Deutschland: "Merkel ist schwer auszurechnen"

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bdquoMerkel schwer auszurechnenldquo(c) Reuters (FABRIZIO BENSCH)
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Die Unionsparteien wollen Joachim Gauck als Wulff-Nachfolger verhindern. Dieser hielt sich bei einem Wien-Besuch bedeckt. Doch auch jeder andere denkbare Kandidat scheint für irgendjemanden nicht tragbar zu sein.

Wien/Berlin. Eigentlich sollte es eine ganz normale Matinee werden. Dass vor dem Stadttheater in der Walfischgasse Sonntagvormittag zahlreiche Kamerateams und Journalisten warteten, hatte dennoch einen guten Grund: Gast bei „Peter Huemer im Gespräch mit...“ war diesmal Joachim Gauck, möglicher Nachfolger des am Freitag zurückgetretenen deutschen Bundespräsidenten Christian Wulff.

Zur Causa Prima war dem gut gelaunten Ex-DDR-Bürgerrechtler erwartungsgemäß wenig zu entlocken: „Wenn Sie etwas wissen wollen, rufen Sie Frau Merkel an“, riet er den anwesenden Journalisten, „ich warte erst einmal bis morgen oder übermorgen ab.“ Wenn man sich vom neuen Präsidenten aber „eine Mischung aus Engel und Philosoph“ erwarte, wäre das nicht schön, so Gauck. Die Ansprüche dürften jetzt keinesfalls ins Unermessliche steigen. Auch in der Bevölkerung gebe es alles, „von grenzdebil bis begnadet“ – das sei bei Politikern nicht anders.

„Ruhig und aufgeregt zugleich“

Der 72-Jährige gestand, hinsichtlich der laufenden Verhandlungen über einen Nachfolgekandidaten „ambivalente Gefühle“ zu haben: „Ich bin ruhig und aufgeregt zugleich.“ Kanzlerin Angela Merkel, die den Parteilosen bei der Wahl 2010 verhindert hat, „schätze er sehr“, so Gauck, sie sei aber „schwer auszurechnen“.

Wie recht er behalten sollte, zeigte sich wenige Stunden später: Mehrere Medien in Berlin haben übereinstimmend berichtet, dass die Unionsparteien (CDU/CSU) Gauck als Kandidaten ablehnen würden, während das FDP-Präsidium sich einstimmig für ihn ausgesprochen hat. Die stolze Kanzlerin ist offenbar (noch) nicht bereit, über ihren Schatten zu springen und Gauck als Konsenskandidaten vorzuschlagen. Damit würde sie eingestehen, 2010 einen Fehler gemacht zu haben, als sie mit aller Kraft Wulff durchgesetzt hat.

Doch auch jeder andere denkbare Kandidat scheint für irgendjemanden nicht tragbar zu sein: Ex-Umweltminister Klaus Töpfer und die grüne Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckhart für die FDP, der evangelische Altbischof Wolfgang Huber für die Katholiken, alle amtierenden Minister für SPD und Grüne. Am Samstagabend fiel in Verhandlungskreisen der Name von Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU). Zwei Namen sind dagegen jedenfalls von der Liste zu streichen: Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) und Andreas Voßkuhle, der Präsident des Verfassungsgerichts, haben bereits abgesagt.

Verhandlungen mit Opposition

So ist es nicht verwunderlich, dass sich die Verhandlungen in die Länge ziehen. Immerhin: Noch am Sonntagabend wollte die Regierung ihren Gesprächskreis erweitern und SPD und Grüne dazu holen. Spätestens bis Aschermittwoch soll der gemeinsame Kandidat stehen. Dann wäre die Wahl durch Bundestag und Ländervertreter nur mehr eine Formsache.

Gauck selbst hat sich froh gezeigt, dass er an dem Entscheidungsprozess nicht mitwirken müsse. „Gott oder die Mehrheiten werden es fügen, meistens ist es eine Melange“, sagte er launig. „Ich vertreibe mir die Zeit, indem ich einfach meiner Arbeit nachgehe.“ Dennoch ließ er durchblicken, die Herausforderungen an das Amt gerne annehmen zu wollen. Damit hielte er es wie mit der geschätzten Freiheit: „Man kann sich auf sie freuen oder man kann sie fürchten.“

Mit Gauck als künftigem Präsidenten könnten nicht nur FDP, SPD und Grüne, sondern auch die Bevölkerung sehr gut leben. Bei einer „Emnid“-Umfrage für „Bild am Sonntag“ sprachen sich 54Prozent für den Exchef der Stasi-Unterlagenbehörde aus. An zweiter Stelle folgten Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) und SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier.

Auf einen Blick

Die Suche nach einem Konsenskandidaten für das Amt des deutschen Bundespräsidenten ging am Sonntag weiter. Die Spitzen von CDU und FDP suchen einen parteiübergreifenden Nachfolgekandidaten für den am Freitag zurückgetretenen Christian Wulff. Die Suche gestaltet sich jedoch schwierig: Mehrere infrage kommende Kandidaten, wie der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, oder Bundestagspräsident Norbert Lammert lehnten bereits ab. Ein möglicher Kandidat, der von der Opposition und der Bevölkerung bevorzugt wird, ist der parteilose Joachim Gauck. Gegen ihn aber hegt Merkel Vorbehalte. Sie hatte bei der Wahl 2010 auf Wulff beharrt, Gauck zog damals im dritten Wahlgang knapp den Kürzeren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2012)

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