Ein Hauch von Vietnam liegt in der Luft

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Die Lage in Afghanistan ist so gespannt, dass ein vorzeitiger Abzug möglich ist. Nach mehr als zehn Jahren sind die Afghanen ihrer Beschützer überdrüssig.

Spätestens als Leon Panetta Mitte der Woche auf der Militärbasis Camp Bastion in Afghanistan landete, wusste der US-Verteidigungsminister, dass er sich auf feindlichem Territorium befand. Der Krieg hatte die militärische Sperrzone überwunden. Wie eine Flammensäule taumelte ein Mann über das Flugfeld. Der afghanische Zivilbedienstete, ein Dolmetscher, hatte sich einen Pick-up-Truck geschnappt und war auf einen Trupp von US-Marines losgerast. Das Selbstmordkommando schlug fehl: Er verlor die Kontrolle und wurde aus dem Fahrzeug geschleudert.

Im Gefolge des Massakers des US-Sergeants Robert Bales war die Stippvisite des Pentagon-Chefs in Kabul von Animositäten geprägt. Gegenseitiges Misstrauen dominiert das Verhältnis. Der afghanische Präsident Hamid Karzai forderte die Schutzmacht der Alliierten zum Rückzug in ihre Camps auf – und zog obendrein die Einzeltat des Amokläufers in Zweifel. Den Amerikanern gilt Karzai als Patron einer korrupten Mafia, der sich anschickt, einen Pakt mit den Taliban einzugehen.

Dass Präsident Barack Obama dem erratischen Staatschef von Washingtons Gnaden hinterher telefonisch zur Geburt seiner Tochter gratulierte, war nichts weiter als diplomatische Camouflage. Er wollte sich bei Karzai über den fixierten etappenweisen Abzugs- und Übergangsplan vergewissern. Zuvor hatte er sich mit seinem britischen Waffenbruder, Premier David Cameron, über das Prozedere abgestimmt, auf das er die Verbündeten beim Nato-Gipfel in Chicago einschwören will. Nach dem Modell des Irak-Rückzugs forciert Panetta ein Ende des Kampfeinsatzes im Herbst 2013, ein Jahr vor Ende der Mission.

Nach mehr als zehn Jahren sind die Afghanen ihrer Beschützer überdrüssig, und diese sind eines Krieges müde, der als bis dato längster und kostspieligster in den US-Annalen aufscheinen wird. Im Weißen Haus und im Pentagon kursieren Szenarien für einen rascheren Truppenabbau, wogegen sich die Generäle stemmen. Bei Bedarf könnte Obama im Herbst jedoch einen Wahlkampfcoup präsentieren, mutmaßen die Republikaner. Es wäre eine Flucht nach vorn aus dem „Friedhof der Imperien“. Ein Hauch des Vietnam-Debakels liegt in der Luft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.03.2012)

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