EU und Afrikanische Union lehnen Tuareg-Staat strikt ab. Sie fürchten Nachahmungseffekte in Malis Nachbarschaft. Doch die Rebellen sind in einer guten Verhandlungsposition - dank der Waffen aus Gaddafis Arsenalen.
Seit fünf Jahrzehnten kämpfen sie um einen eigenen Staat. Nun wurde der Traum der Tuareg wahr. Billal Ag Acherif, der Generalsekretär der Nationalen Befreiungsbewegung (MNLA), rief am Freitag den unabhängigen Staat „Azawad“ aus und forderte „die gesamte internationale Gemeinschaft auf, im Geist von Gerechtigkeit und Frieden“ ihn anzuerkennen. Die Europäische und die Afrikanische Union lehnten umgehend ab.
„Azawad“ ist der Tuareg-Name für die Region nördlich der Stadt Timbuktu und umfasst zwei weitere Regionen, die von Kidal und Gao. Ein Wüstengebiet, so groß wie Frankreich. Der Nomadenstamm der Tuareg kämpfte seit Malis Unabhängigkeit von Frankreich im Jahr 1960 für einen unabhängigen Staat im Norden des Landes. 1990, 1991 und zuletzt 2006 war es zu Aufständen gegen die Zentralregierung in der Hauptstadt Bamako gekommen.
Am 17. Jänner starteten die Tuareg erneut eine Offensive und brauchten dieses Mal nur drei Monate, um ihr Azawad zu erobern. Früher kämpften sie mit alten Kalaschnikows und ausgedienten Granatwerfen. Heute verfügen sie über „Panzer- und Luftabwehrwaffen“, versicherte Malis Außenminister Soumeylou Boubèye Maïga. „Und robuste, schwere Maschinengewehre“, so Oberstleutnant Diarran Kone vom Verteidigungsministerium, auf Pick-ups montiert, wie man das aus Libyen kennt. Bis zu 4000 bewaffnete Kämpfer sollen nach dem Sturz Muammar al-Gaddafis nach Mali zurückgekommen sein.
Die Tuareg hatten in der libyschen Armee gedient und meist Eliteeinheiten formiert. Auf ihrem Rückweg haben sie sich umfassend in den Waffenlagern des Ex-Diktators bedient. So sollen sie auch im Besitz von Flugabwehrraketen sein, mit denen man Kampfhubschrauber oder auch Jets abschießen kann.
Malische Armee überfordert
Die malische Armee war völlig überfordert. 1000 Soldaten sollen bei den Kämpfen mit den Tuareg ums Leben gekommen sein. Das Militär fühlte sich verheizt und putschte am 22. März gegen Präsident Amadou Toumani Toure. Ein Putsch, mit der die Militärjunta Sanktionen der Ökonomischen Gemeinschaft Westafrikanischer Staaten (Ecowas) provozierte. Der Wirtschaftsbund von 15 Mitgliedsländern erließ eine Handelsblockade Malis, stoppte alle Kredite, fror Regierungskonten ein und isolierte das Land diplomatisch. Die Tuareg nutzten das Chaos, konnten innerhalb von nur 72 Stunden bis Timbuktu vorrücken und ihren eigenen Staat ausrufen. Ecowas verhandelt mittlerweile mit den Putschisten in Bamako.
Ansprechpartner ist Hauptmann Amadou Haya Sanogo, der Führer der Militärjunta. Gerade Nachbarländer wie Burkina Faso, Niger oder Algerien sind an stabilen Verhältnissen interessiert. In Mali leben etwa eine Million Tuareg, in den angrenzenden Staaten zwei Millionen. Entsprechend groß sind die Befürchtungen, die Rebellion der Tuareg und die separatistischen Tendenzen könnten sich ausweiten. Der algerische Premier Ahmed Ouyahia hat bereits deutlich gemacht, man werde „nie akzeptieren, dass die territoriale Integrität Malis infrage gestellt wird“.
Aber eine militärische Lösung sei nicht möglich, so hielt zumindest Alain Juppé, der französische Außenminister, fest. Die Tuareg sind in einer guten Verhandlungsposition. Dank der Waffen aus den Arsenalen Gaddafis.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.04.2012)