In Istanbul fanden am Samstag die Atomgespräche zwischen dem Iran, den Vetomächten im Sicherheitsrat und Deutschland statt. Iran sollte sein Atomprogramm "ausgeredet" werden. Das gelang vorerst nicht: Die Verhandlungen werden im Mai fortgesetzt.
Der große „Atomgipfel" in Istanbul über das umstrittene iranische Atomprogramm hatte am Samstag einen guten Start: Teilnehmer betonten, erste bilaterale Treffen seien „konstruktiv" und in guter Atmosphäre verlaufen; am Abend fand eine Verhandlungsrunde aller Unterhändler aus dem Iran und der „5+1-Gruppe" statt; die umfasst die USA, China, Frankreich, Großbritannien und Russland sowie Deutschland.
Das Treffen galt als letzte Chance, Angriffe Israels auf Irans Atomanlagen abzuwenden. Es gibt aber offenbar immer noch eine neue Chance: Am späten Abend wurde der Gipfel unterbrochen, er soll am 23. Mai fortgesetzt werden - just in Iraks Hauptstadt Bagdad. EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton sagte nach den Verhandlungen, Ziel sei nun, den Streit um das iranische Atomprogramm „Schritt für Schritt" beizulegen. Grundlage der Gespräche solle der Atomwaffensperrvertrag sein, wobei die 5+1-Gruppe das Recht Irans auf die friedliche Nutzung der Atomenergie achte.
Bis zum Treffen in Bagdad werde es darum gehen, weiter gegenseitiges Vertrauen zu schaffen, sagte die Britin Ashton. Sie wertete es jedenfalls als Erfolg, dass nach den Gesprächen in Istanbul Zeit und Ort für ein weiteres solches Treffen überhaupt vereinbart worden seien.
Eine Überraschung gab es zu Beginn: Irans Verhandler Saeed Jalili stellte sich mit einem ganz neuen Titel vor: als „persönlicher Vertreter des obersten Führers". Gemeint ist der religiöse Führer Ali Khamenei. Der demonstriert damit, dass er mit Präsident Mahmoud Ahmadinejad im Clinch liegt, dieser unwichtig ist und Khamenei die Gespräche ernst nimmt.
Letzteres war zuvor nicht immer klar: So hatten iranische Offizielle etwa vorgeschlagen, das Treffen im umkämpften Damaskus abzuhalten.
Nach der ersten Gesprächsrunde am Vormittag äußerte sich Michael Mann, Sprecher der EU-Beauftragten für Außenpolitik Catherine Ashton, sehr positiv. Dagegen zitierte die Agentur AFP aus dem Umfeld der iranischen Delegation eine andere Einschätzung: Dort habe man die Position des Westens „enttäuschend" gefunden.
Allgemein wurde schon zu Beginn erwartet, dass die Gespräche in den nächsten Wochen weitergehen. Dabei wird es darum gehen, dem Iran einen Stopp der Urananreicherung und weitere Infos über sein Atomprogramm abzuringen, von dem man annimmt, dass es auch militärischen Zwecken dient. Umgekehrt bot man bisher wirtschaftliche und sicherheitspolitische Kooperation an, etwa ein Ende von Handelsembargos, zivilen Technologietransfer und Sicherheitsgarantien.
Bericht über Bombenexperimente. Es liegt eine große Last auf den Gesprächen, denn sie könnten über Krieg und Frieden entscheiden. US-Präsident Barack Obama nannte sie „letzte Chance der Diplomatie". Schon dass der Iran ohne Vorbedingungen kam, ist ein Erfolg für Obama und die türkischen Gastgeber. Die bisher letzten Atomgespräche endeten nämlich vor 15 Monaten ebenfalls in Istanbul im Desaster. Seither drohten die Israelis immer offener mit Militäraktionen, USA und EU drehten an der Sanktionsschraube, worauf Teheran zusehends weich wurde.
Neben dem Anreicherungsstopp und der Verbringung von mehr als 110 Kilogramm angereicherten Urans in ein Lager außerhalb des Iran will der Westen die volle Zusammenarbeit Teherans mit Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA. Weil aber vor allem die USA einige Forderungen auf Öffnung fallen ließen bzw. zurückstellten, muss sich Obama Kritik von seinem Herausforderer bei der Präsidentenwahl im November anhören: Obama sei zu weich gegenüber Diktaturen wie dem Iran und Nordkorea, warf ihm Mitt Romney vor.
Wasser auf Romneys Mühlen dürften neue Berichte über iranische Experimente mit einem Zündmechanismus für Atombomben anno 2003 sein. Die Berichte fußen in einer nicht näher genannten Geheimdienstquelle und sind an sich nicht neu: Allerdings soll diesfalls ein russischer Techniker „geplaudert" haben, der den Iranern bei Zündsimulationen behilflich gewesen sein soll. Diese wurden angeblich von den iranischen Physikern Majid Schahriari und Ferydun Abbasi-Dawani geleitet. 2010 waren beide Ziele von Sprengstoffattentaten: Schahriari starb, Abbasi-Dawani wurde verletzt und leitet heute Irans Atomenergiebehörde. Als Urheber der Anschläge wird Israels Geheimdienst Mossad vermutet.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.04.2012)