Die Causa Wulff: Der Fluch der allzu guten Freunde

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Verdächtig günstige Kredite, Gratisurlaube, diverse Geschenke: Das Geben und Nehmen unter seinen "Amigos" wurde Christian Wulff zum Verhängnis.

Berlin. Den Jecken ist gar nicht zum Lachen zumute. Wochenlang haben sie ihre Umzüge vorbereitet, und noch selten hatten sie so dankbare Opfer für ihren Spott gefunden: der Bundespräsident, seine Frau Bettina, seine Freunde aus der Wirtschaft – sie alle finden sich landauf, landab als Fratzen und Puppen wieder. Doch ausgerechnet zum Auftakt des Karnevalswochenendes tritt Christian Wulff zurück – was für ein Timing, was für ein Spielverderber!

Der Rest Deutschlands aber atmet auf. Das Unbehagen über ein Staatsoberhaupt, das es mit dem Gesetz nicht ganz so genau zu nehmen scheint, war nicht mehr aus den Köpfen und Herzen zu kriegen. Verdächtig günstige Kredite, Gratisurlaube, diverse Geschenke: Jeder der kleinen Schlampereien, die sich Wulff offenbar geleistet hat, ist für sich genommen kein Rücktrittsgrund – da sind sich fast alle einig. Manches sind Bagatellen, die von den Medien aufgeblasen wurden.

Doch alles zusammen fügt sich zu einem Bild eines Politikers, der kein Problem darin sieht, sich von Unternehmern beschenken zu lassen und sich dann, bei Gelegenheit oder ganz konkret, mit politischen Gefälligkeiten zu bedanken.

Schröder war geschickter

Diese berüchtigte Amigo-Kultur ist eine Tradition der Provinz, wo man sich eben gut kennt und zusammenhält. Zum Thema wurde sie in Bayern, wo Ministerpräsident Max Streibl 1993 über eine „Amigo-Affäre“ stolperte. Er hatte sich von einem Unternehmer auf Urlaube einladen lassen und ihm dafür öffentliche Aufträge und Förderungen zugeschanzt. Aber das Unwesen gedieh weiter, im Kleinen und nicht immer Kriminellen – auch in Niedersachsen. Schon Gerhard Schröder umgab sich dort als Ministerpräsident oft und gern mit einflussreichen Wirtschaftsbossen. Aber er war ein so geschickter Politiker, dass er die rote Linie nie augenfällig überschritt.

Zwei Mal trat Christian Wulff für die CDU gegen den übermächtigen Landesfürsten an, erst 2003 gelangte er selbst an die Futtertröge der Macht. Plötzlich wurde er von Unternehmern umworben, die nur zum Teil, wie er heute beteuert, „Freunde aus Jugendtagen“ waren. Das Spiel des Gebens und Nehmens konnte beginnen.

Der Kredit des Anstoßes

Das alles wäre wohl nie richtig publik geworden, hätte es sich Wulff nicht mit wertkonservativen Parteikollegen verscherzt – durch sein im Boulevard zelebriertes Privatleben. Seine Scheidung, seine zweite Ehe mit Bettina, die moderne Patchworkfamilie: Das empfanden manche als Provokation. Also raunten sie Journalisten ins Ohr, sie sollten doch einmal nachforschen, wie Wulff zu seinem Eigenheim in Großburgwedel gekommen sei. Das Gerücht stand im Raum, der AWD-Gründer Carsten Maschmeyer habe es ihm zu besonders freundschaftlichen Konditionen finanziert. „Spiegel“, „Stern“ und „Bild“ begannen zu bohren.

Prompt wurden sie daran gehindert – was ihre Neugier nur anstachelte. Bald stand fest: Nicht Maschmeyer, aber Edith Geerkens gab Wulff einen Kredit – und das war die Frau des Unternehmers Egon Geerkens, von dem Wulff in einer Anfrage des Landtags behauptet hatte, er stünde in keiner geschäftlichen Beziehung zu ihm.

Als „Bild“ die Story bringen wollte, versuchte Wulff die Veröffentlichung mit einer Drohung auf die Mailbox des Chefredakteurs zu verhindern. Damit stand plötzlich die Pressefreiheit auf dem Spiel, und alle relevanten Medien des Landes bliesen zum Halali auf den Präsidenten. Sie mussten nicht lange schnüffeln, um mehr belastendes Material zu finden.
•Der Kredit von Geerkens wurde abgelöst von einem besonders zinsgünstigen Darlehen der Stuttgarter BW-Bank, einer Tochter der Porsche-Hausbank. Der Sportwagenhersteller wurde nach einem missglückten Übernahmekampf von VW gerettet. Wulff saß kraft seines Amtes als Ministerpräsident im VW-Aufsichtsrat – ein Kredit als kleines Dankeschön?
•Immer wieder ließ sich Wulff zu Urlauben in die Ferienhäuser seiner vermögenden Freunde einladen. Er logierte dreimal bei den Geerkens, aber auch bei Bekannten in Italien und auf Norderney. Schon als erstes Paar im Staate mieteten sich Christian und Bettina in Maschmeyers Villa auf Mallorca ein. Maschmeyer soll zudem Anzeigen für das Wulff-Buch „Besser die Wahrheit“ bezahlt haben.
•Auch Wulffs Pressesprecher gerät ins Visier: Olaf Glaeseker soll über die Staatskanzlei eine Veranstaltungsreihe des Eventmanagers Manfred Schmidt gefördert haben, als Gegenleistung für kostenlose Urlaubsreisen. Kurz vor Weihnachten lässt der Präsident seinen Vertrauten als Bauernopfer fallen. Kurz darauf wird gegen Glaeseker wegen Bestechlichkeit ermittelt.
•Dazu kommen allerlei Petitessen: ein angeblich gratis zur Verfügung gestelltes Vorführauto, kostenlose Abendkleider für Bettina und ein Bobby-Car für den Sohnemann. Für dieses Geschenk bedankte sich Wulff, reichlich ungeschickt, mit einem Schreiben samt präsidialem Briefkopf – und lud den großzügigen Autohändler auf sein Sommerfest ein.
•Wirklich das Genick gebrochen aber hat Wulff die fruchtbare Freundschaft mit einem Filmproduzenten. Noch 2004 hatte er die Filmförderung in Niedersachsen drastisch gekürzt, aber die Bekanntschaft mit David Groenewold verwandelte ihn in einen leidenschaftlichen Fürsprecher der heimischen Filmindustrie. 2007 wurde Groenewold eine Landesbürgschaft über vier Mio. Euro für eine seiner Firmen zugesprochen.

Just in diesem Jahr verbrachten die Wulffs ihren Urlaub mit ihm, im Luxushotel „Zur Stadt Hamburg“ auf Sylt. Groenewold zahlte die Rechnung. Wulff beteuert zwar unbewiesen, er habe den Betrag im Anschluss bar beglichen. Aber dieses Manöver erscheint „weit von der Lebenswirklichkeit des Durchschnittsbürgers entfernt“, wie es in Kommentaren und Talkshows so schön hieß.

Ohne den Furor der Medien, die diese Vorwürfe lancierten und wütend kommentierten, wäre Wulff wohl weiter im Amt. So ist es menschlich verständlich, dass er sich nun als Opfer einer Kampagne sieht: „Die Berichterstattung hat mich und meine Frau verletzt.“

Erst am Ende seiner Rücktrittserklärung setzt er zu einer ungeschickten Versöhnung an: Er wünsche jedem Deutschen eine gute Zukunft, erklärt er der versammelten Hauptstadtpresse, „und ich schließe Sie ausdrücklich mit ein“. Nach diesem letzten Gnadenakt verlässt Präsident Wulff den Saal – und ist von nun an Geschichte.

Auf einen Blick

Christian Wulff begann seine politische Karriere als CDU-Politiker in Niedersachsen. Im dritten Anlauf besiegte er dort 2003 Gerhard Schröder und regierte das deutsche Bundesland sieben Jahre lang. 2010 wählte ihn die Koalition aus Union und FDP zum Bundespräsidenten. Doch nun holt ihn seine Vergangenheit ein. Medien deckten eine allzu große Nähe zu wohlhabenden Unternehmern auf. AWD-Gründer Carsten Maschmeyer, Egon Geerkens und der Filmproduzent David Groenewold hofierten den Ministerpräsidenten mit Urlaubseinladungen und günstigen Krediten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.02.2012)

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