Reichensteuer: Populistisches Werkzeug mit geringer Wirkung

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Experten kritisieren den Trend zur Reichensteuer als wenig effektiv. Auch der neue Solidarbeitrag von Österreichs "Reichen" bringt bestenfalls 40 Millionen Euro im Jahr.

Wien. Es ist ein erstaunliches Comeback, das die Reichensteuer in den vergangenen Jahren hingelegt hat. Island, Mexiko, Portugal, Spanien, Schweden oder Großbritannien sind nur einige der Länder, die ihren Spitzenverdienern in Krisenzeiten wieder mehr an Steuern abverlangen. Und auch wenn die Briten mittlerweile zurückrudern (siehe Seite eins), als Wahlkampfschlager hat die Reichensteuer noch lange nicht ausgedient. Dabei stellen die meisten Experten infrage, ob der Fiskus vom Schrauben an den Spitzensteuersätzen überhaupt profitiert.

„Die Steuersätze allein sagen über die tatsächliche Steuerbelastung gar nichts aus“, sagt die Ökonomin Carolina Torres zur „Presse“. Sie hat sich im jüngsten „Taxes Wages“-Bericht der OECD die Entwicklung der Spitzensteuersätze in den Industrienationen über die vergangenen dreißig Jahre angesehen. Das Ergebnis: Die Spitzensteuersätze sanken stetig – allein im vergangenen Jahrzehnt durchschnittlich um fünf Prozentpunkte. Mit der Schuldenkrise setzte allerdings der Gegentrend ein und Regierungen baten die Besserverdiener stärker zur Kasse.

Geändert hat das nur wenig. Denn die meisten Finanzminister haben zwar populistisch die Reichen höher besteuert, allerdings gleichzeitig „reich“ neu definiert. Als Großbritannien vor zwei Jahren beschloss, den Spitzensteuersatz von 40 auf 50 Prozent zu heben, „verlor“ das Land im gleichen Schritt auch unzählige Spitzenverdiener. Reichte es bis dahin, den 1,3-fachen Durchschnittslohn zu verdienen, um in die höchste Steuerklasse von 40 Prozent zu fallen, so galten danach nur noch jene als Spitzenverdiener, die mindestens 4,4 Mal so viel verdienten wie der durchschnittliche Brite. So verpufft die Reichensteuer zu reiner Rhetorik.

„Reich“ mit doppeltem Durchschnittslohn

Umgekehrt ist es genauso: In den Jahren, als Regierungen die Spitzensteuersätze gesenkt haben, erklärten sie im Gegenzug einfach mehr Menschen zu Besserverdienern und schmälerten so die Wirkung der Steuersenkungen. In Österreich bezahlt man übrigens schon mit etwas mehr als dem doppelten Durchschnittslohn den Spitzensteuersatz.

Auch an der österreichischen Spielart der Reichensteuer, der befristeten Solidarabgabe, gibt es Kritik: Die höhere Besteuerung des 13. und 14. Monatsgehalts für all jene, die mehr als 185.000 Euro brutto im Jahr verdienen, sei „nicht mehr als ein symbolischer Beitrag, ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagt Hannes Winner, Steuerexperte an der Universität Salzburg, zur „Presse“. Die Lösung sei zwar einerseits besser als eine generelle Anhebung des Spitzensteuersatzes, weil sie weniger Menschen animiere, die Steuer zu umgehen. Andererseits sei sie aber kaum wirksam. Letztlich seien nur etwa 10.000 Österreicher von der Solidarabgabe betroffen. Selbst wenn jeder von ihnen weiterarbeiten würde wie bisher, stiege das Steueraufkommen dadurch im besten Fall nur um 35 bis 40 Millionen Euro im Jahr, schätzt Winner.

Wenn man schon über die Lohnsteuer zu Mehreinnahmen kommen wolle, hält er es für klüger, die Steuerbegünstigungen für das 13. und 14. Monatsgehalt generell zu senken. Würde der Steuersatz von sechs auf zehn Prozent erhöht – ohne Freibeträge und Steuerfreigrenze anzutasten – könnte die Finanzministerin 500 Millionen Euro an zusätzlichen Steuern im Jahr kassieren. Dafür wären eben alle betroffen. Allerdings wird Österreich bei der Belastung der Lohneinkommen im OECD-Schnitt ohnedies nur von vier Ländern übertrumpft.

Echtes Potenzial für zusätzliche Steuereinnahmen sieht Winner daher vor allem in Konsumsteuern, also der Mehrwertsteuer. Die ist hierzulande mit einem nominellen Steuersatz von 20 Prozent zwar auch vergleichsweise hoch. Allerdings gebe es viele Privilegien, die „über weite Strecken nicht sinnvoll“ seien. So werden nicht nur Lebensmittel und Mieten, sondern etwa auch der Ab-Hof-Verkauf von Wein mit günstigeren Sätzen besteuert. Vom gesamten Mehrwertsteuer-Aufkommen von 23 Mrd. Euro entfällt rund ein Fünftel auf reduzierte Sätze.

Auf einen Blick

Steuererhöhungen für Spitzenverdiener haben meist nur wenig Wirkung, da die Regierungen im Gegenzug meist „reich“
neu definieren.

Österreichs Solidarabgabe trifft gerade einmal 10.000 Menschen und bringt damit im besten Fall 40 Millionen Euro jährlich in die Staatskasse, errechnete der Steuerexperte Hannes Winner.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.04.2012)

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