Deutschland sucht einen Präsidenten

(c) AP (Michael Sohn)
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Nach dem Rücktritt von Christian Wulff am Freitag muss in drei Wochen ein Staatsoberhaupt her, das für alle passt. Regierungsspitzen verzichten auf den Karneval, noch am Samstag wird über einen Kandidaten beraten.

Berlin. Um sympathische Details aus seinem Privatleben war Christian Wulff nie verlegen. Sein Lieblingssong sei „Apologize“, verriet er einmal. Dort heißt es im Refrain: „Es ist zu spät, um sich zu entschuldigen.“ Diese schmerzliche Erfahrung machte der deutsche Bundespräsident nun selbst. Zweimal hatte er sich in den letzten Wochen für politische Fehler entschuldigt. Für ein drittes Mal ist es zu spät. Denn am Donnerstagabend beantragte die Staatsanwaltschaft Hannover beim Bundestag die Aufhebung seiner Immunität. Es besteht der Anfangsverdacht der Vorteilsannahme. Oder, mit einem hässlicheren Wort: der Korruption.

Einen Präsidenten unter Anfangsverdacht hat es in der deutschen Republik noch nie gegeben. Die Vorstellung, dass Ermittler bei einer Razzia das Schloss Bellevue durchwühlen: unerträglich, undenkbar – da sind sich alle einig. So zog Wulff die Konsequenz: Am Freitag um elf Uhr gab er seinen Rücktritt bekannt. Das Vertrauen in ihn sei „nachhaltig beeinträchtigt“, damit könne er sein Amt nicht mehr richtig ausüben – ein unrühmliches Ende auf einer mühevoll erkletterten Karriereleiter.

Schon bald nach den ersten Vorwürfen Mitte Dezember nahmen die Staatsanwälte den früheren Ministerpräsidenten von Niedersachsen ins Visier. Aber die zuerst untersuchten Gefälligkeiten von Freunden lagen zeitlich weit von politischen Entscheidungen in ihrem Sinne entfernt. Anders beim Sylt-Urlaub von 2007. Denn das Luxushotel beglich zumindest vorerst der Filmproduzent David Groenewold – und erhielt noch im selben Jahr eine Landesbürgschaft von vier Mio. Euro zugesprochen. Die Staatsanwälte zögerten lange mit ihrer Forderung. So lange, dass sie betonen mussten, sie hätten unabhängig entschieden. So richtig gerechnet hatte damit niemand mehr. Umso tiefer sitzt nun der Schock, vor allem in der Union.

Töpfer? Leyen? Lammert? Gauck?

Denn Merkel hatte Wulff als Präsidenten durchgeboxt, gegen den allseits geachteten Ex-DDR-Bürgerrechtler Joachim Gauck. Nun erweist sich ihre Kandidatenwahl als schwerer Fehler. Und das schon zum zweiten Mal. Denn auch Wulffs Vorgänger, Horst Köhler, warf nach Kritik an seinen Räsonnements über die Notwendigkeit von „Handelskriegen“ entnervt das Handtuch. Nun steht das Land zum zweiten Mal ohne Staatsoberhaupt da.

Doch seltsam: Merkels Beliebtheit steigt. Sie demonstriert nach außen Führungskraft in der Eurokrise und wirkt nach innen wie eine Ersatzpräsidentin, die gelassen über dem Hickhack der Tagespolitik steht. So wird auch sie nächste Woche bei der Gedenkveranstaltung für die Opfer des Neonazi-Terrors die Rede halten. Nur formal wird Bayerns CSU-Chef Horst Seehofer als Präsident des Bundesrats die Lücke füllen, die Wulff aufgerissen hat.

Dennoch: Es ist eine heikle Situation für die CDU/CSU. Schon in 30 Tagen müssen Bundestag und Ländervertreter einen neuen Präsidenten wählen. Die Regierungsspitzen verzichten auf den Karneval, noch heute wird über einen Kandidaten beraten. Auch mit der SPD und den Grünen will Merkel reden, nicht aber mit den Linken.

Doch bei einer gemeinsamen Nominierung von Union und SPD wären die Weichen in Richtung Große Koalition gestellt, und der kleine, ums Überleben ringende Regierungspartner FDP wäre an den Rand gedrängt. Nur wenn alle im Boot sind, bleibt die Optik gewahrt. Wer aber hat das Zeug zum Kandidaten, der für alle passt? Der Ex-CDU-Umweltminister Klaus Töpfer wird genannt, er wäre als Ökosignal für die Grünen und Teile der SPD akzeptabel.

Oder erstmals eine Frau: Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, die gerade kräftige Lohnerhöhungen fordert und sich so als SPD-kompatibel positioniert. Mit ihr hätte Deutschland dann eine Doppelspitze. Auch über Bundestagspräsident Norbert Lammert wird spekuliert. Aber sie alle sind CDU-Politiker, keine Konsenskandidaten. Ein solcher wäre, einmal mehr, Joachim Gauck – aber dazu müsste Merkel einen großen Sprung über ihren eigenen Schatten wagen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.02.2012)

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