Breivik-Prozess: "Ich wollte nicht 69, sondern alle töten"

(c) REUTERS (STOYAN NENOV)
  • Drucken

Der Massenmörder von Oslo und Utøya gab weitere Terrorpläne zu. Die Zuhörer bekamen Schreckensszenarien vorgesetzt. Gegenüber Staatsanwältin Inga Bejer Engh zieht Anders Breivik zusehends den Kürzeren.

Oslo. Ihre Stimme ist mild und ruhig, ihr Wesen unaufgeregt. Sie legt ihr Kinn auf die Hände, wenn sie zuhört, und blickt ihr Gegenüber frontal an. Inga Bejer Engh, die 41-jährige Staatsanwältin, die die Anklage gegen den Massenmörder Anders Breivik führt, ist keine Furie, die den Verbrecher ihre Verachtung spüren lassen möchte. Ihre Art ist so sanft, dass Prozessbeobachter sich schon fragten, warum sie mit Breivik rede wie mit einem Kind.

Doch ohne Vorwarnung und ohne die Stimme zu erheben kann sie auf Konfrontation schalten und scharf nachhaken. „Mir war es lieber, als du mich wie ein Kind behandelt hast“, moniert Breivik und versucht ein Lächeln. „Damit ist es vorbei“, gibt sie zurück, todernst.

Die Mutter von zwei kleinen Kindern ist ein Profi, ihre Kollegen sind voll des Lobes und Respekts. Juristisch fundiert, mit großem psychologischen Verständnis und guter Menschenkenntnis, lautet die Einschätzung: „Sie kann Menschen lesen.“ Sie kann Verhöre führen, ohne zu tyrannisieren, so fragen, dass das Gericht alle relevanten Informationen bekommt.

Zerrissene Hirngespinste

Als sie am ersten Prozesstag die Anklageschrift vortrug, schnürte die Schwere der geschilderten Verbrechen ihr noch die Kehle zu, und nur mit gewaltigen Mengen Wasser konnte sie den Text überhaupt zu Ende bringen. Doch als sie Breivik zu seinem Werdegang befragte, als sie seine Hirngespinste zerriss, da hatte sie die Oberhand gewonnen. „Warum versuchst du, mich lächerlich zu machen?“, fragt Breivik. Doch das tut sie nicht. Das tut er selbst.

Nur in einem Punkt regt sich Kritik: Bejer Engh lege zu viel Gewicht auf Breiviks Unglaubwürdigkeit und zu wenig auf seine Zurechnungsfähigkeit. Doch diese muss letztendlich den Ausschlag darüber geben, ob sie eine langjährige Gefängnisstrafe oder die Zwangseinweisung in die Psychiatrie beantragen wird.

Für die schwere Aufgabe wurde Engh nicht zuletzt wegen ihrer Fähigkeiten als Teamspielerin ausgewählt. Im Breivik-Prozess teilt sie sich die Rolle mit ihrem Kollegen Svein Holden. Die Blonde und der Glatzkopf sind ein gutes Tandem. Am Donnerstag, dem vierten Prozesstag, führte er das Wort, sie ergänzte nur. Da standen Breiviks Terrorpläne auf dem Programm, und die Zuhörer bekamen Schreckensszenarien vorgesetzt, wie man sie in einem norwegischen Gerichtssaal noch nie gehört hatte.

Brundtland sollte geköpft werden

Utøya sei nur ein „Ersatzziel“ gewesen: Erst habe er den Aufmarsch zum 1. Mai bombardieren wollen, da sei die „gesamte kulturmarxistische Elite“ versammelt. Doch die „tausenden Toten“, die dies gekostet hätte, wären doch zu drastisch gewesen. Auch einen Angriff auf die Zeitung „Aftenposten“ verwarf er wieder, weil diese in einem Bürohaus mit „vielen Unschuldigen“ untergebracht sei. Die internationale Journalistenkonferenz Skup 2011 wäre „das attraktivste Ziel“ gewesen, der Anschlag sei sich aber zeitlich nicht ausgegangen. Dann wollte er drei Bomben platzieren, bei der Regierung, beim Parlament und beim Schloss – „in Abwesenheit der Königsfamilie, denn viele militante Nationalisten sind Monarchisten, ich auch.“

Doch seine Vorbereitungen verzögerten sich. „Es war Ferienzeit und bei den meisten konventionellen Zielen waren zwei Drittel der Leute im Urlaub. So mussten neue Ziele her.“ Schließlich wurde es das Regierungsviertel, wo seine Autobombe acht Menschen tötete. Seine Absicht war, „die gesamte Regierung zu töten, inklusive Staatschef“. Immerhin das hat er nicht geschafft. Nach der Detonation der Bombe fuhr er auf die Insel Utøya, zum sozialdemokratischen Jugendlager. Dort wollte er „A-Klasse-Verräter“ wie Ex-Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland fesseln und vor laufender Videokamera köpfen.

Brundtland war nicht mehr da, und Breivik richtete seine Waffe auf die Jugendlichen. „Das Ziel war nicht, 69 zu töten, sondern alle.“

Auf einen Blick

Der Norweger Anders B. Breiviktötete am 22. Juli in Oslo mit einer Autobombe acht Menschen und erschoss wenig später auf der Ferieninsel Utøya 69 weitere, viele davon Jugendliche. Am vierten Tag seines Prozesses legte er seine Terrorpläne dar. Unter anderem habe er die gesamte Regierung töten und Ex-Premierministerin Brundtland köpfen wollen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.04.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.