Sie nannten ihn Pudding

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Viele nahmen François Hollande zuerst gar nicht ernst. Bei der heutigen Wahl greift der französische Sozialist jedoch nach dem Präsidentenamt. Hinter seiner Jovialität verbirgt sich die Zähigkeit eines Provinzpolitikers.

Letztlich ist François Hollande ja bloß ein Ersatzmann. Wahrscheinlich hätte er nie die Chance bekommen, gegen Nicolas Sarkozy anzutreten, wenn nicht sein Parteikollege Dominique Strauss-Kahn (DSK) in New York verhaftet und durch die Vergewaltigungsvorwürfe und Enthüllungen über sein Sexualleben definitiv kompromittiert worden wäre. Doch weil sich der frühere IWF-Chef DSK, der in Frankreich bereits als haushoher Favorit der Präsidentschaftswahlen 2012 galt, noch im Jahr zuvor selbst mit seinen Fehltritten diskreditiert und unmöglich gemacht hat, wurde plötzlich der Weg frei für diesen Mann, der in Wirklichkeit nicht so unprätentiös ist, wie er lange aussah.

Wer hätte das vor ein paar Jahren gedacht, dass François Hollande eines Tages ernsthafte Aussichten hätte, Frankreichs Staatschef zu werden. Bereits als Parteichef der Sozialisten wirkte er wie eine Verlegenheitslösung nach dem Abgang von Lionel Jospin. In einem Punkt waren sich seine Freunde und Gegner mit den Journalisten einig: Diesem gewiss intelligenten und sympathischen Politiker fehlte jegliches Charisma, das in Frankreich eine Führungspersönlichkeit auszeichnet. „Flamby“ (Pudding) nannten ihn in der Partei lange interne Rivalen wie der Linkssozialist Arnaud Montebourg, der diesen Übernamen erfunden hat. Dieser kann auch die Urheberschaft für ein anderes vernichtendes Urteil über Hollande beanspruchen. Als nämlich dessen Lebensgefährtin Ségolène Royal sich um die Präsidentschaftskandidatur von 2007 bewarb, meinte Montebourg bösartig, sie habe nur eine Schwäche: ihren Partner.

In den vergangenen Wochen wurden all diese alten Sprüche und Werturteile aus der polemischen Giftküche der Sozialisten von den rechten Gegnern aufgewärmt und in der Kampagne genüsslich als Argument serviert. Hollande sei doch einfach zu „weich“ und unfähig, eine Entscheidung zu treffen, versuchten sie den Wählern einzureden. Hatte Hollande etwa nicht 2006 sogar zugunsten von Royal selbst auf eine Präsidentschaftskandidatur verzichtet? Das sei ja nicht gerade Ausdruck eines unbeirrbaren Willens und Strebens an die Macht, wie man dies in Frankreich von einem zukünftigen Präsidenten immer noch erwarte.

Sarokozy hat Hollande unterschätzt.Wahrscheinlich muss man sich auch im Lager der konservativen Regierungspartei von Sarkozy jetzt eingestehen, dass man diesen Hollande aufgrund dieser Vorgeschichte zumindest unterschätzt hat. Schon bei den im Oktober 2011 zur Nominierung des Präsidentschaftskandidaten organisierten Vorwahlen, an denen sich zuletzt drei Millionen Sympathisanten beteiligten, setzte er sich entschlossen gegen die Parteichefin Martine Aubry und die bekannteren Konkurrenten wie Royal, Fabius und Montebourg durch. Typisch für ihn war es, wie er diese Konkurrenten, die noch am Tag zuvor gegen ihn polemisiert hatten, als loyale Helfer für seine Kampagne gewinnen konnte.

Viel mehr aber überraschte die Wandlung, die er selbst vollzogen hat. Hollande hat trainiert und für diesen politischen Wettstreit 15 Kilo abgenommen. Seine neue Lebensgefährtin, die Fernsehjournalistin Valérie Trierweiler, hat ihn auch hinsichtlich seines Erscheinungsbilds gut beraten. Dazu gehören eine modische Brille, dunkel getönte Haare sowie eine durch intensives Coaching getrimmte Sprechweise, die sein Selbstbewusstsein unterstreichen soll. Zwei Dinge konnte Hollande freilich nicht wegtrainieren. Wenn er Reden hält, kommt er mit rotem Kopf ins Schwitzen und wenn er zu laut spricht, wird seine Stimme heiser. Seit mehr als einem Jahr aber hat sich Hollande auf dieses Wahlduell mit Sarkozy vorbereitet. Dieser glaubte, die Schwächen dieses Challengers zu kennen. Er hat ihn – wie die meisten anderen auch – aus purer Unkenntnis unterschätzt.

Politik geht vor Theater. François Gérard Georges Hollande kam am 12. August 1954 in Rouen (Normandie) als zweiter Sohn eines Arztes (ORL) und einer Sozialarbeiterin auf die Welt. Während seine Mutter eher heimlich mit der Linken sympathisierte (und später stets die sozialistische Karriere ihres Sohns mit Begeisterung förderte), war der autoritäre Vater ein Gegner der Unabhängigkeit der Kolonien und ein militanter Anhänger der extremen Rechten, für die er bei Gemeindewahlen (erfolglos) kandidierte. François galt in seiner religiösen Privatschule als fleißiger Schüler. Im Stillen nur rebellierte er damals gegen diesen strengen Übervater, der eines Tages ganz plötzlich seine Privatklinik in Rouen verkaufte und 1968 samt Familie nach Neuilly bei Paris umzog – wo übrigens auch ein gewisser Nicolas Sarkozy aufwuchs. Im Gymnasium hatte der umgängliche und lustige Hollande schnell neue Kameraden. Zwei davon, Christian Clavier und Thierry Lhermitte, wurden bekannte Schauspieler. Hollande zog Fußball und, sehr früh schon, die Politik dem Theater vor. Während andere Altersgenossen sich nach dem Mai '60 für Mao oder Trotzki und die Weltrevolution begeisterten, fand Hollande in François Mitterrand sein Idol.

Bereits während seiner Studien war er aktiver Sozialist. Seine akademische Laufbahn ist ein Modellfall für die französische Kaderschmiede: Elitehandelshochschule HEC, Politische Wissenschaften an der Pariser Sciences Po, Verwaltungshochschule ENA. Dort lernte er auch seine langjährige Lebensgefährtin Ségolène Royal kennen, mit der zwei Söhne und zwei Töchter hat. Zusammen wurden die beiden von Mitterrands Berater Jacques Attali als Mitarbeiter für die Präsidentschaftskampagne von 1981 rekrutiert. Das Handwerk der Politik aber lernte Hollande von einem Gegner: Jacques Chirac.

„Schickt uns einen kleinen linken Chirac“, hatten die lokalen Sozialisten in Tulle für den bevorstehenden Wahlkampf von 1981 nach Paris geschrieben. 26 Jahre alt war Hollande, als er in der Corrèze im französischen Zentralmassiv mit seinem Köfferchen aus dem Zug stieg, um dort gegen den Star der Gaullisten in dessen Wahlbastion anzutreten. Gegen Chirac, der in diesen Landstrichen jeden Bürgermeister duzte und jeden Bauern samt seinen Kühen kannte, hatte Hollande keine Chance. Mitterrands Labrador sei bekannter als dieser junge Mann, scherzte Chirac. Doch Hollande blieb und setzte sich fest in der Corrèze. Während Chirac in Paris als Parteichef der Gaullisten, als Bürgermeister, Premierminister und Staatspräsident seine Karriere fortsetzte, wurde Hollande Gemeinderat, dann Abgeordneter und dann Parteichef der Sozialisten, und bis heute ist er Vorsitzender des Département Corrèze. Im Unterschied zu seinem rechten Gegner und Vorbild war der Linke Hollande aber nie Mitglied eines Ministerkabinetts.

Dass der vom Alter geschwächte Chirac bei einem Besuch in Sarran in dem seiner Präsidentschaft gewidmeten Museum im Sommer 2011 frei heraus sagte, er wolle Hollande wählen, überraschte niemanden in der Corrèze, wo der direkte Kontakt mehr zählt als Ideologie. Doch in Paris soll Präsident Sarkozy geschäumt haben vor Wut über den Affront. Damals wusste er noch nicht, dass ihm dieser Provinzpolitiker eines Tages die Präsidentschaft streitig machen würde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.04.2012)

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