Auftakt zum Kampf der Ideologien

(c) AP (Haraz N. Ghanbari)
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In seiner Rede zur Lage der Nation trat Präsident Obama für Gerechtigkeit, Fairness und eine Millionärssteuer ein. In „Schlachtfeld“-Staaten trägt sich ein Fernduell zu.

Washington. Genug von all dem Geschwätz und der ständigen Miesmacherei, her mit dem Optimismus und der Verheißung auf eine bessere Zukunft: Das gehört zum Grundkanon jeder Rede zur Lage der Nation – von George Washington bis Abraham Lincoln, von Ronald Reagan bis Bill Clinton. Und so setzte denn auch Barack Obama ein rhetorisches Ausrufezeichen als Schlusspunkt seiner Ansprache: „Jeder, der behauptet, dass Amerika im Niedergang begriffen sei oder dass sein Einfluss schwinde, weiß nicht, wovon er redet. Wir sind zurück, wir sind die unerlässliche Nation in der Weltpolitik.“

Das Osama-Narrativ

Was eignete sich besser für die Beschwörung der eigenen Größe als das Narrativ von der Ergreifung Osama bin Ladens durch das Navy-Seals-Kommando – beglaubigt durch Admiral William McRaven, den Chef der Sondereinheit, auf einem Ehrenplatz der Besuchergalerie des Kapitols? Und was rührte das Auditorium hartgesottener Politiker im Saal und das Millionenpublikum an den TV-Schirmen mehr als die Umarmung des Präsidenten mit der demokratischen Abgeordneten Gabby Giffords, dem Opfer eines heimtückischen Anschlags, an ihrem letzten Arbeitstag im Kongress?

Zwischen die dramaturgisch platzierten Effekte packte Barack Obama die Botschaft seiner mehr als einstündigen Rede. „Wir können uns entweder damit abfinden, dass es einer schrumpfenden Zahl in unserem Land richtig gut geht, während eine wachsende Zahl an Amerikanern gerade so über die Runden kommt. Oder wir können zu einer Wirtschaft zurückkehren, in der jeder seine faire Chance hat und jeder seinen gerechten Anteil zahlt. Wer will, kann das Klassenkampf nennen. Die meisten nennen das gesunden Hausverstand.“ Es sei Zeit, dass für alle die gleichen Regeln gelten.

Als Kronzeugin seiner Vision von einem gerechten Amerika saß Debbie Bosanek auf der Galerie hinter First Lady Michelle Obama. Die Sekretärin aus Omaha in Nebraska erlangte Berühmtheit, weil ihr Boss – der Milliardär und Großinvestor Warren Buffett – an ihrem Beispiel die Schwächen des Steuersystems festmachte: Sie bezahlt mehr Steuer als er. Obama plädierte für eine „Buffett-Steuer“: „Wer mehr als eine Million Dollar im Jahr verdient, sollte nicht weniger als 30 Prozent Steuern entrichten.“ Eine Spitze, die sich gegen Multimillionär Mitt Romney und seinen Steuersatz von 14 Prozent richtete.

Fairness und soziale Gerechtigkeit waren der Tenor einer Rede, in der Obama den Kontrast zu seinen republikanischen Herausforderern zuspitzte, ohne sie auch nur namentlich zu erwähnen. Ein ideologischer Schaukampf: Hier der Demokrat, der das Modell einer starken Regierung propagiert – in der Definition der Republikaner Lincoln und Theodore Roosevelt: „Die Regierung soll das leisten, was die Menschen nicht leisten können – nicht mehr.“ Und dort seine Gegner einer nach rechts gerückten republikanischen Partei, die die Rolle des Staats dezimieren wollen.

„Niagara-Fälle an Schulden“

Die Wahl des republikanischen Gegenredners entfiel auf Mitch Daniels, den Gouverneur von Indiana, den das Parteiestablishment so gern in dem Part des Präsidentschaftskandidaten gesehen hätte. Er prangerte die Polarisierung an, die „Niagara-Fälle an Schulden“ und das Abdriften der USA in europäisches Fahrwasser.

Das Fernduell trägt sich in den „Schlachtfeld“-Staaten zu. Während Romney und Newt Gingrich in Florida kämpfen, reiste Obama zu einer Dreitagestour in den Westen und Mittleren Westen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.01.2012)

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