Tuareg-Rebellion: Ein Islamisten-Staat im Norden Malis?

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Was als separatistischer Aufstand begonnen hat, nimmt immer stärker religiösen Charakter an. In den eroberten Städten wird bereits die Scharia durchgesetzt. Aufstände der Tuareg gibt es seit den 60er-Jahren.

Die Flaggen wechseln rasch dieser Tage in Timbuktu: Als die Tuareg-Rebellen von der „Nationalen Bewegung zur Befreiung von Azawad“ (MNLA) am Sonntag die Stadt im Norden Malis fast ohne Gegenwehr einnahmen, zogen sie über dem Fort die Farben ihres (noch) imaginären Staates Azawad auf. Bereits am nächsten Tag wehte dort schon wieder die Flagge Malis, allerdings nicht alleine: Eine schwarze hatte sich dazugesellt, auf der in Weiß der Schriftzug „Es gibt keinen Gott außer Allah“ prangte.

Ein Detail, das viel erzählt über die Situation im Norden Malis. Militärisch ist die Lage zwar klar, nachdem die Rebellen die drei wichtigsten Städte Kidal, Gao und Timbuktu in nicht einmal drei Tagen eingenommen haben: Wenn sie sich jetzt zu Waffenstillstandsverhandlungen mit der Putsch-Regierung in der Hauptstadt Bamako bereit erklärten, dann deshalb, weil sie ihr Ziel, die „Befreiung Azawads“, erreicht haben. Hinter dieser scheinbaren Klarheit ist die Situation aber höchst unübersichtlich. Die Rebellion wird von zwei Gruppen mit sehr unterschiedlichen Zielen getragen – zusätzlich spielt „al-Qaida im islamischen Maghreb“ ihr ganz eigenes Spiel.

Aufstände der Tuareg, das hat es in Mali seit den 60er-Jahren, also seit der Unabhängigkeit von Frankreich, immer wieder gegeben. Doch diesmal ist alles anders: Kämpften die Tuareg – deren Stämme sich keineswegs immer grün sind – bei früheren Erhebungen um mehr Teilhabe und mehr Geld für den vernachlässigten Norden, so geht es ihnen nun ums Ganze: die Unabhängigkeit „Azawads“. Ein Optimismus, der von großen Mengen (schwerer) Waffen unterfüttert ist, die die Tuareg aus Libyen haben mitgehen lassen.

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Sieg mit Waffen aus Libyen

Rückblende Oktober 2011: „Radio France International“ meldet die Ankunft eines Konvois von 68 Fahrzeugen im Norden Malis. Die 400 Kämpfer, angeführt von einem Oberst, haben sich via Niger aus Libyen durchgeschlagen. Sie hatten einmal in der Armee von Muammar al-Gaddafi gekämpft, viele hatten sogar die libysche Staatsbürgerschaft angenommen. Doch nach dem Fall des Diktators war es Zeit, zu gehen.

Drei Monate später starteten sie ihren neuen Aufstand unter der Flagge der MNLA, verstärkt durch Deserteure aus der Armee. Doch bald machte noch eine zweite Tuareg-Gruppe von sich reden: Ansar ed-Din („Verteidiger des Glaubens“). Sie steht unter dem Kommando eines berühmten Anführers früherer Aufstände, hat aber vor allem ein religiöses Ziel: Die Einführung der Scharia. Als Ansar ed-Din die Militärbasis Aguelhok eroberte, schnitten die Kämpfer, die sich „Mudjaheddin“ nennen, über 80 Soldaten die Kehle durch.

Vor vier Jahren hieß es in einer geheimen Depesche der US-Botschaft Bamako noch, Teile der Tuareg würden „al-Qaida im islamischen Maghreb“ zwar logistische Hilfe leisten, aber nur aus wirtschaftlichen Erwägungen (es ging vor allem um Drogenschmuggel). „Kulturelle Verbindungen gibt es nicht.“ Das hat sich gründlich geändert. Wie der Sahel-Experte Wolfram Lacher kürzlich im Gespräch mit der „Presse“ erläuterte (www.diepresse.com/sahel) gibt es zwischen Ansar ed-Din und al-Qaida verwandtschaftliche Bande.

Nicht heimischer Steinzeit-Islam

Eine entscheidende Frage ist nun die nach den Kräfteverhältnissen: Zahlenmäßig ist die separatistische MNLA überlegen, doch die Flaggen-Episode in Timbuktu deutet auf eine Dominanz der Islamisten hin. Aus den eroberten Städten gibt es Berichte, denen zufolge die Kämpfer Bars und Hotels mit Alkoholausschank zerstörten. „Timbuktu hat seine erste Nacht unter der Scharia verbracht“, zitiert die Agentur AFP einen örtlichen Beamten.

Solange die MNLA den Ton angab, verhielten sich die Rebellen angeblich ungewohnt korrekt gegenüber Zivilisten: „Bei früheren Aufständen haben sie die Menschen terrorisiert und das Vieh gestohlen“, zitiert „Jeune Afrique“ einen Bewohner von Ménaka: Diesmal richteten sich die Plünderungen gegen staatliche Gebäude, man wollte offenbar das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen. Geflohen ist der Mann trotzdem, wie rund 200.000 seiner Landsleute. Sollte künftig ein in Mali eigentlich nicht heimischer Steinzeit-Islam die Bevölkerung terrorisieren, wird ihre Zahl wohl noch weiter steigen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.04.2012)

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