Breivik: "Ich würde es wieder tun"

Breivik wuerde wieder
Breivik wuerde wieder(c) REUTERS (STOYAN NENOV)
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Der 33-jährige Attentäter begann seine Verteidigungsrede mit einer wahnwitzigen Tirade gegen all das, was den meisten Norwegern lieb ist.

Es ist der Tag, den alle fürchteten, die am 22.Juli 2011 auf Utøya oder in Oslo einen Menschen verloren haben, alle, die dem Gemetzel entkamen, und alle, die den Schock noch spüren, in den ein Land gestürzt wurde. Dienstag, Tag zwei im zehnwöchigen Prozess gegen Anders Behring Breivik. Nun leitet er seine Verteidigung ein.

Länger als die gewährten 30 Minuten liest der 33-Jährige aus 13 Seiten vor, die er mitbringt. „Ich würde es wieder tun“, sagt er. Nein, er sei schuldlos. „Ich handelte in Notwehr, für mein Volk, meine Kultur.“ Hauptziel der Aktion sei Aufmerksamkeit für seine Motive gewesen, das hat er schon gesagt und das Gericht als sein Propagandaforum genannt. Und da sitzen 800 Journalisten und registrieren jede Miene, jedes Wort des Massenkillers. Nie fänden seine Tiraden in anständigen Zeitungen nur den Weg auf die Leserbriefseiten, so abseitig ist sein Weltbild. Und nun, da er 77 Menschen tötete, sollen wir davon berichten?

Meinungsfreiheit als Antwort

Eskil Pedersen, Leiter der sozialdemokratischen Jugend „AUF“, die Breiviks Ziel auf Utøya war, gibt eine gute Antwort auf das Dilemma. „Wir kämpfen für Demokratie, Vielfalt, Toleranz. Er hat sich außerhalb des demokratischen Systems gestellt, wir antworten mit Meinungsfreiheit.“ Fünf Tage wird Breivik die Tribüne nützen können, fünf Tage, in denen er für jede seiner Untaten Rechenschaft geben soll. Doch die Entlarvung seines Aberwitzes ist wichtiger als die Angst, ihm ein Mikrofon zu geben.

„Ich stehe hier als Repräsentant für die norwegische und europäische antikommunistische und antiislamische Widerstandsbewegung und das Netzwerk der Tempelritter“, sagt Breivik mit hoher Stimme. Später stellt Staatsanwalt Svein Holden klar, dass es die „Knight Templar“ nur in Breiviks Fantasiewelt gibt. Der wehrt sich dagegen, als „bösartiger Verlierer“ abgestempelt zu werden, als narzisstisch, antisozial, feige. „Die meisten da draußen verstehen, dass das alles Propaganda ist“, sagt der Mann, der jahrelang in selbst gewählter Isolation lebte, während er die Morde plante, und dennoch glaubt, für viele „Nationalisten und Kulturkonservative“ zu sprechen.

Harte Kost für die Opfer

Harte Kost für die gut 800 Überlebenden und Hinterbliebenen, die in Oslo oder einem von 17 anderen Gerichten die Übertragung hören, die für die Allgemeinheit nicht zugänglich ist. Oft verlassen Menschen um Luft ringend den Saal, wenn Breivik die AUF mit der Hitlerjugend vergleicht und Utøya mit einem Schulungslager für Marxismus und Multikulturalismus. Als Richterin Wenche Arntzen um Mäßigung bittet, sagt er, er habe seine Rhetorik aus Rücksicht auf die Hinterbliebenen gemäßigt.

„Ich wusste, dass es hart sein würde, aber es ist härter, als ich glaubte“, sagt Ragna Sørlundsengen, die dem Massaker entkam. „Ich will ihm ins Auge blicken“, sagt Sofie Lyshagen, die eine Freundin verlor. „Es wird guttun zu sehen, dass jetzt ich die Kontrolle habe. Er muss da sitzen, ich kann gehen, wenn ich will.“

Handschlag mit einem Killer

Es geht zivilisiert zu in Norwegens Gerichten. Die Ankläger grüßen den Täter mit Handschlag, Richter und Angeklagter sind per Du, das „Sie“ ist im Norwegischen für den Umgang mit dem König reserviert. „Setz dich“, sagt Arntzen. „Du hast keine Pflicht, dich zu äußern, aber wenn du es tust, sei bitte ehrlich.“

Er redet. Seine Tat sei ein „Präventivangriff“ gegen die „Zerstörung unserer Kultur“, „die kleine Barbarei ist manchmal nötig, um die größere zu verhindern“. Als Grund für die Tötung von Kindern fallen ihm die Atombomben auf Japan ein, die 300.000 Menschen getötet, aber Millionen gerettet hätten. „Ich und andere Militante nützen die gleiche Methode.“ Demokratischer Widerstand sei sinnlos, Multikulturalismus sei der wahre Terror. 70 Menschen zu töten könne einen „Bürgerkrieg verhindern“.

„Wer gibt dir das Recht, als Verteidiger des norwegischen Volks aufzutreten?“, fragt Anklägerin Inga Beijer Engh und bekommt das Recht der Völker auf Selbstbestimmung zur Antwort. „Gabst du dir selbst dein Mandat, oder hast du es bekommen“, will Engh wissen. Breivik: „Das gab ich mir selbst.“

Es habe in ganz Europa seit der Zwischenkriegszeit keine echte Demokratie gegeben, nur eine „liberalistische, kulturmarxistische Diktatur“, die Schulen und Medien unterwandert habe. Er wettert gegen Sozialismus, Feminismus und die sexuelle Revolution, böse seien nicht „wir militante Nationalisten, sondern Sozialdemokraten“, die die Schleusen für Masseneinwanderung öffneten. Seine Opfer auf Utøya seien keine „unschuldigen Kinder“ gewesen, sondern „politische Aktivisten und „Kämpfer“.

Norwegen und Europa sollten überrascht sein, dass es eine Aktion wie die seine nicht schon früher gegeben habe. Seine „legalen“ Taten würden nun die Zensur schüren und die Nationalisten stärken. Er wolle „einen Konflikt, ehe die ethnischen Europäer in der Minderheit sind. Wir können nicht warten, bis wir in 20 Jahren eine Moslemmehrheit haben.“

Befangener Schöffe abgelöst

In den Zusehern brodeln Gefühle, auch „Hass“, gibt Eskil Pedersen zu; viele meinen, Haft sei keine angemessene Sühne. Der Wunsch nach Rache lebt neben dem auf ein würdiges Verfahren weiter, doch schwappte er auf das Gericht über und führte zum Eklat: Einer der drei Schöffen, Thomas Indrebø, hatte nach den Attentaten auf Facebook den Tod „gerechte Strafe“ genannt. Das flog auf, Indrebø musste wegen Befangenheit gehen. Seine Stelle übernahm ein Ersatzschöffe, der an der Verhandlung bereits teilgenommen hatte.
Siehe auch Seite21

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.04.2012)

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