Kugelblitz unter Palmen: Gingrich ist wieder ganz der Alte

(c) AP (Matt Rourke)
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Newt Gingrich - der Schrecken des Establishments - führt den Aufstand der republikanischen Basis an. Sein schillerndes Vorleben irritiert die Anhänger nicht, umso mehr aber seine Parteifreunde in Washington.

Orlando. Die Baptistengemeinde im randvollen Oval tobt. Newt Gingrich hat das Kirchenvolk in Winter Park in Florida, einer Vorstadt Orlandos, mit seiner Politpredigt, seinem Regierungsprogramm, in Raserei versetzt: keine indirekten staatlichen Mittel für Abtreibung, ein Ende von „Obamacare“, der verhassten Gesundheitsreform, die Abschaffung der sogenannten „Zaren“, der Sonderbeauftragten, im Weißen Haus, garniert mit deftigen demagogischen Seitenhieben gegen den Präsidenten und die UNO.

Drinnen blickt Callista, seine dritte, um 23 Jahre jüngere Frau, in rotem Kostüm, mit platinblonder Helmfrisur und eingefrorenem Lächeln, wie eine stumme Anbeterin zu ihm auf. Draußen hauen „Occupy Wall Street“-Demonstranten, in Schach gehalten von der Polizei, auf die Pauke. Es ist ein Ambiente, in dem ein „political animal“ wie Newt Gingrich erst so richtig auflebt.

Historiker und Futurist

„Es ist eine ganz simple Sache.“ So beginnt Gingrich, der Historiker und leidenschaftliche Futurist, der Vordenker und Paradeintellektuelle der Republikaner, seine Wahlkampfrede, die von Mal zu Mal, von Bundesstaat zu Bundesstaat variiert. Flink und leichtfüßig hüpft der 68-jährige Kugelblitz aus Georgia von Thema zu Thema, von der Mondkolonie zum „kubanischen Frühling“, von der Reform der Sozialversicherung über den Freiwilligendienst in den Schulen bis hin zum „Essensmarken-Präsidenten“ Obama, der sich in der zweiten Amtszeit als „Radikaler“ entpuppen würde.

Der quecksilbrige Kandidat, der schillerndste Politiker in den Reihen der Republikaner, berüchtigt für seine Sprunghaftigkeit, hat im Laufe seiner Karriere fast alle Positionen eingenommen. Widersprüche irritierten ihn nie – und als großer Verführer, als Verfechter grandioser Ideen schaffte er es, seine Irrungen und Wirrungen für eine breite Öffentlichkeit zu verschleiern. Von seinem turbulenten Privatleben, den beiden Scheidungen ganz zu schweigen. Von Callista zum Katholizismus herangeführt, geriert er sich nun als geläuterter Sünder.

Im Stil und Temperament ähnelt er Bill Clinton, dem großen Gegenspieler aus seiner Glanzzeit. Wie sein Landsmann aus den Südstaaten personifiziert Gingrich eine Comeback-Story ganz nach dem Geschmack der Amerikaner. Nach einem katastrophalen Wahlkampfstart abgeschrieben, kämpfte er sich als eloquenter, schlagfertiger Debattenredner in den TV-Diskussionen zurück ins Rampenlicht und an die Spitze der Umfragen, ehe eine Meuchelkampagne Mitt Romneys seine Chancen in Iowa torpedierte. Getragen von der Welle eines antielitären Ressentiments feierte er in South Carolina seine Wiederauferstehung. Die Tea Party hatte ihn gegen Romney, den Repräsentanten der „Cocktail Party“ und der Country Clubs, aufs Podest gehoben.

Dass er mit den Demokraten Hillary Clinton, John Kerry oder Nancy Pelosi in der Gesundheitsreform oder beim Klimaschutz gemeinsame Sache gemacht hat – vergeben und vergessen. Dass er sich in einem Atemzug mit Ronald Reagan und Johannes PaulII. als Bezwinger des Sowjetimperiums betrachtet – sei's drum. Dass sich der Propagandist eines „big government“, eines starken Staats, als die Inkarnation eines Polit-Insiders zum Rädelsführer gegen Washington stilisiert, vermag seine Anhänger nicht zu vergraulen. „Newt can win“, skandieren sie.

Sein Wahlkampf ist derweil von Chaos und Improvisation geprägt. Auftritte sagt er ohne Vorankündigung ab, die Anmeldefrist für die Vorwahl von Missouri verpasste er und für diejenige in Virginia brachte er nicht die notwendigen 10.000Unterschriften auf.

Was einst sein größter Coup werden sollte, verwandelte sich in seine bitterste Blamage: Das Amtsenthebungsverfahren gegen Bill Clinton, der Auftakt des Kleinkriegs zwischen den Parteien, endete nach dem Debakel der Republikaner 1998 mit dem eigenen Rücktritt. Der großmächtige und großmäulige „Speaker“, der Vorsitzende des Repräsentantenhauses, zog als Autor und Vortragsreisender, als Konsulent und Kommentator auf Fox News seine Kreise. Sein Unternehmen mietete er in Washingtons K-Street ein, der Meile der Lobbyfirmen.

Narziss und Opportunist

Für seine Parteifreunde in Washington ist Newt der Alte geblieben – erratisch, unberechenbar, undiszipliniert, ein Narziss und Opportunist. So charakterisieren ihn Exabgeordnete, die Sturmtruppen seiner „Revolution“, mit der Gingrich nach 40Jahren den Kongress für seine Partei erobert hat. Jetzt rücken sie aus, um seinen Vormarsch zu stoppen, ehe es zu spät ist.

Die Reagan-Redenschreiberin Peggy Noonan beschrieb den Reagan-Fan im „Wall Street Journal“ als „menschliche Handgranate“, als „One-Man-Show“ bezeichnete ihn Ex-Präsidentschaftskandidat Bob Dole. Sie alle fürchten ein Fiasko im Herbst gegen Obama – eine Erdrutschniederlage wie 1964 bei Barry Goldwater. Gingrich würde die Unabhängigen und Frauen in die Arme der Demokraten treiben. Nur Sarah Palin hält die Stellung: „Sie wollen ihn kreuzigen.“ Palins Exmentor, Romney-Unterstützer John McCain, gab indes die Devise aus: „Romney ins Weiße Haus, Gingrich auf den Mond.“

Auf einen Blick

Newt Gingrich Der 68-jährige Ex-„Speaker“ des Repräsentantenhauses liefert sich mit Mitt Romney ein Duell um die Präsidentschaftskandidatur der Republikaner. Vor der wichtigen Vorwahl am Dienstag in Florida liegt er nach jüngsten Umfragen zwar zurück. Eine Wahlempfehlung Herman Cains, eines Favoriten der Tea Party, könnte ihm aber wieder Auftrieb geben. Das Establishment der Partei versucht indessen, seinen Vormarsch zu stoppen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.01.2012)

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