Israels Atombomben, das offene Geheimnis

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Israel verfügt über eine veritable Nuklearstreitmacht. Zugeben will Jerusalem den Besitz von Atombomben bis heute nicht und hat auch nie den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet.

David Ben Gurion, Israels erster Regierungschef, Schimon Peres, heutiger Staatspräsident, und Ernst David Bergmann, ein aus Deutschland stammender Atomforscher und Chemiker, sind die drei Männer, die Israel zum Atomstaat gemacht haben. Schon wenige Jahre nach der Staatsgründung nahmen sie das ehrgeizige, teure Projekt ins Visier. Bei der Überzeugungsarbeit argumentierte Bergmann für die Atomkraft zur friedlichen Nutzung.

Ben Gurion rief den damals 30-jährigen Peres ins Verteidigungsministerium und beauftragte ihn mit der Beaufsichtigung der israelischen Atomenergiekommission. Insgeheim zielten die beiden wohl gleich auf die Bombe: „Von Ben Gurions engsten Beratern wissen wir, dass er in diesen Jahren unter dem Albtraum eines zweiten Holocaust litt, diesmal durch die Araber“, schreibt US-Journalist Seymour M. Hersh in „Atommacht Israel“. „Viele Israelis, die den Holocaust überlebt hatten, waren überzeugt davon, dass es keine Alternative zur Bombe gebe.“

Haben oder Nichthaben

Das Haben oder Nichthaben der Bombe entschied in der Rhetorik der Politiker über das Schicksal des Judenstaates. Nicht zum letzten Mal sollte ein Bogen zwischen Atomprogrammen und Holocaust geschlagen werden: Ex-Regierungschef Menachem Begin begründete Israels Angriff 1981 auf die irakische Atomanlage Osirak damit, dass es „einen zweiten Holocaust in der Geschichte des jüdischen Volkes“ gegeben hätte, wäre der Reaktor nicht zerstört worden.

Heute sei Israel „Herr über sein eigenes Schicksal“, meinte Netanjahu und signalisierte, dass ein Präventivschlag gegen die iranischen Atomforschungsanlagen notfalls auch ohne den Segen des Weißen Hauses denkbar sei.

Israel verfolgte stets eine Politik der Vernebelung, um den Bau einer Atomanlage vor der Welt, inklusive den USA, geheimzuhalten, was über Jahrzehnte gelang. „Streng gehütet war das Geheimnis keineswegs“, meint der israelische Schriftsteller Amos Elon. „Zahlreiche israelische Wissenschaftler wussten vom Projekt“, außerdem wurden reiche Juden im In- und Ausland aufgefordert, zur Finanzierung beizusteuern.

Elon hat auch eine Anekdote auf Lager: Ende der 1950er habe ein Bekannter den damaligen israelischen Finanzminister und späteren Premier Levy Eschkol geradeheraus gefragt, ob Israel die Bombe habe. Eschkol habe darauf geantwortet, dass er dazu nichts sagen könne – sei dann aber ins Jiddische verfallen (Eschkol kam aus der Ukraine) und habe gesagt: „Ober wir sanen stark schwanger.“

Ein Teil des Know-how und Equipment kam aus Frankreich. Beide Länder verbanden gemeinsame Interessen, auch hatten, schreibt Hersh, viele französische Atomforscher während des Krieges in der Resistance gekämpft und hegten Sympathie für Israel. Israels Reaktor in Dimona in der Negevwüste ist nach dem Modell des heute stillgelegten französischen AKWs Marcoule gebaut worden.

75 bis 400 Atombomben

Entsprechend des israelisch-französischen Abkommens sollte die Wärmeleistung der Anlage 24Megawatt betragen – tatsächlich war sie viel leistungsfähiger und in der Lage, jährlich 22 kg Plutonium abzuwerfen. „Das würde für vier Atombomben mit der Sprengkraft der Bomben von Hiroshima und Nagasaki ausreichen“, schreibt Hersh. Die Spekulationen über das heutige Atompotenzial Israels liegen zwischen 75 und 400 nuklearen Sprengköpfen, wobei nach den Enthüllungen des Atomspions Mordechai Vanunu bereits 1986 von mindestens 100 Sprengköpfen, vielleicht sogar 200 die Rede war. In einem Bericht der BBC heißt es, dass Israel zudem über rund 35 taktische und strategische Wasserstoffbomben verfügt und über entsprechende Trägersysteme von Kurz- und Langstreckenraketen.

Um die wahre Absicht des Bauvorhabens in Dimona zu vertuschen, war in den ersten Jahren von einer Manganverarbeitungsanlage die Rede oder auch von einer landwirtschaftlichen Forschungsanlage. Franzosen und Israelis waren sich einig über die Geheimhaltung. Ein Reaktortank, den Israel aus Paris importierte, wurde dem Zoll gegenüber angeblich als Meerwasserentsalzungsanlage deklariert. Die illegale Lieferung von vier Tonnen schwerem Wasser übernahm die französische Luftwaffe selbst. Ein Bericht des CIA zufolge begann Israel 1968 mit der Produktion nuklearer Waffen.

Spätestens seit der Vanunu-Affäre gilt es als offenes Geheimnis, dass Israel Atombomben hat. Vanunu war bis zur Entlassung 1985 Mitarbeiter in Dimona. Seine Enthüllungen über das Atomforschungsprogramm wurden im Oktober des nächsten Jahres in der Londoner „Sunday Times“ veröffentlicht. Eine Woche vorher hatten Mossad-Agenten den Atomspion in eine Falle gelockt. Vanunu wurde später zu 18 Jahren Einzelhaft ohne Bewährung verurteilt.

Ungeachtet der für Israel misslichen „Publicity“ hielt Jerusalem weiter an der Strategie Undurchsichtigkeit fest. „Der Nebel, der diese Frage umgibt“, meinte Schimon Peres, „stärkt unsere Abschreckung.“ Man wollte nicht als erstes Land in Nahost Atomwaffen einführen, hieß es in Jerusalem. Israel hat auch den Atomwaffensperrvertrag nie unterzeichnet.

Als „Ausrutscher“ werteten es Beobachter, als Ex-Premier Ehud Olmert im Dezember vor sechs Jahren gegenüber Journalisten Israel als einen der Atomstaaten aufzählte. Die Regierung in Teheran bedrohe Israel öffentlich mit Vernichtung, meinte Olmert, und fragte: „Kann man das auf demselben Niveau sehen, wenn man nach atomaren Waffen strebt, wie Amerika, Frankreich, Israel und Russland?“

Auf einen Blick

Israels Atomwaffenarsenal. Die Spekulationen über das heutige Atompotenzial Israels liegen zwischen 75 und 400 nuklearen Sprengköpfen. Bereits 1986 sprach der Atomspion Mordechai Vanunu von mindestens 100 vielleicht sogar 200 Sprengköpfen. In einem Bericht der BBC heißt es, dass Israel zudem über rund 35 taktische und strategische Wasserstoffbomben verfügt, und über entsprechende Trägersysteme von Kurz- und Langstreckenraketen. Israel verfolgt in Bezug auf seine Nuklearstreitmacht eine Politik der Vernebelung – die Regierung gibt den Besitz von Atomwaffen nicht zu, diese Politik soll die Abschreckungswirkung erhöhen. Länder wie Saudiarabien fordern seit Längerem die Einrichtung einer atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten. Mit diesem Schritt soll der Iran zu einem Abrücken von seinem Atomprogramm gedrängt werden, gleichzeitig ist Saudiarabiens Vorschlag ein Signal an Israel.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.04.2012)

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