Arabischer Frühling: Flüchtlingswelle aus Syrien rollt an

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Immer mehr Menschen fliehen vor dem Assad-Regime ins Ausland. Die meisten bleiben zunächst in der Türkei, doch immer mehr schlagen sich durch Schleuserkanäle auch in die EU durch.

Wien/Sofia. „Ich sitze zwischen Erde und Himmel und weiß nicht, wohin es weiter geht – nach oben oder nach unten. Ich bin schwerelos“, klagt M. verzweifelt. Der 25-Jährige ist vor Kurzem aus Syrien gekommen und sitzt in einem Heim für illegale Flüchtlinge in der kleinen bulgarischen Stadt Ljubimetz, nicht weit von der Grenze zur Türkei. Hier stellte er einen Asylantrag und wartet, dass er weiter ins Land gebracht wird.

M. ist einer von jenen Flüchtlingen, die in den vergangenen Monaten vor dem Regime von Bashar al-Assad und dessen brutalem Vorgehen gegen Regimegegner weggelaufen sind. Mehr als zehntausend von ihnen stürmen momentan die Immigrationslager in der Türkei. Ein Teil davon versucht weiter zu gehen und die EU-Grenze zu überschreiten. Manchen gelingt es – wie M.

Die Asylsuchenden sind meistens junge Männer, zwischen Mitte 20 und Mitte 30. Darunter sind aber auch Familien mit kleinen Kindern, wie ein Sprecher der Staatsbehörde für Flüchtlinge in Bulgarien berichtet. Sie kommen sowohl aus den Grenzgebieten zwischen Syrien und der Türkei, als auch aus den Brennpunkten des syrischen Aufstands, wo die Regimetruppen und die „Freie Syrische Armee“ aneinandergeraten.

Die meisten Asylsuchenden bleiben in der Türkei. Andere benutzen die Schleuserkanäle und erreichen Bulgarien. Von dem Land, das eine der EU-Außengrenzen bildet, können sie leichter die anderen europäischen Länder erreichen, sagt ein Sprecher der syrischen Diaspora: „Manche wählen genau diesen Weg.“

Laut der offiziellen Statistik der Staatsbehörde für Flüchtlinge in Bulgarien sind seit Anfang 2011 bis jetzt mehr als 100 Flüchtlinge aus Syrien ins Land gekommen und haben offiziell um Asyl angesucht. Das entspricht einem Drittel der gesamten Zahl der syrischen Asylsuchenden in den vergangenen zehn Jahren. Zusätzlich kommen solche ins Land, die sich als illegale Immigranten aufhalten und deren Zahl unbekannt bleibt.

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Zwischenstation Bulgarien

Die Asylsuchenden können sich in Flüchtlingsheimen aufhalten – oder sich selbstständig um ihren Aufenthalt kümmern. Im zweiten Fall verliert sich aber ihre Spur, und das Asylverfahren wird unterbrochen. „Wir können nur vermuten, dass sich diese Leute in andere EU-Staaten weiterbewegt haben“, sagt ein Sprecher der Behörde. „Die syrischen Flüchtlinge sind seit vergangenem Jahr die zweitgrößte Gruppe in unserem Heim, sagt Krassimir Ivanov, Direktor des Zentrums in Lyubimetz: „Nur die Hälfte hat Asyl beantragt. Der Rest geht weg“, sagt der Direktor.

„Seit April vergangenen Jahres beobachten wir eine wachsende Gruppe, die um Asyl in Bulgarien ansucht. Unserer Erwartung nach könnte die Zahl stark steigen, falls sich die Situation in Syrien nicht verbessert“, sagte Mohamed Albarmau, ein Vertreter der syrischen Diaspora in Bulgarien. Eine Verbesserung der Situation ist momentan allerdings nicht zu erkennen. Die aktuellen Berichte aus Syrien deuten eher darauf hin, dass sich das Land Richtung Bürgerkrieg bewegt.

Riad al-Asaad, Kommandant der „Freien Syrischen Armee“, rief am Dienstag die Staatengemeinschaft zu einer Intervention auf: Die Beobachter-Mission der Arabischen Liga sei leider nicht imstande, das Blutvergießen zu beenden. Das Mandat der Mission läuft am Donnerstag aus, Freitag soll sie der Liga berichten. Katar hat kürzlich eine Militärintervention der Liga ins Spiel gebracht, doch dafür ist derzeit keine Mehrheit in Sicht.

Laut dem UN-Flüchtlingshilfswerk hielten sich die meisten Flüchtlinge eher nah an der Grenze zu Syrien auf und warteten ab, bis sich die Lage in ihrer Heimat verbessert, erklärt Ruth Schöffl, UNHCR-Sprecherin in Wien: „Bis Ende 2011 sind rund 4000 Menschen im Libanon und 8500 in der Türkei registriert worden. Im Vergleich dazu sieht die Situation in Europa viel ruhiger aus.“

30 Prozent mehr Flüchtlinge

Noch. Denn mittlerweile spürt man in vielen EU-Ländern nicht nur die steigende Zahl an Flüchtlingen durch den Arabischen Frühling im Allgemeinen (die Zahl der Asylwerber in Österreich ist 2011 um rund 30 Prozent gestiegen, auf etwa 14.000), sondern auch aus Syrien im Speziellen: Laut Statistik des Wiener Innenministeriums ist Syrien schon unter den Top10 jener Länder, aus denen die meisten Asylsuchenden kommen. Bis November 2011 gab es knapp 400 Anträge syrischer Asylwerber. 2010 waren es weniger als 200.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.01.2012)

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