Offen für alles: Wie der „Guardian“ zur Story kam

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Symbolbild(c) AP (LEFTERIS PITARAKIS)
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Der britische "Guardian" bekam die über 3000 E-Mails des Diktators Bashar al-Assad angeblich von der syrischen Opposition zugespielt. Das Blatt lässt die Leser an der Entstehung seiner Artikel teilhaben.

Der „Guardian“ hat sich vorbereitet. so viel steht fest. Das Dossier über die 3000 E-Mails des syrischen Diktators Bashar al-Assad liefert auch Antworten auf kritische Fragen von Skeptikern, mit denen das Blatt rechnen musste. In dem Erklärstück „How the Assad e-mails came to light“ schildert die Redaktion, wie syrische Aktivisten vor etwa einem Jahr an die Zugangscodes zweier E-Mail-Konten gekommen waren, die offenbar dem syrischen First Couple gehörten. Neun Monate lang überwachten und kopierten die Aktivisten mit Hilfe von Hackern die E-Mails, bis das Regime Anfang Februar von der Abhöraktion Wind bekam und die E-Mail-Konten stilllegte.

Der „Guardian“ erhielt die E-Mails von syrischen Oppositionellen zugespielt und machte sich danach selbst an die Arbeit, die Echtheit und Richtigkeit der E-Mails zu überprüfen. Wie das funktioniert hat, beantwortet die Redaktion in einer ebenfalls zum Dossier gehörenden Fragen- und Antwortenliste („How do we know the Assad e-mails are genuine?“). So bestätigten zehn Personen, die als Adressaten der Mails aufscheinen, Zeitpunkt und Inhalt der gesicherten Mails. Dennoch kann auch der „Guardian“ nicht ausschließen, dass sich unter den 3000 Mails eine Fälschung befindet, wie er selbst einräumt. Alles in allem ist die Aufbereitung des Assad-Dossiers ein Musterbeispiel dafür, was der „Guardian“ unter modernem Nachrichtenmachen versteht. Über allem steht das Motto: Gib dem Leser jede Information, die du gesichert hast. Er soll sich selbst ein Bild machen.

Besuch vom „Guardian“ in Wien

Während die britische Zeitung Mittwochnacht die Assad-E-Mail-Bombe platzen ließ, war einer der kreativsten Köpfe des „Guardian Digital“-Teams zu Gast in Wien, um zu erklären, was sein Blatt unter „Open Journalism“ versteht. Chris Moran versucht als Digitalexperte beim „Guardian“ laut Eigendefiniton, „unsere Redakteure zu animieren, digital zu denken“. Er achtet darauf, dass die Artikel aus der „Guardian“-Werkstatt auf allen Onlinekanälen optimal wahrgenommen werden.

Obwohl das 1821 gegründete Blatt seit Jahren gegen schwindende Printauflagen und massive Finanzprobleme (mit Verlusten bis zu 50 Mio. Euro pro Jahr) kämpft, versucht es, online bei Innovationen ganz vorne dabei zu sein. Mittlerweile sieht sich der „Guardian“ nicht mehr als Zeitungshaus, sondern als „Digital-First-Unternehmen“, sagt Moran im Gespräch mit der „Presse“.

Der gläserne Newsroom

Oberste Grundregel der „Guardian“-Redaktion ist seit geraumer Zeit: Schaffe Transparenz. Die jüngste Errungenschaft im gläsernen Newsroom des „Guardian“ ist die „Open Newslist“: Seit Oktober 2011 stellt die Redaktion ihre Themenliste online und lädt Leser ein, sich an der Entstehung der einzelnen Artikel zu beteiligen. „Das Interesse an der Themenliste ist noch nicht so groß, wie wir dachten“, sagt Moran. Weshalb seit einiger Zeit ein eigener Begleitblog einzelne Themen aus der Newslist herausgreift und genauer erklärt, was die Zugriffe gesteigert habe.

Noch eine Grundregel verrät Moran: „Die Geschichte sollte nie mit dem Artikel enden. Der Artikel kann oft erst der Anfang sein.“ Diese Regel befolgt die Redaktion auch bei der Assad-Story. Am Donnerstag lief auf der „Guardian“-Webseite ein Live-Ticker, der mit Reaktionen auf das Assad-Dossier und aktuellen Nachrichten aus Syrien aktualisiert wurde. Aus der Newslist ging hervor, welcher Reporter an der Geschichte „Assad reactions“ arbeitet, sein Name wird direkt mit seinem Twitter-Account verlinkt. Dieser einfache Zugang zum einzelnen Reporter soll dem Leser eine offene Tür suggerieren. Dabei sei die Idee der offenen Tür beim „Guardian“ längst nicht neu, erklärt Chris Moran. Die Zeitung habe schon seit 30 Jahren einen unabhängigen Ombudsmann. Die Kolumne hieß von Anfang an: „Open Door“.

Zur Person

Chris Moran arbeitet seit 1999 für die Onlineausgabe des „Guardian“, heute ist er SEO Editorial Executive (Search Engine Optimization). Er war Mittwoch und Donnerstag auf Einladung des Forums Journalismus und Medien in Wien. [C. Fabry]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.03.2012)

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