"Wir haben das Beispiel Irak vor Augen"

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bdquoWir haben Beispiel Irak(c) EPA (JAMAL NASRALLAH)
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Der Metropolit der syrisch-orthodoxen Kirche Mor Eustathius Matta Roham hält die Aufständischen in Syrien für Jihadisten und setzt auf ein Überleben des Regimes in Damaskus.

Die Presse: Wie schätzen Sie die derzeitige Lage in Syrien ein?

Mor Eustathius Matta Roham: Es gibt viele ausländische Einflüsse. Die Türkei etwa. Für Ankara ist Syrien die Brücke in die arabische Welt. Die Türkei träumt heute wieder den Traum vom Osmanischen Reich, und das hat sich – daran darf ich hier in Wien erinnern – einmal bis vor die Tore von Wien erstreckt. Die Europäische Union scheint die Ambitionen der Türkei zu unterstützen. Auf der anderen Seite stehen China und Russland. Auch diese beiden Länder haben Interessen an der Region. Es haben also alle ihre Interessen an dieser Region. Und dann ist da noch Israel: Solange der Golan, solange die Sheba-Farmen besetzt sind, wird es mit Israel Probleme geben.

Wer sind aus Ihrer Sicht die Aufständischen, die Rebellen?

Manche von denen, die sich Rebellen nennen, wollen ihre religiöse Ordnung in Syrien etablieren, sie wollen die Scharia als ihre Verfassung. Das ist doch eine Ironie der Geschichte: In Afghanistan werden solche Menschen Terroristen genannt, in Syrien Rebellen.

Das Regime in Damaskus reagierte von Anfang an mit äußerster Härte. Das können Sie doch nicht gutheißen.

Natürlich bin ich der Meinung, dass Frieden besser ist als Kämpfe. Aber man kann die Lage in Syrien nicht in ein paar Wochen oder in ein paar Monaten ändern. Wir sprechen hier nicht von einer westlichen Demokratie, sondern von einer Gesellschaft mit Stammesstrukturen. Die westlichen Demokratien kamen auch nicht über Nacht auf die Welt. Es geht darum, dass das Gesetz über allem steht, dass alle vor dem Gesetz gleich sind. Aber ich sehe auch, dass das Ergebnis von Revolutionen nicht befriedigend ist, denken Sie etwa an Ägypten. Die Menschen haben in Syrien in Harmonie miteinander gelebt. Die Rebellen waren es, die mit religiös motivierten Morden begonnen haben.

Haben die Christen Angst vor den Zielen der Aufständischen?

Wir haben das Beispiel des Irak vor Augen: Dort werden alle Minderheiten verfolgt oder marginalisiert. Und vor so einer Situation haben wir als syrische Christen Angst. Oder denken Sie an den Libanon. Dort gab es einen jahrelangen blutigen Bürgerkrieg. Wollen wir das? Nein.

Gibt es noch eine Chance auf eine Lösung?

Drei Gruppen wollen den Wandel in Syrien: Aber sie wollen ihn mit unterschiedlichen Mitteln erreichen. Die erste Gruppe sind jene Leute, die für die Gewalt verantwortlich sind: das sind Takfiris – radikale Muslime. Sie sprechen vom Jihad, vom Heiligen Krieg. Und das ist nicht, was die Mehrheit der syrischen Muslime will. Die zweite Gruppe: eine Kombination aus Intellektuellen und den Moslembrüdern. Die meisten haben nicht sehr viel Vertrauen in diese Gruppe. Diese Leute haben in Istanbul den syrischen Nationalrat gegründet. In Syrien glaubt man, dass diese Leute eine westliche Agenda haben.

Und die dritte Gruppe?

Ich würde sie als konstruktive Opposition bezeichnen. Diese Leute glauben an Reformen. Ich lade meine Regierung ein, mit diesen Leuten zusammenzuarbeiten. Denn diese Oppositionellen glauben nicht daran, dass der Wandel von außen kommen kann, sondern sie sind davon überzeugt, dass das nur von innen geschehen kann. Sie wollen der Regierung helfen, den Reformweg zu beschreiten. Ich glaube, dass diese Gruppe sehr hilfreich bei der Gestaltung der Zukunft Syriens sein kann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.04.2012)

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