Politiker, die in Affären verwickelt sind, werden für ihre Parteien zunehmend zur Belastung - und müssen immer öfter die Konsequenzen ziehen.
Nicht einmal ein Jahr ist es her, da musste Horst Seehofer auf dem Passauer Aschermittwochstreffen anstatt amüsante politische Ohrfeigen zu verteilen die Wunden der CSU lecken. Die Nachwuchshoffnung der Partei, Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg, war ein paar Tage zuvor wegen der Plagiatsaffäre aus dem Amt geschieden – eine unschöne Geschichte für die Union, inner- und außerhalb Bayerns. Die Partei sei „traumatisiert“, schrieben manche Medien, andere nannten den Sturm, der über die deutsche Politik hinweggefegt war, sogar neudeutsch einen „Guttenberg-Tsunami“.
„Traumatischer“ Fall
Heute, elf Monate später, bekommt Seehofer abermals die Folgen eines Rücktritts aus nächster Nähe zu spüren – dieses Mal ist die Bescherung vielleicht noch größer, zumal das Amt höher. Auch Bundespräsident Christian Wulff war ein Parteigänger Seehofers, wenn auch ein Mann der Schwesternpartei CDU. Doch am vorläufigen Höhepunkt des deutschen Rücktrittsreigens der vergangenen zwölf Monate, der mit Guttenberg begann, aber wohl nicht bei Wulff enden wird, profitiert Seehofer – nolens volens – von den Rochaden: Bayerns Regierungschef übernimmt als derzeitiger Präsident des Bundesrates die Funktion des Staatsoberhaupts – wenngleich nur kommissarisch.
Der Rücktritt Guttenbergs Anfang März 2011 war auch deshalb so „traumatisch“, weil sein Aufstieg so rasant gewesen war: Der konservative Jungstar, der nicht langweilig sein wollte, stolperte über eine mühsame Plagiatsdebatte um seine Doktorarbeit.
Ähnlich – wenn auch nicht unter so großer öffentlicher Aufmerksamkeit – erging es übrigens der FDP-Politikerin Silvana Koch-Merin, die nur zwei Monate später im Mai 2011 zurücktrat. Sie trat sowohl als Vorsitzende der FDP im Europäischen Parlament als auch als Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments zurück. Seit dem Fall Guttenberg dürfte in Deutschland Folgendes gelten: Ein Politiker mit nachgewiesenem Plagiatsvorwurf kann nicht mehr im Amt bleiben.
Ebenso wenig wie ein Amtsinhaber, dem eine Verwicklung in dubiose Fördergeschäfte nachgesagt wurde: So trat im Juni 2010 der Ministerpräsident Jürgen Rüttgers zurück, der zuvor mit dem Vorwurf der Käuflichkeit von Sponsoren („Sponsoring-Affäre“) zu kämpfen hatte. Ausschlaggebend für den Rücktritt dürfte freilich das Wahldebakel in Rüttgers Bundesland Nordrhein-Westfalen gewesen sein. Als die Große Koalition nicht mehr zustande kam, kündigte Rüttgers seinen Rückzug an.
Amtsmüder Koch
Im Jahr 2011 drehte sich das deutsche Rücktrittskarussell gefühlt besonders schnell. Blättert man zurück, war allerdings 2010 das Rekordjahr der Rücktritte. Neben Rüttgers traten gleich mehrere Landeschefs der CDU zurück. Allerdings nicht immer aufgrund von Skandalen – mitunter einfach wegen Amtsmüdigkeit, wie im Fall von Roland Koch, des langjährigen Ministerpräsidenten Hessens und stellvertretenden CDU-Bundesvorsitzenden. „Politik ist nicht mein Leben“, konstatierte Koch lapidar, als er das Handtuch warf. Auch beim Rücktritt von Wulffs Vorgänger Horst Köhler könnte dieser Faktor – neben mangelndem Durchsetzungsvermögen – eine Rolle gespielt haben.
Seltener aus „familiären Gründen“
Ein außergewöhnlicher Grund – zumindest bei Männern – ist noch immer die Abgabe der Ämter aus „familiären Gründen“. Als der damalige deutsche Vizekanzler Fritz Müntefering im November 2007 seine Ämter zurücklegte, war das Erstaunen groß. Die Gerüchte, wonach Münteferings Rücktritt nicht nur mit dem Gesundheitszustand seiner Frau zu tun hatte, sondern auch mit dem politischen Scheitern des von der SPD geforderten Mindestlohns, wollten indes nie ganz verstummen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.02.2012)