Le-Pen-Wähler sind Zünglein an der Waage

(c) Reuters (YVES HERMAN)
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Die Kandidatin des Front National spricht die Enttäuschten und Unterdrückten an. Nicolas Sarkozy muss nun ihre Anhänger ins Boot holen, will er sein Präsidentenamt nach der Stichwahl am 6. Mai behalten.

Paris. Frankreich wacht mit einer neuen politischen Landkarte auf. Gleich auf den ersten Blick fällt die Überzahl der rosarot gefärbten Gegenden, in denen der Sozialist François Hollande die Führung übernahm, gegenüber den blauen Flecken, in denen Nicolas Sarkozy im ersten Durchgang der Präsidentschaftswahl am Sonntag dominierte. Nur bei genauem Hinsehen fällt auf, dass in 15 der 95 Départements Marine Le Pen oft nur mit geringem Abstand an zweiter Stelle liegt und im Umkreis von Nîmes (Departement Gard) gar Erste wurde.

Vom Ärmelkanal über Lothringen bis ins Elsass im Norden und von Marseille bis Nizza an der Côte d'Azur hat die Chefin des rechtsextremen Front National (FN) ihre Hochburgen. Mit einer aggressiven Kampagne gegen die „Pariser Eliten“, gegen das „Establishment“ und gegen den Euro sprach sie ein breites Publikum von Unzufriedenen, Enttäuschten und Unterdrückten an, die sich von allen anderen Parteien verachtet fühlen. Der FN gibt ihnen ein Zusammengehörigkeitsgefühl.

Im Südosten, wo sich viele Algerienfranzosen nach der Unabhängigkeit der Kolonien niederließen, wird traditionell sehr rechts gewählt. In Nordfrankreich, in den ehemaligen Industriebastionen, stößt der Vorschlag, den Franzosen gegenüber Immigranten den Vorzug zu geben und dank Importzöllen die tiefen Löhne zu erhöhen, auf Zustimmung. In ländlichen Gebieten fand Le Pen mit dem Bild eines vergangenen landwirtschaftlichen Idylls und dem Schutz vor ausländischer Konkurrenz Gehör. In den Agglomerationen wählen wieder andere FN aus Fremdenfeindlichkeit.

„Antifranzösischer Rassismus“

Wie andere rechtspopulistische Bewegungen schürt und instrumentalisiert der FN als Antwort auf Ängste angesichts der Krise ausländerfeindliche Ressentiments. Verarmte Schichten von Einheimischen werden dabei als Opfer eines „antifranzösischen Rassismus“ dargestellt. In ihrem Buch „Bienvenue au Front“ (Willkommen in der Front) beschreibt Soziologin Claire Checcaglini, die den FN infiltriert hat und monatelang als Aktivistin tätig war, dass die Muslime das eigentliche Feindbild der meisten Mitglieder sind.

Was den FN von vergleichbaren Parteien wie der Schweizer SVP unterscheidet, ist ein historischer rechtsextremer Kern von Mitgliedern und von ideologischer Substanz, der bis in die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, zur Kollaboration mit dem Dritten Reich und dem Kolonialismus zurückreicht. Der Vater der heutigen Parteichefin, Jean-Marie Le Pen, hat diese Partei als Zusammenschluss rechtsradikaler Grüppchen und Strömungen zusammen mit dem früheren SS-Rottenführer Pierre Bousquet und dem Antisemiten François Brigneau gegründet.

Diese Erbschaft hat Marine Le Pen nicht ausgeschlagen. Sie bemüht sich aber seit der Übernahme der Parteiführung darum, diese rechtsextreme Bewegung „salonfähig“ zu machen. Mitglieder, die sich mit Hitlergruß fotografieren ließen, wurden ausgeschlossen. Das passt nicht ins Bild, das Marine Le Pens FN heute von sich geben will. Doch die alte Garde mit dem Vater und Ehrenpräsidenten Jean-Marie Le Pen wacht weiter über die Parteilinie.

Wie werden FN-Wähler stimmen?

Le Pens Durchbruch mischt nun den zweiten Durchgang der Präsidentenwahl am 6. Mai gehörig auf. Die Tatsache, dass die FN-Chefin 18 Prozent der Stimmen erhalten hat, wird bereits als größter Misserfolg von Nicolas Sarkozy bezeichnet. Für den Amtsinhaber, der mit 27 Prozent auf Platz zwei landete, wird die Stichwahl zu einer „Gleichung“ mit ebenso vielen Unbekannten, wie es am Sonntag Le-Pen-Wähler gab, schreibt beispielsweise die Zeitung „Les Echos“. Wie werden diese Wähler sich auf die Finalisten verteilen? Die Spezialisten der extremen Rechten unter den Politologen glauben zu wissen, dass sich etwa die Hälfte durchringen werde, Sarkozy zu wählen, ein knappes Viertel dagegen Hollande, und der Rest überhaupt nicht.

Indes will der sozialistische Wahlsieger, der 28,6 Prozent holte, alle hinter sich sammeln, die von Sarkozy genug haben. Rein arithmetisch sieht die Ausgangslage für ihn besser aus. Jean-Luc Mélenchon von der Linksfront, Eva Joly von den Grünen sowie der „Antikapitalist“ Philippe Poutou haben ihm bereits ihre Unterstützung zugesichert. Das macht theoretisch plus 11,1 plus 2,3 plus 1,2 Prozent für Hollande. Die 9,1 Prozent des Zentrumsdemokraten François Bayrou sollen sich angeblich zu gleichen Teilen auf die beiden Finalisten verteilen. Somit hängt Sarkozys Schicksal davon ab, wie viele FN-Wähler er ins Boot holen kann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.04.2012)

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