"Nur Dummheit könnte einen Atomkrieg auslösen"

An anti-nuclear protester wearing a mask with the symbol for radioactivity participates in a march in
An anti-nuclear protester wearing a mask with the symbol for radioactivity participates in a march in(c) REUTERS (Issei Kato)
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Eine X-Box und eine Rakete werden von demselben Mechanismus angetrieben, die meiste Korruption herrscht im Waffenhandel und die USA bleiben die Nummer Eins der Welt. Der Rüstungsexperte Heinz Gärtner im DiePresse.com-Interview.

DiePresse.com: Nach einer Studie des Heidelberger Instituts für Konfliktforschung hat es im Jahr 2011 die meisten Kriege seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gegeben.

Heinz Gärtner: Im Gegenteil: Die Anzahl der Kriege ist gesunken - vor allem seit dem Ende des Kalten Krieges. In den letzten zehn bis 15 Jahren gab es nochmals um etwa 50 Prozent weniger Kriege. Zugleich sind aber die weltweiten Militärausgaben um 50 Prozent gestiegen. Das zeigt: Bedrohung und Militärausgaben korrelieren nicht mehr.

Wer sind derzeit die Big Player im Militärbereich?

Die USA haben die höchsten Militärausgaben - ausgelöst durch Bedrohungsängste, die gerade im laufenden US-Wahlkampf immer wieder geschürt werden. Russland modernisiert sein Militär und im asiatischen Raum heizen Misstrauen und Konkurrenzdenken die Aufrüstungstendenzen an. Daneben gibt es die Rüstungsindustrie, die ihre Produkte an den Mann bringen will.

Der größte Waffendeal des Jahres 2011 - um 29,2 Milliarden Dollar - wurde zwischen den USA und Saudi-Arabien geschlossen.

Im Waffenhandel gilt das Gleiche wie bei der Aufrüstung: wenige Große verkaufen, einige Konfliktländer sind die Hauptabnehmer. Hier bräuchte es stärkere Regulierungen. Derzeit ist der Waffenhandel sehr undurchsichtig - 40 Prozent der weltweiten Korruption spielt sich in der Rüstungsindustrie ab. Ein besonderes Problem sind die Dual-Use-Güter, die für zivile und militärische Zwecke eingesetzt werden können. Ein Beispiel: Der Mechanismus, der eine X-Box antreibt, kann auch zur Steuerung einer Rakete verwendet werden. Das bedeutet aber nicht, dass das bloße Aufrüsten zu einem Krieg führt - Waffen sind nur ein Hilfsmittel für einen Krieg, sie lösen ihn nicht aus.

»"Drohungen sind eine Trumpfkarte, die nicht lange hilft."«

Über das Säbelrasseln des Iran.

In Summe ist das Waffengeschäft weltweit im Aufschwung. Allein China hob 2011 sein Verteidigungsetat um 12,7 Prozent an.

Hier spielt die ökonomische Stärke Chinas eine Rolle. Man sollte aber die Kirche im Dorf lassen: Nur weil China eine zweistellige Steigerung hingelegt hat, ist es keine große Bedrohung. Es ist immer noch ein Zehntel der Ausgaben, die die USA haben. Natürlich wird China bei der Kontrolle der Handelsrouten mehr beachtet werden müssen. Es geht heute aber nicht mehr darum, als einziger etwas zu kontrollieren, sondern die Kontrolle für alle zu sichern. Drohungen bleiben eine Trumpfkarte, die aber nicht lange hilft. Sollte Israel die Atomanlagen des Iran bombardieren, könnte dieser die Straße von Hormuz blockieren - sich damit aber bald ins eigene Fleisch schneiden. Ein Krieg in dieser Region lässt sich trotzdem nicht ausschließen, denn auch im Ersten Weltkrieg ließen sich viele Staaten, entgegen ihrer eigenen Interessen, zum Kampf hinreißen.

Seit 2008 befinden wir uns in einer Wirtschaftskrise mit massenhaft Sparpaketen. Wie wirkt sich diese Situation auf die Verteidigungsstrategien der Staaten aus?

Sparpakete gibt es überall. Auch die US-Regierung von Barack Obama hat angekündigt in den kommenden zehn Jahren 500 Milliarden Dollar im Militärbereich einsparen zu wollen. Die USA haben aber ein sehr hohes Verteidigungsbudget von 4,5 Prozent des BIP, die meisten Europäer liegen unter zwei Prozent. Massive Aufrüstungsbudgets wird es daher nicht geben. Die einzigen, die sich das in den letzten Jahren leisten konnten waren die asiatischen Länder.

Befinden sich die USA hier nicht in einem Zwiespalt? Einerseits schrumpft das Verteidigungsbudget seit 2008, andererseits wird gerade im persischen Golf aufgerüstet.

Die USA ist im nuklearen wie konventionellen Bereich eine so dominierende Macht, dass ihre Position als Weltmacht nicht gefährdet ist. Bei den Einsparungen geht es eher darum, Programme - etwa die Herstellung bestimmter Unterseeboote oder Fighter Jets -, die während des Kalten Krieges angelaufen sind, zu verlangsamen. Das waren Vorbereitungen für den großen Krieg gegen die Sowjetunion, der nicht stattgefunden hat - und auch der große Krieg gegen China wird nicht stattfinden. Die Politik dominiert immer noch die Verteidigung, die Politiker sind keine Hampelmänner der Wirtschaft.

»"Der Einsatz einer Bombe wäre eine reine Selbstzerstörung."«

Zu einem drohenden Atomkrieg.

Riskieren die USA damit nicht ihre Stellung als militärische Weltmacht?

Nein, meiner Meinung werden Nuklearwaffen überschätzt, denn sie sind überhaupt nicht einsetzbar - mit Nuklearwaffen gewinnt man keinen Krieg. Würden die USA Russland mit Nuklearwaffen angreifen, könnte Russland die USA mit wenigen Atombomben regelrecht zerstören. Auch im regionalen Rahmen, wie in Nordkorea oder dem Iran, wäre der Einsatz einer Bombe eine reine Selbstzerstörung. Das ist irrational.

Ein Atomkrieg steht nicht bevor?

Nein, außer es kommt zu menschlichen Versagen, einem Unfall oder einer Falschinformation. Das wäre ein Atomkrieg durch Zufall und Dummheit. Einen rationalen Nuklearkrieg schließe ich aus.

Zurück zu den Einsparungen: In Europa versuchen Frankreich und Großbritannien durch Kooperationen zu sparen - bei steigender Abhängigkeit.

Das ist eine Gefahr, die keiner ausspricht, aber jeder spürt. Trotzdem nimmt dieses „pooling and sharing" an Bedeutung zu. Ein europäische Heer wird es aber nicht geben, denn ganz wird der Bereich der Sicherheit und Verteidigung nie aus der nationalen Hand gegeben werden. Denn die Politiker, die gewählt werden wollen, wollen die Entscheidung über Leben und Tod nicht an Brüssel abgeben.

Wie kommt es, dass die Big Player abrüsten, Schuldenstaaten wie Griechenland aber weiter aufrüsten?

Hier spielen traditionelle Ängste eine Rolle, konkret der Konflikt mit der Türkei. In Europa hatten Griechenland und die Türkei schon immer die höchsten Militärausgaben im Vergleich zum BIP. Es ist eine abnormale Situation, dass Griechenland so hohe Militärausgaben hat, verglichen mit seiner kleinen Wirtschaftsleistung. Mit den beiden Ländern müsste es zu Rüstungskontrollverhandlungen kommen.

In puncto Aufrüstung sind die Schwellenländer - China, Indien und Brasilien - auf der Überholspur. Wurden diese unterschätzt, was ihre militärische Stärke betrifft?

Ja, auf jeden Fall. Gerade Indien rüstet sehr auf und hat ein gutes Wirtschaftswachstum. Es lässt sich schon lange nichts mehr vorschreiben - weder in ihrem Nuklearwaffenprogrammen, noch bei der konventionellen Aufrüstung. Alle Schwellenländer wollen schließlich an der Gestaltung der Weltordnung teilnehmen. Gleichzeitig teilen alle gewisse Interessen, wie einen funktionierenden Handel, den Klimaschutz, die Eindämmung von nuklearer Proliferation, von Epidemien und des Terrorismus. Diese Gemeinsamkeiten und die globalen Partnerschaften sind den nationalen Rivalitäten und dem Misstrauen übergeordnet.

Gehen beim Kampf gegen den Terrorismus die nationalen Interessen nicht vor?

Nein, außer vielleicht im Iran. Hier kommt es oft zu Drohgebärden bzw. asymmetrischer Kriegsführung nach dem Muster: wenn ich angegriffen werde, greife ich zu Terror. In Summe hat aber kein Staat, auch nicht der Iran, ein Interesse daran, dass zB. das Terrornetzwerk al-Qaida Anschläge verübt.

»"Russland versucht verkrampft, sich als Supermacht zu etablieren. Ein Versuch, der scheitern wird."«

Zur russischen Aufrüstungsoffensive.

Ein Blick nach Russland: Vor der Präsidentschaftswahl kündigte Wladimir Putin eine Aufrüstungsoffensive an. Die Kalaschnikow wird modernisiert, neues Gerät angeschafft.

Die Russen sind sehr starke Patrioten, die in den vergangenen Jahren viele Demütigungen erfahren haben. Sie wurden auf ein Schwellenland reduziert (BRICS-Staaten) und haben mit einer schwachen Wirtschaft und negativen Wachstumsraten zu kämpfen. Einzig ihre Rüstungsstärke blieb ihnen, um weiter Weltmacht spielen zu können. Dieses verloren Selbstvertrauen, diesen gekränkten Stolz will Putin wieder aufbauen und setzt verstärkt auf Drohungen gegenüber den USA und China sowie auf die Nuklearkarte. Ein verkrampfter Versuch, sich als Supermacht zu etablieren, der scheitern wird.

Wie wird sich das Verhältnis der Big Player verändern?

Die USA bleibt ganz sicher die Nummer Eins der Welt - aber nicht mehr im Sinne einer hegemonialen Großmacht. Vielmehr werden die aufstrebenden Ländern mehr Anteil am BIP und den weltweiten Exporten nehmen, was einen relativen Verlust für die USA bedeutet. Großmächte im klassischen Sinn gibt es aber keine mehr. Auch in Zukunft wird es keine multipolare Welt gegeben, sondern eine multi-partnerschaftliche Welt in der vor allem China und Russland mehr Verantwortung übernehmen werden müssen. Auch die G20 werden immer bedeutender werden - mit loseren Kooperationen als bisher. Eine Brise an Konkurrenz und Misstrauen wird trotz der gemeinsamen Ziele bleiben.

Der Arabische Frühling hat das Jahr 2011 dominiert. Wie sieht die Zukunft für Syrien, Libyen oder Ägypten aus?

Schwer zu sagen. Insbesondere Syrien ist ein offenes Buch. Wenn wir uns die Revolutionen der Vergangenheit ansehen, dauerte es meist zwei Jahrzehnte um abschätzen zu können, in welche Richtung es sich entwickelt. In Russland kam es nach der Revolution zu einer Diktatur, nach der amerikanischen Revolution dauerte es rund 15 Jahre bis ein Präsident gewählt wurde und nach der französischen Revolution hatten wir den Terror und Napoleon. Generell wird sich der Mittlere Osten neu ordnen - das wird vor allem für Israel spannend, denn es hat recht gut gelebt mit einem Hosni Mubarak in Ägypten. Am besten wären scharfe Kontrollen und ein nuklearwaffenfreier Mittlerer Osten.

Zusammengefasst: Weniger Kriege, aber mehr Rüstungsausgaben. Indizien für eine friedliche Zukunft?

Ja. Das Säbelrasseln wird zwar bleiben, aber ich glaube weder, dass der Iran eine Atomwaffe entwickelt, noch das er sie einsetzen könnte. Letzteres gilt auch für Nordkorea. Ich denke, dass die USA mit wenigen hundert Nuklearsprengköpfen verhindern kann, dass ein Idiot, ein irrationaler Führer, eine Nuklearwaffe einsetzt. Die Herausforderungen sind auf einem niedrigeren Niveau, die niedrigere Militärbudgets und eine nukleare Abrüstung ermöglichen.

Zur Person

Heinz Gärtner ist seit 1979 wissenschaftlicher Mitarbeiter und seit 2001 Außerordentlicher Universitätsprofessor am Österreichischen Institut für Internationale Politik (OIIP) in Wien. Zudem ist er als Berater des österreichischen Verteidigungsministeriums tätig. Seine Forschungsschwerpunkte bilden die Themenbereiche „Abrüstung, Rüstungskontrolle, Nichtverbreitung von Nuklearwaffen“, Sicherheitskonzepte, Terrorismus sowie die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik.

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