ist gefährlich!“, gibt sie zu verstehen und winkt ab. Am nächsten Tag sind sie und ihr Stand verschwunden.
Ihre Reaktion ist typisch. Die Menschen spüren den Wandel, der mit den Reformen eingesetzt hat, die Burmas Präsident Thein Sein angestoßen hat. Doch viele bleiben vorsichtig. Einige Vorfälle aus der jüngsten Zeit zeugen davon, dass Burma seine autoritäre Vergangenheit noch nicht abgestreift hat. So hat ein Gericht in Rangun einen ehemaligen Soldaten zu zehn Jahren Haft verurteilt. Er soll in einem Artikel, der im Ausland erschienen ist, die Armee kritisiert haben.

Österreicher erpicht auf Geschäfte

Im Hauptquartier der Nationalliga für Demokratie (NLD) von Aung San Suu Kyi im Stadtteil Bahan herrscht Hochbetrieb. Ventilatoren rühren Essensgeruch durch den Raum. Mehr als ein Dutzend Fotos von Aung San Suu Kyi hängen an den Wänden. Viele Menschen wenden sich an die NLD, wenn sie sich von den Behörden schlecht behandelt fühlen.

Einer ihrer bekanntesten Aktivisten ist U Nine Nine. Er sitzt an einem Tisch im hinteren Teil des Raums und sortiert Unterlagen. Nine ist 70 Jahre alt und seit der Parteigründung im Jahr 1988 NLD-Aktivist. Heute kümmert er sich für die NLD um die politischen Gefangenen des Landes. Rund 470 der geschätzt etwa 670 politischen Gefangenen könne die NLD helfen, erklärt Nine. Die Partei lässt jedem von ihnen über Verwandte oder Freunde, die sie im Gefängnis besuchen, jeden Monat 5000 Kyat – sechs Euro – sowie Lebensmittel und Medikamente zukommen.

Zweimal hat die Regierung in den vergangenen Monaten politische Gefangene freigelassen. Im Oktober rund 240. Die meisten der Aktivisten, die 1988 Massenproteste gegen die Militärjunta angeführt haben, sind jedoch weiter in Haft.

Im Konferenzzimmer im obersten Stock des Gebäudes sitzen Tin Oo, der Vizevorsitzende der NLD, und Win Htein, der Leiter der Parteizentrale, an einem langen Tisch hinter dicken orangefarbenen Vorhängen. Eine Klimaanlage surrt im Hintergrund. Auf einem Aktenschrank steht eine goldfarbene Büste von Aung San Suu Kyi. Beide wirken gelassen. Vor Kurzem hat sich Hillary Clinton in Rangun mit Aung San Suu Kyi getroffen, der erste Besuch eines US-Außenministers seit mehr als einem halben Jahrhundert.

Die USA verfolgen eine Doppelstrategie: Sie unterstützen den Reformprozess, kritisieren aber gleichzeitig die anhaltenden schweren Menschenrechtsverletzungen.
„Die Deutschen – und auch die Österreicher – sind sehr erpicht darauf, hier Geschäfte zu machen. Trotz der Bedingungen hier“, sagt Win Htein. Er habe einer deutschen Delegation unlängst erklärt, dass eine Aufhebung der Sanktionen für die NLD derzeit kein Thema sei, da auch die jetzige Regierung immer noch Menschenrechtsvergehen begehe. Vor wenigen Tagen hat die Partei beschlossen, an den Nachwahlen für rund 50 Sitze im Parlament in der Hauptstadt Naypyidaw teilzunehmen, die vermutlich im Frühjahr 2012 abgehalten werden. Dabei wird auch Suu Kyi als Kandidatin antreten. Im Parlament möchte die NLD eng mit den Soldaten arbeiten, erklären die beiden Politiker. Ein Viertel des Parlamentssitze ist gemäß der Armee-Verfassung aus dem Jahr 2008 für Soldaten reserviert. „Vieles hängt von den jungen Offizieren ab“, sagt NLD-Vizechef Tin Oo. „Die verstehen die Situation gut, und sie sind gebildet. Ganz anders als die älteren Offiziere.“

Er glaube daran, dass die Armee-Abgeordneten auf Suu Kyi hören werden. „Sie ist die Tochter des großen Generals Aung San. Jeder Burmese weiß, wer Aung San war.“ Die Verbindungen zwischen der Armee und Burmas Demokratiebewegung reichen weiter, als vielen im Ausland bewusst wird. Aung San Suu Kyis Vater, der Unabhängigkeitskämpfer Aung San, hat Burmas Armee gegründet. Er starb 1947 bei einem Attentat.

Auch NLD-Vize Tin Oo, heute 84 Jahre alt, hat eine lange Armeekarriere hinter sich. Diktator Ne Win hat ihn 1974 zum General befördert und zum Oberbefehlshaber der Landstreitkräfte ernannt. Vermutlich wegen seiner großen Popularität bei den Soldaten und bei den Menschen in Burma zwang ihn jedoch Burmas Gewaltherrscher nur zwei Jahre später zum Rücktritt. 1977 wurde Tin Oo wegen Hochverrats zu sieben Jahren Haft verurteilt, aus der er 1980 entlassen wurde. 1988 gründete er mit Suu Kyi die Nationalliga für Demokratie. Nach mehreren Festnahmen kam er erst im Februar 2010 wieder frei.

Wahrheitskommission geplant

Sobald die NLD in das Parlament eingezogen ist, werde es ihr oberstes Ziel sein, die Armee-Verfassung aus dem Jahr 1988 zu ändern, sagt Win Htein. Mit den Verbrechen der vergangenen Jahrzehnte soll sich eine UN-Untersuchungskommission nach dem Vorbild der Wahrheitskommission in Südafrika befassen. „Ich selbst war mehr als 17 Jahre lang in Gefangenschaft. Wir haben sehr viel gelitten“, sagte Win Htein weiter. „Trotzdem möchten wir keine Rache üben, der Zukunft willen.“
Den Reformprozess bewertet er vorsichtig. „Wenn sie uns fragen, ob wir zu hundert Prozent daran glauben: nein. Aber wir sind verhalten optimistisch.“

Auf einen Blick

Burmas Militärmachthaber Thein Sein hat sein Land in den vergangenen Monaten geöffnet. Die Anführerin der Demokratiebewegung, Friedensnobelpreisträgerin Aung Suu Kyi, steht nicht länger unter Hausarrest. Ihre 1988 gegründete Nationalliga für Demokratie (NLD) will im Frühjahr bei Nachwahlen für rund 50 Sitze im Parlament antreten. Die USA fördern die Reformen. Außenministerin Hillary Clinton besuchte im vergangenen Dezember Burma und traf dabei auch Aung Suu Kyi.

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