Mit ihrer Festlegung auf Gauck haben sich die Liberalen zurückgemeldet und die Union massiv verstimmt. Paradoxerweise könnte aber gerade die düpierte Merkel am meisten von Gaucks Nominierung profitieren.
Berlin/Gau. Es hätte die Nacht der langen Messer werden können. Stundenlang hatte die FDP-Spitze am Sonntag mit CDU/CSU über einen Nachfolger für den zurückgetretenen Bundespräsidenten Christian Wulff verhandelt. Plötzlich aber erwiesen sich die konstruktiven Grübeleien als Scheingefecht. Über Agenturmeldungen erfuhr Kanzlerin Angela Merkel, dass sich das Präsidium der Liberalen hinterrücks auf Joachim Gauck als Kandidaten geeinigt hatte.
Denn die Vorschläge der Union, Ex-Umweltminister Klaus Töpfer und Altbischof Wolfgang Huber, empfand man im liberalen Lager als Provokation. Statt sich an den Rand drängen zu lassen, verbündete sich die FDP kurzerhand mit SPD und Grünen und spielte so zugleich Jamaica und Schicksal. Denn die Christdemokraten hatten sich ja festgelegt: Nein zu Gauck, der sich 2010 als Gegenkandidat zu Wulff nominieren ließ. Der Gesichtsverlust für die Kanzlerin, das Eingeständnis des Scheiterns, wäre zu groß gewesen. Durch das liberale Manöver drohte also ein Auseinanderbrechen der Koalition. Die Folge: Neuwahlen, Chaos auf den Finanzmärkten, im schlimmsten Fall das Ende des Euro. Der erste Akt, ein Koalitionskrach, blieb auch nicht aus: Als „ziemlich munter“ beschreibt ein Teilnehmer den weiteren Sitzungsverlauf.
Das versprochene Treffen mit der Opposition hätte alles noch verkomplizieren müssen. Und doch war es nach wenigen Minuten zu Ende: Merkel hatte kurz davor das Machtwort gesprochen, dass sie scheinbar entmachtete. Sie telefonierte mit Gauck und fragte ihn, ob er noch Bundespräsident werden wolle. Wenig später saßen alle traulich vereint vor den Kameras, umringten den verdutzten Gauck und verkündeten seine Nominierung, voll des Lobes für den gemeinsamen Kandidaten.
Doch das Nachspiel blieb nicht aus: Die Tricks der Liberalen belasten die Stimmung in der Koalition massiv. Statt die Wogen zu glätten, sprach Fraktions-Vize Michael Kretschmer gestern von einem „gewaltigen Vertrauensbruch“, der „symptomatisch für den Zustand der FDP“ sei: Unter Genscher oder Kinkel „wäre ein solches Verhalten undenkbar gewesen“. Übrigens soll nicht der junge FDP-Chef Rösler die Fäden gezogen haben, sondern der altgediente Politprofi Rainer Brüderle.
Kanzlerin scheitert erfolgreich
Jedenfalls haben sich die Liberalen durch den Befreiungsschlag wieder ins Spiel gebracht. Die Partei liegt in Umfragen inzwischen unter drei Prozent und würde eine Neuwahl wohl nicht überleben. Mit ihrem geglückten Coup hat sie Stärke bewiesen. Wie sehr das die Wähler beeindruckt, werden die nächsten Umfragen weisen.
Wie angeschlagen aber ist die Kanzlerin? SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles freut sich, dass sie „umgefallen“ ist. Für Linke-Chef Klaus Ernst hat Merkel „dem Erpressungsmanöver nachgegeben“. Aber wird ihr das tatsächlich schaden? Sie ist durch ihre Führungsstärke in der Eurokrise zurzeit so beliebt, dass ihr der „Umfaller“ wohl ebenso wenig anhaben kann wie die durch Fukushima erzwungene Energiewende vor einem Jahr.
Die Deutschen haben nun neben der Kanzlerin auch den Präsidenten, den sie sich wünschen. Das haben sie letztlich doch Merkels Einlenken zu verdanken, und sie werden es ihr nicht übel nehmen. Vielleicht hat Merkel sogar mit diesem Ausgang spekuliert, als sie die „Linke“ nicht zu Gesprächen eingeladen hat. Diese Partei wäre die einzige gewesen, die gegen Gauck ein Veto eingelegt hätte. Für künftige Koalitionen aber hat sich die Union nun wieder alle Möglichkeiten offengehalten. Das lässt die „Frankfurter Allgemeine“ kommentieren: „So erfolgreich kann scheitern sein.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2012)