Schützen in Südtirol: Eine Zukunft ohne Rom?

Südtirol: Eine Zukunft ohne Rom?
Südtirol: Eine Zukunft ohne Rom?(c) APA (Großruck Bernhard)
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Noch immer gibt es in Südtirol den Traum vom eigenen Staat - zumindest bei den Schützen. Sie marschieren gegen Rom auf. Fraglich ist, ob sie
die Parteien und die Bevölkerung hinter sich haben.

Fast schon bedrohlich sieht der Countdown auf der Homepage des Südtiroler Schützenbundes am Samstag aus: nur noch zwei Stunden, 14 Minuten, zwei Sekunden. Dann beginnt der „Freiheitsmarsch" in Bozen unter dem Motto „Ohne Rom in die Zukunft". Die Hauptstadt Südtirols verwandelt sich in einen Treffpunkt der Freunde und Anhänger der Schützen, aber Gegner des italienischen Staates. „Abmarsch" für die Frauen und Männer in typischer Tracht ist um 20 Uhr, anschließend ist eine Kundgebung auf dem Landhausplatz geplant. Etwa 4000 Menschen werden erwartet - aus Südtirol, aber auch aus Österreich.

Der Anlass für diesen Protest: Immer häufiger fühlt sich die deutschsprachige Bevölkerung in Südtirol - oder zumindest ein Teil davon - durch die Regierung in Rom in ihrer Autonomie bedroht.

„Das Ziel unseres Freiheitsmarsches ist es, unsere Politiker dazu zu bewegen, dass sie endlich ihre Worte in Taten umsetzen. Und mit einem Abschied von Italien beginnen", sagt Elmar Thaler, Landeskommandant der Südtiroler Schützen zur „Presse am Sonntag". Er stellt sich eine Zukunft ohne Italien vor, konkret gebe es vier Möglichkeiten: eine Vollautonomie - die wohl moderateste Idee -, eine Rückkehr Südtirols zu Österreich, einen Freistaat oder aber die Wiedervereinigung Tirols. Um eines dieser Ziele zu erreichen, hätten die Schützen diesen Protestmarsch organisiert.

Der Luxus einer Autonomie. Doch was ist eigentlich an der derzeitigen Lage in Südtirol so schlecht? „Wir gehören einfach nicht zu Italien, Südtirol hat mit Italien nur wenig zu tun", so Thaler. Ein weiterer Kritikpunkt ist die wirtschaftliche Lage des Landes - dafür möchte Thaler nicht zahlen müssen. Italien werde sich den Luxus, Südtirol eine Autonomie zu gewähren, nicht länger leisten können, meint er.

Wenn man Thaler aber nach Details zu seinen Plänen fragt, zum Beispiel, was denn mit der italienischsprachigen Bevölkerung in Südtirol nach einer Wiedervereinigung Tirols passieren würde, ist klar: Recht ausgereift ist diese Vision noch nicht. Muss sie auch gar nicht, wenn es nach Thaler geht: „Entschuldigung, mir sein die Schützen, mir sog'n was mir gern hätten", wie er es ausdrückt. Und: „Unmöglich isch nix" - aber es sei Aufgabe der Politiker, sich um Details zu kümmern. Denn auch, wenn es innerhalb der Südtiroler Politik einige wenige Schützen-Sympathisanten gibt: Als allzu politisch sehen sich die Schützen nicht. Sie definieren sich selbst etwas umständlich als „Organisation, die aufbauend auf die Tradition der Landes- und Zuzugsordnungen der Tiroler Geschichte die Aufgabe hat, die Heimat und Identität des Tiroler Volkes gegen innere und äußere Feinde und Bedrohungen zu schützen. Und diese Tiroler Identität, angepasst an die moderne Zeit, der Jugend weiterzuvererben", heißt es auf der Homepage.

Dies geschieht anscheinend mit Erfolg: Bei den Schützen will man zumindest einen Anhängerzuwachs verzeichnet haben. Insgesamt gibt es gut 5000 Mitglieder, das Durchschnittsalter beträgt laut Thaler etwa 38 Jahre. Dass es 2012 weiter Zulauf zu den Schützen gibt, beobachtet auch der Politologe Günther Pallaver: „Es gibt keine empirischen Daten, keine Umfrage, die das bestätigen. Ich kann aber aus meiner teilnehmenden Beobachtung sagen: Es gibt eine zunehmende Sympathie dafür." Dafür sei eine Reihe von Faktoren verantwortlich, etwa die Globalisierungspolitik: „Es kommt zum Rückzug in die kleine Provinz, zur Konzentration auf die eigenen Leute, auf das Zusammenhalten." Doch eigentlich hätte sich die Zweisprachigkeit in Südtirol verbessert, so Pallaver. Das Problem: Der Kontakt zwischen den verschiedenen Sprachgruppen besteht nicht. „Zwei Drittel der Jugendlichen haben nur Kontakt zur eigenen Sprachgruppe."

Der Beginn. Wie kann es passieren, dass nach so vielen Jahren immer noch kein Friede zwischen den beiden Sprachgruppen herrscht? „Nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich ein politisches System entwickelt, das darauf basiert, zwei Konfliktparteien zu trennen", so Pallaver, der die Situation sogar mit jener im Kosovo oder in Israel vergleicht. Die Trennung finde auf einer sozialen und institutionellen Ebene statt. Eine Kooperation zwischen den Sprachgruppen sei kaum vorhanden. „Die Lösung des Problems wäre eine viel stärkere Förderung von Möglichkeiten der Begegnung, vor allem bei Jugendlichen", sagt Pallaver. Zum Beispiel durch die Errichtung von zweisprachigen Kindergärten.

„Diskussionen anregen". Der 31-jährige Sven Knoll ist wohl ein gutes Beispiel für die Weitergabe der Tiroler Tradition. Der Landtagsabgeordnete der Partei „Süd-Tiroler Freiheit" unterstützt den Marsch der Schützen: „Es ist gerechtfertigt, gegen die politische Entwicklung Italiens zu protestieren", sagt er. Denn die Autonomie Südtirols sei durch die Sparmaßnahmen des Premierministers Mario Monti gefährdet. Es bestehe die Gefahr, dass nicht mehr 90 Prozent der Steuern, die die Südtiroler Bevölkerung zahlen muss, auch tatsächlich wieder - wie gesetzlich geregelt - in das Land zurückfließen. Man könne mit dem Marsch „Diskussionen anregen", sagt Knoll. Denn wenn man Probleme nicht anspricht, ist das friedliche Zusammenleben gefährdet.

Als einer der Protestierenden in Bozen hat sich auch Werner Neubauer, Südtirol-Sprecher der FPÖ, angekündigt. „Ich bin der Meinung, dass es eine gute Möglichkeit ist, die Position des Schützenbundes und auch eines Großteils der Südtiroler zum Ausdruck zu bringen", sagt er zur „Presse am Sonntag". Ein weiterer Grund für seine Anwesenheit sei auch die Warnung von SVP-Parlamentarier Karl Zeller. Vor einigen Tagen hat er festgestellt, dass das Autonomiestatut von Rom massiv gefährdet sei. „Österreich hätte reagieren müssen, ich vermisse den Einsatz vom Außenministerium", so Neubauer.

Doch die überwiegende Mehrheit der politischen Parteien unterstützt die Pläne der Schützen nicht. Landeshauptmann Luis Durnwalder sieht durch den „Freiheitsmarsch" eher Konfliktpotenzial zwischen den beiden Sprachgruppen: „Es hat doch keinen Sinn, den Leuten etwas vorzumachen und zu sagen: Wir können einfach entscheiden und zu Österreich zurück." Das seien alles Wunschvorstellungen, die nicht umgesetzt werden können. „Und das heißt, die Leute anzulügen. Das möchten wir nicht tun, deswegen möchten wir auch nicht an dieser Protestkundgebung teilnehmen", so Durnwalder. Sie sei nur geeignet, Leute aufzuhetzen. Eigentlich würde das Zusammenleben zwischen deutsch- und italienischsprachigen Südtirolern gut funktionieren. Der Protest gegen Rom würde Gespräche mit der italienischen Regierung nur schwieriger machen.

Und auch der Politologe Pallaver findet die Veranstaltung der Schützen nicht ganz ungefährlich: „Die Schützen sagen, dass sie antifaschistisch und antipolitisch sind. Das kaufe ich ihnen nicht ab." Dafür müssten sie mit ihrer Vergangenheit abrechnen und sie aufarbeiten. „Denn bis in die 1980er-Jahre sind sie mit Neonazis in Passau mitmarschiert", sagt er. Außerdem hätten sich Schützen noch nie für Grund- und Menschenrechte eingesetzt. „Sie schauen in die Vergangenheit, nicht in die Zukunft", so Pallaver. „Denn Schengen hat die Brenner-Grenze minimalisiert, nicht die Schützen." Deswegen sei die Organisation für ihn nicht authentisch.

Schützenkommandant Thaler distanziert sich allerdings von Rechtsextremen. Und auch beim Protestmarsch wolle man keinen von ihnen sehen. „Wir haben ausdrücklich gesagt, dass niemand von der rechten Szene dabei sein kann", sagt Thaler. Falls doch ein Rechtsextremer beim Protestmarsch teilnehmen sollte, „wird er sofort fotografiert und ins Internet gestellt". Ob Thaler tatsächlich glaube, dass man allein mit einem Foto Rechtsextreme abschrecken könne? „Für diese Menschen ist es das Schlimmste, wenn ihr Gesicht gezeigt wird", meint er. Und fügt im Dialekt hinzu: „De bleibn dahoam als wie die Pamperlen" - also wie die Lämmchen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.04.2012)

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