Frankreich auf dem Weg ins Mittelmaß

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Ob Sarkozy oder Hollande: Der nächste Staatschef findet eine wirtschaftliche Großbaustelle vor. Die Zeichen für Sarkozy stehen schlecht. Mit der Krisenpolitik sind offenbar keine Wahlen zu gewinnen.

Paris. Das Gesetz der Serie verheißt nichts Gutes für den Präsidenten Frankreichs, Nicolas Sarkozy. Es reicht, ein paar Namen zu nennen: Andreas Papandreou, José Rodriguez Zapatero, Silvio Berlusconi, José Socrates: Sie alle haben 2011 ihren Job als Regierungschef wegen der Euro- und Staatsschuldenkrise verloren, sei es durch Wahl-, sei es durch Vertrauensverlust.

Die Zeichen für Sarkozy stehen also schlecht, wenn die Franzosen am Sonntag aufgerufen sind, einen neuen Präsidenten zu wählen. Sarkozy wird es wohl in die Stichwahl am 6.Mai schaffen, doch alle Umfragen sehen seinen sozialistischen Herausforderer, François Hollande, als Favoriten.

Mit der unweigerlich unpopulären Krisenpolitik sind offenbar keine Wahlen zu gewinnen. Nicolas Sarkozy tat darum sein Bestes, um seine eigene Bilanz vergessen zu lassen und aufzutreten, als entdecke er gerade das Ausmaß des Schlamassels – und als sei er die Stimme des über die Macht der Finanz erbosten Volks.

Explodierende Staatsschulden

Allein die Zahlen sprechen gegen ihn und das Bild des standhaften Kapitäns, der das Schiff der Nation unbeschadet durch den Sturm der Krise gesteuert habe. Während seiner fünfjährigen Amtszeit hat die Staatsverschuldung um rund 500 Milliarden Euro zugenommen. Die Arbeitslosigkeit erreichte mit offiziell knapp drei Millionen Stellensuchenden (real gibt es aber fünf Millionen Erwerbslose) einen neuen Höchststand.

Natürlich erhofften sich die Franzosen von den Kandidaten konkrete Vorschläge für ihre wichtigsten Alltagsprobleme und Zukunftsängste. An erster Stelle stehen für sie Beschäftigung, Kaufkraft, Bildungs- und Berufschancen der Jugend, erst in zweiter Linie Themen wie Sicherheit und Immigration. Letztlich sind sich die meisten dessen wohl bewusst, wie gering der Spielraum der Regierung im Kontext der Krise und Sparzwänge sein wird, und dass in einer globalisierten Welt die nationale Politik weniger vermag als zu Zeiten von General de Gaulle, der vor 50Jahren Frankreichs Wirtschaft mit staatlichen Mitteln modernisieren ließ. In Gesprächen mit Wählern kommt oft eine Sehnsucht nach diesen Zeiten zum Ausdruck.

Alle Kandidaten für mehr Steuern

Zwar wollen sowohl Sarkozy als auch Hollande bis spätestens 2017 den Staatshaushalt ausgleichen. Das basiert aber auf äußerst optimistischen Wachstumserwartungen. Zudem setzen beide – wie die anderen Kandidaten – viel weniger auf die Kürzung von Ausgaben als auf die Erhöhung der Einnahmen, also auf Steuerbelastung.

Streng fiel das Urteil des liberalen britischen „Economist“ aus, der den Kandidaten samt und sonders bescheinigt, sie hätten ein Brett vor dem Kopf: „The Denial“ (Realitätsverweigerung) lautet der Titel zur Montage des berühmten Manet-Gemäldes „Déjeuner sur l'herbe“ mit Sarkozy und Hollande beim Picknick. Beide seien sich ebenso wenig wie ihre Konkurrenten dessen bewusst, dass die Epoche dieser Rasengemütlichkeit des französischen Wohlfahrtsstaats vorbei sei.

Konfetti vom Kolonialreich

Frankreich ist auf dem Weg zur Mittelmäßigkeit. Aufgrund seiner Geschichte, seiner Atomwaffen und seines Rangs als permanentes Mitglied im UN-Sicherheitsrat darf es sich immer noch als Macht fühlen. Vom Kolonialreich sind aber nur „Konfetti“ geblieben. Als eines der wenigen Länder Europas wächst Frankreich zwar demografisch und dürfte bis 2050 Deutschland an Einwohnern überholen. Wirtschaftlich schrumpft seine Bedeutung hingegen: Der Anteil der Exporte am Welthandel ist in zehn Jahren von 4,1 auf 3,2 Prozent gesunken, die Außenhandelsbilanz war 2002 noch mit 3,5 Mrd. Euro positiv, verzeichnete Ende 2011 aber ein Rekorddefizit von 70 Mrd. Diese bittere Realität will aber keiner der Präsidentschaftsbewerber den Franzosen offen eingestehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.04.2012)

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