"Wollen nicht, dass sich libysches Szenario wiederholt"

The portrait of Vladimir Putin and a slogan reading Glory to Russia are seen as stage decoration as
The portrait of Vladimir Putin and a slogan reading Glory to Russia are seen as stage decoration as(c) AP (Ivan Sekretarev)
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Russlands Botschafter in Österreich, Sergej Netschajew, verteidigt russische Waffenlieferungen an Syriens Armee. Gegenüber Anna Netrebko als Wahlhelferin für Wladimir Putin hat er "keine Bedenken".

Die Presse: Gibt sich der russische Außenminister Lawrow für „Propagandaeinsätze des syrischen Regimes" her, wie sein deutscher Amtskollege Westerwelle gestern sagte?

Sergej Netschajew: Kategorisches Nein. Wir bemühen uns, Frieden in Syrien herzustellen.

Allerdings nicht sehr erfolgreich - auch nach Sergej Lawrows Besuch ging der Militäreinsatz weiter.

Aber in viel geringerer Intensität. Es gibt auf Assads Seite Bereitschaft, die Gewalt zu beenden. Aber die Oppositionellen zeigen keine Bereitschaft dasselbe zu tun. Die Appelle der Weltgemeinschaft sollten an alle Parteien in diesem Konflikt gerichtet werden. Wir können nicht nur Assad die Schuld zuschreiben. Es gibt keine schuldlosen Lämmer in diesem Konflikt.

Wo sehen Sie Assads Bereitschaft einzulenken?

Er ist bereit mit der Opposition zum Verhandlungstisch zurückzukehren. Er ist willens, dass die Mission der Arabischen Liga zurückkommt. Er ist bereit Änderungen in die Verfassung aufzunehmen, mit denen es aus unserer Sicht keine Vorzüge mehr für die Baath-Partei gibt. Es sollte ein Referendum abgehalten werden. Die Entscheidung über die Zukunft des Landes sollen die Syrer selbst treffen. Keinesfalls sollte sie von außen aufgezwungen werden. Die Erfahrung zeigt, dass sich die aufgezwungene Demokratie nicht rentiert.

Wie lange noch wird Russland auf Assads Einlenken hoffen?

Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Das ist sehr philosophisch. Was hat der Besuch Lawrows konkret gebracht?

Lawrows Besuch hat zu konkreten Versprechen und Schritten geführt.

Vor allem Versprechen.

Jetzt müssen wir darauf beharren, dass diese Versprechen umgesetzt werden. Dafür werden wir arbeiten.

Agiert der Westen zu hitzig?

Manchmal scheint es mir, den westlichen Kollegen fehlt es an objektiver Information. Die Abberufung der Diplomaten aus Damaskus kommt zur falschen Zeit - damit verliert man den Überblick über die Situation.

Zurück zur „aufgezwungenen Demokratie": Eine solche war im Fall der UNO-Syrien-Resolution gar nicht geplant. Es ging um eine Verurteilung.

Aber nur einer Seite. Der UN-Sicherheitsrat darf sich nicht auf eine Seite dieses Bürgerkriegs stellen. Wir wollen nicht, dass sich das libysche Szenario wiederholt.

Damals haben Sie sich in der UNO allerdings enthalten.

Wir bedauern sehr, wie diese Resolution später ausgehöhlt wurde.

Russland hat damals einen strategischen Fehler begangen?

Hätten wir gewusst, dass diese Resolution zu einem realen Krieg führt, hätten wir uns anders entschieden.

Derzeit spricht niemand von einer militärischen Intervention.

Das werden wir auch nicht zulassen.

Ist das nicht eine schwache Position, die Ihre Führung einnimmt: einfach nur „Nein" zu sagen?

Das kann man unterschiedlich interpretieren. Wir werden erst am Ende wissen, wer stark oder schwach agiert hat.

Menschenrechtsorganisationen zählen seit März 2011 über 6000 Tote. Beunruhigt Sie das nicht?

Doch. Aber: Beunruhigt die Menschenrechtsorganisationen nicht die Situation in Libyen und Ägypten? Nun werden Gaddafi-Anhänger brutal verfolgt. Und all das passiert nahe an Russlands Grenzen.

Und an den Grenzen der Türkei. Der türkische Außenminister Davutoğlu hat Moskau kürzlich mit nicht sehr feiner Klinge kritisiert. Er sagte, Russland denke im „Schema des Kalten Krieges".

Man kann verschiedene Klischees bedienen. Es gibt keine Konfrontation zwischen Ost und West, Russland und Amerika. Wir haben grundsätzlich eine gute Zusammenarbeit, in manchen Fragen eben Differenzen - das ist normal.

Syrien ist Ihr letzter Verbündeter in der arabischen Welt - und ein wichtiger Kunde der Rüstungsindustrie. Lassen Sie Assad deshalb nicht fallen?

Syrien ist ein strategischer Faktor im Nahen Osten und ein strategischer Partner für Russland.

Die syrische Armee ist mit russischen Waffen ausgerüstet, gerade ist ein millionenschwerer Waffendeal im Gange. Sie müssen sich die Frage gefallen lassen, dass der Konflikt, den Sie vorgeblich zu lösen versuche, mit Ihren Waffen verlängert wird.

Es gibt kein Waffenembargo und wir liefern keine strategischen Waffen. Wir halten uns strikt an die internationalen Gesetze. Die Lieferungen kann uns niemand vorwerfen. Wenn es legal ist - warum nicht? Woher hat die Opposition eigentlich die Waffen? Fragen Sie das unsere ausländischen Partner!

Es ist vielleicht kein gesetzwidriger Handel, aber noch einmal: Der Konflikt wird dadurch doch verlängert.

Dann kommen andere und füllen mit anderen Waffen diese ökonomische Nische.

Wie würde Russland reagieren, wenn sich der Westen dazu entschließt, die Oppositionellen mit Waffen zu unterstützen?

Meinen Sie, das passiert noch nicht? Woher haben sie ihre Waffen?

Es gibt viele Deserteure.

Ach wo. Das Ausmaß der Waffenverbreitung ist sehr groß, da gibt es wohl verschiedene Kanäle.

Der Westen unterstützt die Aufständischen also mit Waffen?

Ich möchte kein Land konkret beschuldigen.

Die EU plant Sanktionen gegen Syrien, man will den Export von Phosphat und Gold verbieten. Ist das sinnvoll?

Wir sind grundsätzlich sehr vorsichtig, was Sanktionen betrifft. Die Erfahrung zeigt, dass sie nicht effektiv sind.

Russland hat sich bei den arabischen Umbrüchen stets skeptisch gezeigt. Fürchtet man innenpolitische Auswirkungen?

Da gibt es keine Parallelen. „Bunte" Revolutionen sind bei uns absolut unmöglich. Die politische Situation ist stabil. Die aktuellen Demonstrationen zeugen nur davon, dass die Menschen politisch aktiver geworden sind. Sie wollen weitere Reformen. Ich respektiere das.

Die Menschen sagen „Nein zu Putin".

„Nein zu Putin" sagen drei bis fünf Prozent. Putin würde, fänden heute Wahlen statt, schon im ersten Durchgang souverän siegen.

Aber die Demonstrationen haben eine neue Qualität erreicht. Ist Putins System in der Krise?

Die Menschen haben eine Wirtschafts- und Finanzkrise überstanden. Viele haben darunter gelitten. Es gibt viele Unzufriedene, viele haben die Arbeit verloren, die Einkommen haben sich negativ entwickelt. Daher die Diskrepanz zwischen Putins Popularität vor zehn Jahren und heute. Sie ist von 70 Prozent auf 50 Prozent gesunken. Das ist absolut normal.

Was aber, wenn sich diese Entwicklung fortsetzt?

Das erwarte ich nicht. Putin hat ein riesiges Reformprogramm ausgearbeitet, und das findet Unterstützung. Wir verschweigen auch nicht unsere Probleme: Die Korruption müssen wir bekämpfen, auf Leben und Tod.

Kampf gegen Korruption ist das eine, politische Mitbestimmung das andere: Wie viel davon verträgt Putins System?

Man will die Partizipation jetzt erweitern: Gouverneure müssen gewählt werden, die Zulassung politischer Parteien wurde erleichtert, die Präsidentschaftskandidaten müssen weniger Stimmen sammeln als früher.

Warum erst jetzt? Nun sieht es wie ein Zugeständnis an die Opposition aus.

In den Neunzigern waren wir erst am Anfang der Demokratie, eine schwierige Zeit. Die Regionen begannen, die Souveränität zu missbrauchen. Es bestand die Gefahr, dass Russland zerfällt. Deshalb musste man die Zentralmacht stärken. Diese Stabilisierung ist Putins Verdienst. Jetzt, wo diese Gefahr nicht mehr besteht, kann man die Umverteilung der Kompetenzen wieder in Angriff nehmen.

Die politische Führung hätte dies aber nicht von sich aus gemacht. Es ist ein Zugeständnis.

Wenn das so aussieht, bitte, dann nennen Sie es so.

Die Opernsängerin Anna Netrebko ist Teil des Unterstützerkomittees für Putin. Eine geglückte Entscheidung?

Ich habe keine Bedenken. Diese 499 russischen Bürger haben keine Angst, ihre politische Meinung auszudrücken.

Aber Frau Netrebko ist auch österreichische Staatsbürgerin.

Das war ein Ausnahmefall, aber als Besitzerin des russischen Passes wird sie bei uns als russische Staatsangehörige betrachtet.

Hier wird sie als österreichische Staatsbürgerin gesehen und man wundert sich, dass sie sich für einen ausländischen Politiker engagiert. Können Sie das nachvollziehen?

Für Russland bleibt Sie russische Staatsbürgerin. Sie bezeichnen sie als Österreicherin, wir freuen uns sehr, dass sie weiter Russin ist. So leben wir beide gut.

Ist es gut, wenn Künstler sich so offen politisch engagieren?

Bei uns ist es ganz normal. In Putins Stab gibt es viele Intellektuelle, Künstler und Sportler.

Könnte Netrebkos Image in Österreich Schaden nehmen?

Das glaube ich nicht. Ich habe in Österreich nie kritische Äußerungen gegen Putin oder Medwedjew gehört. Wir haben einen wolkenlosen politischen Dialog, einen sehr intensiven wirtschaftlichen und kulturellen Austausch.

Stichwort politischer Dialog. Gehört für Sie da auch die FPÖ-Delegation bei Herrn Kadyrow dazu?

Das war eine ziemlich selbstständige Aktion. Aber grundsätzlich ist es normal, dass es interregionale Kontakte gibt.

Es ist eine Oppositionspartei, die einen Ihrer Republikspräsidenten besucht.

Wir haben Kontakte zu allen legitimen politischen Kräften Österreichs. Ich wusste nichts von der Reise. Ich weiß nicht, wie sie zustande kam.

Wieso nicht?

Die Abgeordneten haben Diplomatenpässe, die Einreise ist Visa-frei. Wenn die Delegation bestätigt, dass sich die Situation dort normalisiert, dann ist es nicht mehr als das, was die offizielle Mission des Innenministeriums im Herbst 2011 ebenfalls festgestellt hat.

Was sagen Sie zum Fall von Suliman E., mutmaßlicher Chefagent Kadyrows, dem vor Kurzem der Flüchtlingsstatus aberkannt wurde?

Lassen Sie diese Märchen von den Kadyrow-Agenten in Österreich! Ich habe darüber nie offizielle Informationen erhalten.

Österreichs Behörden sprechen von 300 Kadyrow-Agenten im Land.

Ich kann dazu nichts sagen, weil ich darüber nichts weiß. Ich betrachte diese Angaben als Science Fiction.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.02.2012)

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